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Medizin im Datenrausch?

© Elnur

Zum Jahresbeginn diskutiert Deutschland über Big Data in der Medizin. Wem gehören die Gesundheitsdaten? Was bedeutet das für den Zugriff auf diese Daten?

 

Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eröffnete das Jahr diesmal biopolitisch. Am 2. Januar ritt der Wissenschaftliche Vorstand  von Cochrane Deutschland, Gerd Antes, eine scharfe Attacke auf eine „Medizin im Datenrausch“ bzw. in der Online-Version „Medizin im Datenzauber“. Anlass war wohl das Gutachten „Big Data und Gesundheit“, das, so Antes, „kritiklos das Hohe Lied auf Big Data“ singe und das dazu beitrage, dass „die Rechte an den [persönlichen medizinischen] Daten vom Besitzer an die Nutzer“ übergehen.

 

Letztlich liefere sich das Gesundheitswesen damit „GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft“ aus, so der Mathematiker. Antes hat in der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, dass die evidenzbasierte Medizin in Deutschland Fuß fassen konnte. Der Hauptteil seines Debattenbeitrags beschäftigt sich deswegen auch mit der Frage, wie nützlich die Big Data Analytik für den medizinischen Erkenntnisprozess ist und welche Fallstricke dabei drohen. Insbesondere warnte er vor der Fehlinterpretation von Korrelationen und dem Gerede von einem „Ende der Theorie“.


Korrelations-Bingo ist keine Neuheit des Big-Data-Zeitalters

In Fortführung der Debatte im FAZ Feuilleton widersprach der Autor dieses Beitrags Antes am 9. Februar in einigen zentralen Punkten. Insbesondere kritisierte er die pauschale Ablehnung des Ethikratsgutachtens und die weitgehend fehlende Auseinandersetzung mit dessen tatsächlichen Inhalten. Die vom Ethikrat vorgenommene Hervorhebung der Datensouveränität des Bürgers und der Vorschlag eines kaskadierenden, dynamischen Einwilligungsmodells liefere den Einzelnen nicht der Willkür von Großkonzernen aus, sondern ermögliche es ihm im Gegenteil überhaupt erst, bei der Nutzung der persönlichen Daten sinnvoll mitzuentscheiden.

 

Was die Erkenntnisdimension angeht, wurde in der Replik an die lange Historie scheinbarer Kausalzusammenhänge auf Basis schräger Korrelationen erinnert, die die medizinische Forschung mitbringt – von der Phrenologie bis zum heute üblichen, oft nicht durch ausreichende Hypothesen hinterlegten Spekulieren über molekulare Zusammenhänge auf Basis von Daten, die nicht selten im Kontext randomisierter Studien erhoben wurden. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Big Data-Analysen zur Falsifizierung dubioser Hypothesen, zur Einordnung pauschaler Behauptungen und nicht zuletzt zur Rekrutierung von Patienten für randomisierte Studien positiv genutzt werden können und damit letztlich die evidenzbasierte Medizin stützen und nicht gefährden.

 

Big Data in der Medizin: Zeit für den Atomausstieg?

Am 13. Januar nahm die Berliner Rechtsanwältin Roya Sangi aus juristischer Sicht Stellung zu der Diskussion. Sie äußerte einerseits Sympathie für das Grundanliegen des Ethikrats, Sensibilität für das Thema zu erzeugen und zugleich ethische und rechtliche Standards zu setzen. Sie wies auch auf darin, dass jene „normative Solidarität wie die zu erwartende Bereitschaft des Einzelnen zur Datenpreisgabe zur Förderung des medizinischen Fortschritts jenseits eigenen Nutzens“, die der Ethikrat im Sinn habe, eine Analogie in der Sozialpflichtigkeit des Eigentums habe.

 

Insgesamt hält sie das Ansinnen des Ethikrats aber für naiv und nicht umsetzbar: „Der […] zugrundeliegende Steuerungsoptimismus findet in der Welt der Tatsachen keine Grundlage. [Der Ethikrat setze] eine perfekte Welt voraus, in der die verschiedenen Akteure mit den Datenmengen verantwortungsbewusst umgehen und keine asymmetrische Macht zu entstehen droht.“ Dies, eine perfekte Welt, sei jedoch nicht gegeben, sodass Sangi in Summe und in gewagter Analogie zum Atomausstieg dafür plädierte, den „Big Data Technologien Grenzen zu setzen.“


Datensouveränität: Was genau ist die Alternative?

Die Debatte dürfte weitergehen. Was bisher fehlt, sind plausible Vorschläge, was die Alternative zu einer Betonung der Datensouveränität im Kontext persönlicher medizinischer Daten sein könnte. Der Giftschrank? Vielfach gewinnt man den Eindruck, dass Kritiker der Datensouveränität letztlich einem „Weiter-so“ das Wort reden, mit seinen – nicht zuletzt auch rechtlich zweifelhaften – Pauschaleinwilligungen, die die Nutzung der Daten nicht wirklich beschränken, sondern nur wenig kontrollierbar machen. Das mag bequem sein, drückt aber nicht zuletzt die Wissenschaftler oft genug an den Rand der Legalität.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM