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Health-IT |

Charité vs. Dedalus: Letzter Akt

In einem KIS-Vergabeverfahren, das seinesgleichen sucht, wird einer von drei verbleibenden Anbietern wegen eines Formfehlers rausgekickt.

Bild: © Simon – stock.adobe.com, 1201683860, Stand.-Liz.

Das Unternehmen Dedalus ist nicht mehr im Rennen um die Ausschreibung des neuen Krankenhausinformationssystems der Charité Berlin. Je nach Lesart wurde das Unternehmen wegen eines Formfehlers ausgeschlossen oder hat sich dadurch, das auf (weitere) rechtliche Schritte gegen den Ausschluss wegen eines Formfehlers verzichtet wurde, aus dem Verfahren aktiv zurückgezogen. Wie auch immer, damit endet wenige Wochen vor der voraussichtlichen Bekanntgabe der Vergabeentscheidung durch die Charité Berlin ein bemerkenswertes und insgesamt wenig glamouröses Kapitel der deutschen Krankenhaus-IT-Geschichte.

 

Auf den ersten Blick steht die Charité dabei als Gewinnerin da bzw. Dedalus als Verlierer: Das Unternehmen hat erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen in die Ausschreibung investiert. Es hat gegen die Charité geklagt – E-HEALTH-COM berichtete (Berliner KIS-Streit: Dedalus zieht weiter: E-HEALTH-COM)  – und blieb dennoch bis zuletzt im Ausschreibungsverfahren. Das allein war schon eher ungewöhnlich, und wahrscheinlich war es auch der tiefere Grund für das, was dann im August passierte.

 

KIS-Vergabe an der Charité: Eine Rekonstruktion

Was genau ist passiert? Dedalus ist nicht mehr Teil des Verfahrens und kann sich daher, anders als die Charité, relativ frei öffentlich äußern. Deswegen gibt die Rekonstruktion im Folgenden die Perspektive von Dedalus wieder. Im Gefolge seiner Beschwerde vor dem Berliner Kammergericht von Ende 2024 hatte Dedalus das dem Vernehmen nach aus annähernd zweitausend Einzelpunkten bestehende Leistungsverzeichnis im Rahmen der laufenden Ausschreibung zunächst nur kursorisch ausgefüllt. Anfang Juni 2025 wurde die Beschwerde durch das Gericht dann zurückgewiesen.

 

Dadurch änderte sich die Situation: Wollte man Teil der Ausschreibung bleiben, musste man jetzt liefern. In der Woche nach der Gerichtsentscheidung gab es einen schon lange vorher im Rahmen der regulären Ausschreibungsmodalitäten anberaumten Termin in Berlin, bei dem Dedalus für mehrere Tage an der Charité war, Fragen beantwortete und insgesamt – so der Eindruck im Unternehmen – ein gutes Bild abgab. Es ging um konkrete, fachliche und finanzielle Themen, etwa darum, welche Module zu welchen Konditionen ggf. weggelassen werden könnten.

 

Die Charité kündigte in diesem Zeitraum an, entgegen der ursprünglichen Planungen noch eine weitere Runde im so genannten Abschichtungsverfahren zu drehen. Es wurden also nochmals Unterlagen geschickt, die zu bearbeiten waren. Und auf der Grundlage dessen sollten sich dann alle Beteiligten Ende September wiedertreffen.

 

In der letzten Juliwoche gingen die Unterlagen der Charité dann über das Vergabeportal ein. Dedalus legte die zusätzlich geforderten Unterlagen vor bzw. lieferte die geforderten Konzepte ab. In diesem Kontext kommunizierte die Charité dann auch an Dedalus, dass das noch immer ausstehende Leistungsverzeichnis spätestens jetzt vollständig und verbindlich auszufüllen und abzugeben sei. So weit, so normal.

 

Die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Version des Leistungsverzeichnisses war ein gigantisches Konvolut aus Excel-Tabellen mit fast 2000 Fragen, zu denen teilweise Stellung genommen werden musste, teilweise Stellung genommen werden konnte. Dabei wurden nach Angaben von Dedalus vierzig bis fünfzig Kann-Kriterien übersehen. Und an einer Stelle, an der ein „Ja“ erforderlich war, stand „Ka“. Ein Schreibfehler, wie Michael Dahlweid sagt, der als Chief Clinical and Product Officer bei Dedalus für die Ausschreibung zuständig war, „ohne einen Punkt dazwischen“, und damit aus Sicht Dahlweids nicht als „keine Angabe“ fehlzuinterpretieren. (Auf Tastaturen liegt das K direkt neben dem J.)

 

Der Charité fielen diese Lücken und Fehler auf, am 9. September ging bei Dedalus ein Schreiben der Klinik ein, wonach das Leistungsverzeichnis gegen die Vergabeordnung verstoße und daher nicht gültig sei. „Wir haben dann innerhalb von zwei Stunden über das Portal nachgeliefert“, betonte Dahlweid gegenüber E-HEALTH-COM. Die Charité habe das aber nicht akzeptiert. Sie schickte eine Woche später ein weiteres Schriftstück, wonach das Leistungsverzeichnis nach Maßgabe der Charité nicht abgegeben worden sei.

 

Dedalus entgegnete dem mit einer Rüge, die abgewiesen wurde. An dieser Stelle entschloss sich das Unternehmen dann dagegen, erneut Vergabekammer und Kammergericht zu bemühen. „Das hätte nichts gebracht“, so Dahlweid. „Das wären wieder dieselben Leute gewesen wie beim ersten Verfahren. Wir haben Fehler gemacht, darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber die Art und Weise, wie auf diese Fehler reagiert wurde, war nicht zwangsläufig.“

 

Wenn zwei sich streiten, freuen sich oft Dritte

Die interessante Frage ist natürlich, warum die Charité so reagierte, wie sie reagierte. Bei Vergaben gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, mit fehlerhaften Abgaben umzugehen. Man kann darauf hinweisen und Fehlerkorrekturen einfordern, man die fehlerhaften Einträge bei der Vergabeentscheidung ausklammern, man kann bei sehr niedrigen Fehlerquoten von einigen wenigen Prozent auch gar nicht reagieren. Oder man macht das, was die Charité machte, und schließt das Unternehmen aus.

 

Die Charité selbst ist noch in der laufenden Ausschreibung. Sie kann und will sich zu der Sache derzeit nicht umfassend äußern, da, so ein Sprecher auf Nachfrage von E-HEALTH-COM, „der Geheimwettbewerb zu wahren ist.“ Und weiter: „Das Verfahren wird in Übereinstimmung mit den vergaberechtlichen Vorschriften durchgeführt. Ziel des Vergabeverfahrens war und ist, im Rahmen des Wettbewerbs die wirtschaftlichste Lösung für die Charité und ihre Patient:innen zu ermitteln. Die zwingenden Verfahrensregeln gelten für alle Bieter gleichermaßen und werden von der Charité rechtskonform angewendet. Dies hat das Kammergericht in dem bereits abgeschlossenen Vergabenachprüfungsverfahren festgestellt.“

 

Ob der Ausschluss von Dedalus am Ende der Charité und/oder dem Land Berlin nutzt, ist die zweite interessante Frage. Auch hier kann man nur spekulieren. Aus Verhandlungskreisen ist zu hören, dass noch zwei andere Unternehmen im Rennen sind, Epic und die CGM. Deren Verhandlungsposition verbessert sich naturgemäß, wenn ein Konkurrent auf der Strecke bleibt. Ob das am Ende im Interesse der Berliner Universitätsklinik ist, darüber lässt sich trefflich diskutieren.