Software-Lösungen, die Gespräche in Dokumentation verwandeln, basieren zunehmend nicht mehr nur auf klassischen KI-Algorithmen, sondern auch auf großen Sprachmodellen. Im angloamerikanischen Raum sind sie bereits relativ gebräuchlich. Und auch in Deutschland haben zahlreiche Gesundheits-IT-Hersteller angekündigt, entsprechende Lösungen entweder selbst zu entwickeln oder über Kooperationen anbieten zu wollen.
Politisch gibt es dafür oft Unterstützung, da Bemühungen um Bürokratieabbau als positiv wahrgenommen werden. Ein Beispiel ist der englische NHS, der kürzlich Leitlinien vorgelegt hat für die Nutzung von so genannten ambient voice technologies (AVT), also KI-Lösungen, die gesprochene Kommunikation in Text umwandeln. Diese Empfehlungen richten sich an ambulante wie stationäre Versorgung bzw. deren IT-Chefs. Hintergrund dieser politischen Initiative war unter anderem ein großes Pilotprojekt des Great Ormond Street Krankenhauses in London, in dem gezeigt wurde, dass in einem pädiatrischen Kontext der Verwaltungsaufwand reduziert werden kann.
Die britische Ärztekammer, die British Medical Association (BMA), tritt jetzt allerdings etwas auf die Bremse. Sie hat sich in einem Rundschreiben an die medizinischen Einrichtungen gewandt und mahnt vor Übereifer. AVTs werden nicht abgelehnt, allerdings sei bei der Auswahl des Produkts Sorgfalt vonnöten. Konkret sollten Nutzer:innen sich bei diesen Produkten drei Fragen stellen und sie positiv beantworten, bevor sie entsprechende Tools installieren:
- Hat die entsprechende Einrichtung ein angemessenes Assessment der Datensicherheit und eine Datenschutzfolgeabschätzung vorgenommen?
- Wurde das Produkt, das genutzt werden soll, als Medizinprodukt Klasse I zertifiziert?
- Hält sich das Produkt, das genutzt werden soll, an die NHS-Empfehlungen für derartige Produkte?
Interessant ist vor allem Punkt 2. In Großbritannien gilt seit dem Brexit ein eigenes Zulassungswesen für Medizinprodukte, das von dem europäischen in einigen Punkten abweicht. Unabhängig davon waren viele aber sowohl in UK als auch zum Beispiel in Deutschland der Auffassung, dass AVT Tools als Dokumentations-Tools gar keine Medizinprodukte sein müssen. Hier könnte sich also ein Sinneswandel andeuten, wenngleich die BMA natürlich nicht die Zulassungsbehörde ist, das ist in UK die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA).
Die BMA weist in dem kurzen Schreiben dann auch noch relativ deutlich darauf hin, dass die Haftung für eventuelle Schäden, die durch die Nutzung von AVT-Lösungen entstehen, am Ende bei der nutzenden Einrichtung liegt. Dies gelte auch für Konstellationen, bei denen AVT-Lösungen nicht als separate Produkte genutzt, sondern in existierende Gesundheits-IT-Lösungen – zum Beispiel Praxis- oder Klinikinformationssysteme – integriert werden.
Weitere Informationen
Leitlinien von NHS England zur Nutzung von AVT-Lösungen
Warnung der British Medical Association vor AVT-Lösungen
https://cached.offlinehbpl.hbpl.co.uk/NewsAttachments/PGH/12105_ambient-scribes.pdf