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Vernetzung |

Interview: „Krankenhäuser nicht zu beteiligen ist komplett schädlich“

Wer soll bei den Standards der EPA den Hut auf haben? Nicht die KBV alleine, sagt Dr. Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft im Interview.

 

Der TSVG-Entwurf verpflichtet die Krankenkassen, bis zum Jahr 2021 elektronische Patientenakten nach § 291a (EPA) zur Verfügung zu stellen bzw. zu finanzieren. Sind Sie damit zufrieden?

Gaß: Wir begrüßen ausdrücklich, dass die bisherigen zwei Akten, das Patientenfach und die Patientenakte, nun gemeinsam zu einer einheitlichen Akte, der EPA nach § 291a SGB V, zusammengefasst wurden. Auch ist es ein wichtiger Schritt, dass jeder gesetzlich Versicherte ein Anrecht auf die Nutzung einer solchen Akte hat. Dass dies explizit durch die Krankenkassen für jeden Versicherten finanziert werden soll und nicht unabhängig von der Kassenzugehörigkeit geregelt wird, erhöht leider für die Versicherten und das Personal in den Krankenhäusern die Komplexität des Themas. Wenn Krankenkassen oder andere Anbieter für den Nutzer erweiterte Funktionen anbieten, so begrüßen wir dies ausdrücklich, wenn es den Nutzen der Akte stärkt. Ob das Einstellen von Abrechnungsinformationen für die Versorgung einen Mehrwert darstellt, halte ich aber für fraglich. Was verhindert werden muss, sind funktionelle Unterschiede zwischen den einzelnen Aktenanbietern. Im Rahmen der Leistungserbringung darf man sich nicht bei jedem Patient erneut fragen müssen, welche Leistungen von dessen Aktenanbieter gerade unterstützt werden. Bei den Inhalten der Akten ist noch viel zu tun, die aktuell vorgesehenen Regelungen sind aus Sicht der Krankenhäuser noch nicht passend.

 

„Die bestehenden Strukturen schließen die Krankenhäuser aus“

 

Was passt denn aus Ihrer Sicht noch nicht?

Gaß: Dass Versorgungsprozesse auch über Sektorengrenzen hinweg funktionieren müssen, stellt heute niemand mehr infrage. Der Gesetzgeber hat der Verbesserung sektorenübergreifender Versorgung nicht zuletzt mit den Neuregelungen zum Entlassmanagement im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz Rechnung tragen wollen. Leider bedeutet die Überregulierung des Übergangs vom Krankenhaus in die Pflege oder ambulante Nachsorge auch eine erhebliche organisatorische Mehrbelastung für Krankenhäuser. Hier wurde einmal mehr deutlich, dass dreiseitige Vereinbarungen allein nicht ausreichen, um auf notwendigen Anpassungsbedarf zu reagieren. Die Abbildung von vertragsärztlichen Prozessen in dem Krankenhaus ist allein mit Blick auf strukturelle Unterschiede häufig nicht trivial, was man an der Frage der Nutzung von Formularen zum Entlassmanagement beobachten kann. Die bestehenden Strukturen der Bundesmantelvertragspartner schließen die Krankenhäuser aus und sind daher zur Lösung derartiger Fragen nicht geeignet. Dieser Fehler darf bei dem wichtigen Thema der Akteninhalte nicht wiederholt werden – hier muss sichergestellt werden, dass die Entwicklung und kontinuierliche Fortschreibung der Akteninhalte und der dafür notwendigen Metadaten und Kataloge gemeinsam von allen Betroffenen sektorübergreifend vorangetrieben werden. Hier wäre es komplett unverständlich und schädlich, die Krankenhäuser nicht zu beteiligen. Bei den Krankenhäusern liegt die Erfahrung mit digitaler Datenhaltung. Alleine die Universitätsklinika halten mehr als 50 Pentabyte an digitalen Daten vor. Im Jahr 2017 arbeiteten fast 200.000 Ärztinnen und Ärzten in den Krankenhäusern und nur fast 120.000 im vertragsärztlichen Bereich.

 

„Akteninhalte müssen sektorübergreifend festgelegt werden.“

 

Braucht es dazu eine parallele Struktur, die die gematik ergänzt? Müssen die Governance-Strukturen der gematik geändert werden?

Gaß: Die gematik errichtet eine Plattform, auf der das Gesundheitswesen kommunizieren soll. Ich gehe davon aus, dass allen klar ist, dass die Inhalte dessen, was kommuniziert werden soll, dafür standardisiert werden müssen. Wir in den Krankenhäusern sind gerade bei diesem Prozess, dass im Rahmen der Digitalisierung alle Daten angesehen werden und geprüft wird, wie diese einheitlich und wiederverwendbar abgelegt werden können. Dabei spielen im Krankenhaus die unterschiedlichen Systeme eine Rolle, aber auch die unterschiedlichen Sichten auf die Daten – Priorität hat die Patientenversorgung, aber schon für die Abrechnung müssen zusätzliche Informationen vorgehalten werden und wenn Patienten sich dann dafür entscheiden an Studien teilzunehmen, müssen die Daten auch für die Forschung verfügbar sein. Wo für die Versorgung ein einfacher Text ausreicht, müssen für die Forschung einzelne Werte und genaue Uhrzeiten vorliegen. Die Standardisierung der Inhalte einer EPA ist in Wirklichkeit die Standardisierung aller Daten der Gesundheitsversorgung. Dies ist eine nationale Aufgabe, die nicht auf die EPA beschränkt sein sollte.

 

Was genau stellt die DKG sich vor?

Wir wünschen uns eine Regelung, bei der gesetzlich vorgegeben wird, dass es eine Gruppe gibt, die verbindliche Vorgaben entwickelt und fortschreibt. Ob diese dann rein organisatorisch wieder in der gematik aufgehangen wird oder außerhalb, ist Nebensache – wichtig ist, dass alle Betroffenen beteiligt sind und von Anfang an sektorübergreifend gedacht wird. Wenn die Inhalte für die EPA festgelegt werden, wird sich auch automatisch ergeben, dass alle Hersteller diese Formate auch für andere Systeme verwenden – schon um den Aufwand für die sonst notwendige Umwandlung zu sparen. Diese Governance der Inhalte ist keine technische Herausforderung, sondern eine Fleißaufgabe. Wer sich nur die Variantenanzahl von Tumorerkrankungen vor Augen führt und dann darüber nachdenkt, dass jeder einzelne Wert, der einen bestimmten Tumor klassifiziert, digital abgebildet werden muss, der ahnt den Umfang dieser Aufgabe. Aber es muss nicht alles auf einmal passieren und in vielen Bereichen wurde schon begonnen, auch mit solchen Standards wie dem vhitg-Arztbrief, den die KBV für ihre Definition verwendet hat. Hier muss nun gesammelt und weitergearbeitet und verbindlich vorgeschrieben werden, von einer Stelle für das gesamte Gesundheitswesen.

 

„Es wird zwei Akten geben: Die Fallakte (EFA) und die EPA“

 

Welche besonderen Anforderungen haben denn Krankenhäuser an die inhaltlichen Vorgaben für medizinischen Datensätze oder Schnittstellen?

Gaß: Die Deutschen Krankenhausgesellschaft gibt dem kompletten Spektrum der Krankenhäuser eine Stimme – dafür müssen wir sowohl an die Maximalversorger und Universitätskliniken denken, als auch die regionalen Akuthäuser oder die Spezialkliniken. Schon früh hat sich gezeigt, dass die einrichtungsübergreifende Kommunikation für alle eine wesentliche Herausforderung darstellt. Daher hat die DKG auch die Entwicklung des Standards elektronische Fallakte (EFA) gefördert, weil damit in konkreten Versorgungssituationen eine arztgesteuerte digitale Kommunikation ermöglicht wird. Damit liegen schon umfangreiche Erfahrungen vor und es fehlte nur ein wesentlicher Schritt – die flächendeckende Verfügbarkeit. Die Telematikinfrastruktur wird diesen Schritt vereinfachen.

 

Wie stellt sich die DKG das Nebeneinander von EFA und EPA vor?

Wir erwarten, in Zukunft mit zwei externen Aktensystemen zu arbeiten: die EFA für die Kommunikation in vertraglich geregelten, kooperativen Versorgungssituation, bei denen sichergestellt werden muss, dass die Kommunikation zwischen den Ärzten stattfinden kann und die EPA nach 291a für die lebenslange Sammlung von Daten zu einem Versicherten, die in der Anamnese genutzt werden kann. Diese beiden Systeme ergänzen sich und erlauben beide einen sektorübergreifenden Einsatz. Damit dies optimal funktioniert, müssen natürlich auch die Inhalte zueinander passen – wenn es eine Governance für medizinische Dokumente gibt, gehen wir davon aus, dass diese auch in der EFA verwendet werden. Die beiden Systeme unterscheiden sich im Prinzip nur durch die rechtliche Einordnung.

 

 

„Verweise halten wir bei einer lebenslangen Akte nicht für sinnvoll“

 

Wie steht die DKG zu den internationalen Standards, die Fachgesellschaften, Standardisierer und Teile der Industrie einfordern?

Gaß: Die IT-Systeme der Krankenhäuser kommen zu großen Teilen von Anbietern, für die Deutschland nur ein Markt von vielen ist. Daher sind internationale Standards von großer Relevanz. Für die medizinischen Inhalte brauchen wir allerdings nationale Festlegungen – dies ist auch bei dem Standardisieren selber unbestritten. Was wir auf keinen Fall brauchen, sind Standards für Praxen, die sich von Standards für Krankenhäuser unterscheiden. Wir brauchen dies nicht in unseren Häusern, in denen ermächtigte Ärzte und Einrichtungen nach den Regeln der vertragsärztlichen Versorgung arbeiten, und es behindert auch die sektorübergreifende Versorgung.

 

Eine der Diskussionen im Zusammenhang mit der anstehenden Spezifikation der EPA dreht sich ja weiterhin um die Frage einer zentralen oder dezentralen Speicherung. Das digitale Gesundheitsnetz der AOKen favorisierte bisher einen dezentralen, IHE-basierten Netzwerkansatz. Die KVen lehnen das ab. Wie sehen Sie das?

Gaß: Auch wenn wir die gesetzlich schon lange möglichen, aber in den letzten Monaten stark beworbenen Gesundheitsakten der Krankenkassen eher kritisch sehen, bewerten wir das System der AOKen etwas differenzierter. Die technische Basis ging nach unserer Kenntnis davon aus, dass Dokumente sowohl als Kopien als auch als Verweise eingestellt werden können. Verweise sind sinnvoll, wenn man vermeiden will, dass große Dokumente kopiert werden, ohne dass bekannt ist, ob jemand überhaupt darauf zugreifen möchte. Wenn aber auf die Dokumente zugegriffen wird, muss die Akte diese dann aus dem datenhaltenden Systemen, und das könnte ein Primärsystem sein, abrufen. Dies sind wir in den Krankenhäusern gewohnt, wo wir z. B. Bilddaten für niedergelassene Kollegen auf diese Weise bereitstellen. Für eine lebenslange Akte halten wir diese Funktion zwar nicht für sicherheitskritisch, aber trotzdem nicht für sinnvoll. Dies liegt daran, dass über das Konzept des Verweises die Löschregeln in den Systemen vermischt werden. Wir löschen Dokumente in den Krankenhausinformationssystemen, wenn es keine Notwendigkeit zur Speicherung mehr gibt – wüssten aber nicht, ob nicht in irgendeiner Akte noch ein Verweis auf ein solches Dokument besteht, der dann ins Leere ginge. An diesem Beispiel kann man gut sehen, wie wichtig es ist, ein komplettes Bild von den Einsatzszenarien aller beteiligten Systeme zu haben, bevor man eine neue Funktion entwirft oder bewertet.

 

„Krankenhäuser werden überrannt von Anbietern, die Schnittstellen verkaufen wollen“

 

Was sehen Sie kritisch an den Gesundheitsaktenprojekten der Kassen?

Gaß: Aktuell werden Krankenhäuser überrannt von Anbietern, die Schnittstellen zur diesen Akten verkaufen wollen, zum Teil mit dem Hinweis darauf, dass diese verpflichtend seien, oder die Krankenhäuser, manchmal über zwischengeschaltete Dienstleister, auffordern, Dokumente in Akten einzustellen. Hier sind Konflikte vorprogrammiert. Ohne eine explizite Aufforderung durch den Patienten, mit einer rechtsgültigen Unterschrift bestätigt, darf kein Krankenhaus Daten herausgeben. Wenn ein Krankenhaus auf die fehlende rechtsgültige Einwilligung verweist, wird es als Verhinderer wahrgenommen, nur weil es die Datenschutzgesetze und die Schweigepflicht einhalten möchte. Hier hätten vorherige Gespräche helfen können, solche Fehler, insbesondere bei Datenschutzfragen, zu vermeiden.

 

Sind Sie gegen die Gesundheitsaktenprojekte der Kassen?

Nein. Krankenhäuser beteiligen sich an den Erprobungen der Gesundheitsakten der Kassen, und vielleicht ergeben sich auch noch neue Erkenntnisse. Aber solange es noch um unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Schnittstellen und Verfahren geht, sollte sich dies auf abgesprochene Piloten beschränken. Wir Krankenhäuser erwarten eine einheitliche EPA nach § 291a und würden uns wünschen, dass die Energien in diese Richtung gebündelt werden. Wenn man sich einig ist, dass die Zeit der Inselprojekte zu Ende ist, steigen wir gern mit unserer Erfahrung und Expertise in den Dialog ein, wie eine EPA zu gestalten ist und auch wie man die Gesundheitsakten als Vorstufe zur EPA sinnvoll in die Versorgungsstruktur Krankenhaus einbinden kann.

 

Interview: Philipp Grätzel von Grätz