Dass die datenbasierte Gesundheitsforschung ein großes politisches Thema in den kommenden Jahren und damit für die neue Bundesregierung werden wird, ist jedem, der sich nur ein bisschen für das Thema interessiert, klar. Warum?
- Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) wartet nicht auf Berlin.
- In Sachen Netzwerk Universitätsmedizin und Medizininformatik-Initiative stehen in den nächsten anderthalb Jahren wichtige Entscheidungen an, die nicht nur finanzielle, sondern auch regulatorische Dimensionen haben.
- In Zeiten, in denen der deutsche Wirtschaftsmotor Automobilindustrie stottert, soll unter anderem die Gesundheitswirtschaft für Traktion sorgen – was ohne einen massiven Ausbau der datenbasierten Gesundheitsforschung nicht gelingen wird. (Worauf nicht zuletzt die Pharmaindustrie nicht müde wird, hinzuweisen.)
Es ist vor diesem Hintergrund kein Zufall, dass es ausgerechnet das als etwas nerdig geltende Registergesetz in den Koalitionsvertrag geschafft hat: Das Problembewusstsein ist an den entscheidenden Stellen vorhanden. Der forschende Zugang zu Gesundheitsdaten muss einfacher werden. Die Infrastruktur für eine vernetzte Gesundheitsdatenforschung muss etabliert und verstetigt werden. Und die Patientinnen und Patienten, um deren Daten es am Ende geht, müssen eingebunden werden, nicht nur pro forma, sondern de facto.
Ohne Diskussionen wird, sollte und darf das nicht vonstattengehen. Und deswegen ist das kleine Scharmützel, das gerade zwischen Teilen der deutschen Krebs-Community einerseits und der Bundesdatenschutzbeauftragten andererseits ausgetragen wird, letztlich zu begrüßen: Wir müssen diese Diskussionen führen, wir müssen sie öffentlich führen und wir müssen sie bald führen.
Gefährdet Datenschutz Leben?
Konkret geht es um Kampagnen der Patientenplattform yeswecan!cer, nach eigener Aussage „Deutschlands größte digitale Selbsthilfegruppe“. Die hat schon zu Zeiten der Ampel-Koalition wiederholt ein Ungleichgewicht zwischen Datenschutz und Datennutzung bei Gesundheitsdaten pointiert kritisiert, unter anderem mit einer Petition an die damaligen Bundestagsabgeordneten.
Jetzt wurde und wird die Sache erneut thematisiert, zum einen bei der Krebs-Convention YES!CON 6.0, die in der zweiten Mai-Woche in Berlin stattfand, zum anderen und vor allem im Rahmen aktueller Kampagnen wie „Daten Retten Leben“, die vor allem mit Social Media Videos arbeiten. In diesen Kampagnen wird suggeriert, dass zu viel Datenschutz im medizinischen Kontext Leben gefährde. Es wird außerdem für einen leichteren und für Patientinnen und Patienten transparenteren Zugang zu klinischen Studien geworben, was ebenfalls Digitalisierungs- und Datenschutzdimensionen hat.
„Unehrlich, unredlich und verunsichernd“
Auf diese Kampagnen hat die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Louisa Specht-Riemenschneider, jetzt in einem Beitrag im Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health reagiert und dazu einen LinkedIn Post verfasst. Sie macht deutlich, dass auch sie der Auffassung ist, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für klinische Studien weiter verbessert werden müssten. Gleichzeitig kritisiert sie aber auch die pauschale Aussage in yeswecan!cer Kampagnen, wonach der Datenschutz die Heilungschancen von mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland blockiere: „Das ist unehrlich und unredlich und verunsichert die, um die es uns allen geht: die Patientinnen und Patienten.“
Der Aufbau langfristiger Datenregister, Biobanken und digitaler Forschungssysteme funktioniere nur, wenn Patientinnen und Patienten Vertrauen in den Umgang mit ihren Daten hätten. Vertrauen entstehe da, wo vertrauensvoll und damit datenschutzkonform mit Daten umgegangen werde, so die BfDI. Datenschutz sei Menschenschutz, gleichzeitig wolle Datenschutz aber Forschung auch explizit ermöglichen.
Risikofaktor Bequemlichkeit
Vielen wird das allerdings zu unkonkret sein. Aussagen wie diese gibt es in Deutschland seit Jahren, was bisher wenig daran geändert hat, dass in anderen europäischen Länder, die denselben europäischen Gesetzesrahmen haben, Datennutzung in vielerlei Hinsicht sehr viel besser gelingt.
Specht-Riemenschneider ist sich dessen bewusst, und sie betont, dass sie gerne bereit sei, auch die Rolle der Aufsicht kritisch zu reflektieren: „An die neue Bundesregierung lautet mein Appell: Schafft klare, einheitliche Rahmenbedingungen für datengestützte Forschung, ohne zu recht hohe Schutzstandards aufzugeben. Die Förderung interoperabler Strukturen mit dezentraler Datenauswertung und sinnvollen Einwilligungslösungen bei gleichzeitig klaren Verboten von Datenmissbrauch ist der richtige Weg.“ Insgesamt, so die BfDI, sei es „unfassbar deprimierend“, das pauschale Gegeneinander von Datenschutz und Gesundheitsschutz immer wieder erleben zu müssen: „Nicht Datenschutz tötet, sondern Krebs.“
Was stimmt, nur darf das natürlich nicht dazu verleiten, sich bequem zurückzulehnen. Das unkritische Propagieren dezentraler Infrastrukturen, das deren zahlreiche Limitationen und deren ehrlicherweise wenig beeindruckende Historie ausblendet, ist eine Spielart dieser Bequemlichkeit. Die nächsten zwei Jahre werden zeigen, wie ernst es allen Beteiligten ist mit der Erleichterung der Datennutzung im Gesundheitswesen. Die Bundes- und Landespolitiker sind dabei in jedem Fall mindestens genauso stark am Zug wie die Datenschutzaufsicht.