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Medizin |

„Eine Videoverbindung ersetzt nicht die ärztliche Sorgfaltspflicht“

Foto: privat

Wie hält es die Selbstverwaltung mit der Frage, inwieweit die Videosprechstunde ein Medizinprodukt ist? Dr. Thomas Reuhl, Abteilungsleiter EBM bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nimmt Stellung.

 

Was sind die aktuellen technischen und inhaltlichen Anforderungen an Anbieter von Videosprechstunden, um im GKV-Kontext an der Erstattung teilnehmen zu können?

Die detaillierten Anforderungen an den Videodienstanbieter sind in §5 der Anlage 31b des Bundesmantelvertrags niedergelegt. Unter anderem muss der Anbieter gewährleisten, dass der Arzt die Videosprechstunde ungestört, also zum Beispiel ohne Signalgeräusche weiterer Anrufe, durchführen kann. Es muss eine Peer-to-Peer-Übertragung erfolgen, bei der Server lediglich zur Gesprächsvermittlung genutzt werden dürfen und sich in der EU befinden müssen. Die komplette Videosprechstunde muss Ende-zu-Ende verschlüsselt sein, die Inhalte dürfen durch den Anbieter weder eingesehen noch gespeichert werden und Werbeschaltungen sind untersagt. Außerdem müssen die Anbieter bestimmte Nachweise erbringen, die unter anderem Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten sicherstellen sollen. Dazu gehört ein Zertifikat zur Informationssicherheit des BSI oder einer von der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierten Stelle, ein Datenschutzgütesiegel von einer Aufsichtsbehörde oder einer akkreditierten Stelle sowie ein inhaltliches Zertifikat von einer akkreditierten Stelle.

 

Die KBV zertifiziert nicht selbst?

Nein. Wir erfahren weder, wer wann eine Zertifizierung beauftragt hat noch wann eine Akkreditierung erteilt wurde.  Der Anbieter muss sich nicht bei der KBV melden, kann das aber optional tun. Wir haben derzeit neun Anbieter, die sich freiwillig gemeldet haben.

 

Welche Rückmeldungen erhalten Sie aus der Praxis? Die Abrechnungszahlen sind ja extrem übersichtlich, nach allem was man hört?

Ich denke, man sollte aus den ersten Monaten nicht zu viel herauslesen. Die Tatsache, dass wir schon mindestens neun zertifizierte Anbieter haben, zeigt erstens, dass es Interesse gibt und zweitens, dass die von KBV und GKV festgelegten Anforderungen bewältigbar sind. Technisch sind wir auf dem richtigen Weg. Wie gesagt, wir haben noch keine ausreichende Datenbasis. Aber wenn es massive Probleme geben würde, dann wäre das an uns herangetragen worden.

 

Die Zertifizierung als Medizinprodukt ist bisher nicht Bestandteil der Zulassung von Videosprechstundeanbietern. Ist das auf Dauer haltbar?

Wir haben im Vorfeld prüfen lassen, ob die Videosprechstunde als Medizinprodukt deklariert werden sollte, sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass es ein reines Kommunikationsmedium ist und damit nicht unter die Medizinproduktegesetzgebung fällt. Wir sehen das ähnlich wie bei einem Telefon. Das wird auch zur Patientenversorgung eingesetzt, zum Beispiel wenn ein Arzt den Patienten fragt, ob er Schmerzen hat oder ob der Verband durchgeblutet ist. Aber es käme niemand auf die Idee, das Telefon als Medizinprodukt zu deklarieren.

 

Die Wundnachsorge ist eine der Indikationen, bei denen die Videosprechstunde erstattungsfähig ist. Wenn ich als Arzt per Videosprechstunde visuell eine Wunde beurteile, ist das wirklich reine Kommunikation? Oder ist das nicht doch eher Diagnose?

Wir sind der Auffassung, dass das in einem normalen Versorgungsszenario Kommunikation ist und nicht Diagnose oder Therapie. Eine Videoverbindung ersetzt ja nicht die ärztliche Sorgfaltspflicht. Wenn der Arzt bei einem Patienten, den er per Video sieht, den Eindruck hat, dass Probleme auftreten, dann kann er eingreifen, und wenn das heißt, den Patienten einzubestellen, dann muss er das tun. Wir würden das anders sehen, wenn es um die spezifizierte Übertragung von Bildern ginge. Wenn spezielle diagnostische Kameras genutzt werden, wenn spezielle Lichtverhältnisse geschaffen werden, um Wunden standardisiert auszumessen, wenn bestimmte Strukturen mit einem Laser abgetastet werden, der an die Videoverbindung gekoppelt ist, dann wäre das etwas anderes. Aber das ist ja bei der Videosprechstunde, wie sie aktuell eingesetzt werden kann, nicht der Fall. Und nochmal: Das sehen nicht nur wir so. Beide Partner der Bundesmantelverträge haben sich intern juristisch beraten lassen. Auch das Bundesgesundheitsministerium hat die Vereinbarung nicht beanstandet.

 

Interview: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM