Unser Gesundheitssystem bildet im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen, aber auch zu anderen Gesundheitssystemen im internationalen Vergleich, das Schlusslicht beim Digitalisierungsindex. Aber woher kommt dieser Rückstand bei der digitalen Transformation? Vielleicht halten wir an den altbewährten Strukturen im Gesundheitswesen deshalb so sehr fest, weil sie sich um unsere Gesundheit drehen, unser höchstes Gut!
Die Frage ist, ob wir unserem höchsten Gut damit einen Gefallen tun. Vor 10 Jahren ging fast jeder ohne Smartphone aus dem Haus. Das ist heute undenkbar. Viele besitzen sogar zwei, ein dienstliches und ein privates. Die Einführung des iPhones im Jahr 2007 und die damit verbundene Möglichkeit zur Nutzung des permanent mitgeführten Internetzugangs lösten einen grundlegenden Wandel im Verhalten aus. Heute, 10 Jahre später, ist durch Einstrahlung des Smartphone-Blitzlichts in die Fingerkuppe und Filmen der Pulswelle mit der Kamera dank modernster signalanalytischer Methoden eine präzise Herzrhythmusanalyse möglich. M-Health ist Realität!
Wollen Patienten wirklich digitale Angebote und persönlichen Kontakt?
Die Frage, wie die digitale Perspektive 2028 konkret aussehen könnte, wird immer lebhafter diskutiert. Genau genommen sind es viele Fragen: Wird „Big Data“ auf Dauer bessere diagnostische Ergebnisse bringen als jeder Arzt, so dass Patienten dies nicht nur akzeptieren, sondern es auch einfordern werden? Steht es wirklich außer Zweifel, dass die Patienten von morgen digitale Angebote und den persönlichen Arztkontakt wünschen und brauchen?
Internetkonzerne können heute weltweit ein Vielfaches an Daten generieren, auswerten und daraus Geschäftsmodelle entwickeln. Werden der Gesundheitsmarkt und unser Gesundheitssystem diesen Konzernen überlassen? Was heute technisch möglich ist, wissen wir alle. Und was in 10 Jahren machbar ist, können wir eventuell auch noch erahnen. Die entscheidende Frage ist aber: Wie bringen wir die digitale Transformation, die in aller Munde ist, eigentlich an den Patienten, so dass dieser auch einen Mehrwert von den Algorithmen und Apps verspürt?
Zu viele Sorgen, zu wenig Mut
Diese Frage wird immer noch viel zu wenig gestellt. Stattdessen sorgt sich die Ärzteschaft um die Konkurrenz von „Dr. Watson und Dr. Google“, die Apotheker sind besorgt, dass Amazon ihre Existenz gefährden könnte. Und währenddessen finden die Digitalisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen in der (Gesundheits-)Politik in Deutschland nicht statt.
Die Zukunft, die wir alle zu unseren Gunsten entwickeln könnten, darf nicht Opfer einer Vorsichtskultur werden, in der jede Menge Chancen ausgelassen bleiben, obwohl sie nachweislich neue Qualitätsstandards in der Gesundheitsversorgung setzen könnten. Es wäre schade, wenn in 10 Jahren folgendes Statement zu lesen wäre: Die wichtigen „Player“ im deutschen Gesundheitssystem hatten E-Health auf dem Tisch. Sie ließen sich aber von GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) die digitale Butter vom Brot nehmen.
Dr. Johannes Thormählen M.H.A.
Vorstand GWQ ServicePlus AG