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Vernetzung |

Club-Modell für Gesundheitsinformationen

Die Bertelsmann Stiftung stellt ein Konzept für eine Nationale Gesundheitsplattform vor. Es soll ein Anstoß sein, über die elektronische Patientenakte hinauszudenken.

Abbildung: Schema der Nationalen Gesundheitsplattform nach dem Konzept von Bertelsmann Stiftung und Fraunhofer IESA. Gestrichelt die „Zertifizierungsmauer“ als Zugangs- und Qualitätskontrolle

Alle reden über Plattformökonomien, nur im deutschen Gesundheitswesen kommt die Sache nicht so richtig voran. Der Grund: Es fehlt eine Plattform, die das leisten könnte, was gute Plattformen in der digitalen Welt leisten, nämlich jene, die ein Produkt oder einen Service benötigen mit jenen zusammenzubringen, die entsprechende Leistungen anbieten – und das möglichst einfach, möglichst transparent und wettbewerbsneutral.

 

Die Bertelsmann Stiftung hat sich gemeinsam mit dem Fraunhofer IESA Gedanken darüber gemacht, wie sich eine Plattformökonomie im deutschen Gesundheitswesen realisieren lassen könnte, und zwar jenseits der großen US-amerikanischen Plattformen, die sich – siehe Amazon – längst medizinisch in Stellung bringen. Das Ergebnis ist ein Konzept für eine nationale Gesundheitsplattform, das seit gestern unter dem Titel Trusted Health Ecosystems online einsehbar ist.

 

Trusted Health Ecosystems: Das Grundkonzept

Ziel sei es, einen Ort im Internet zu schaffen, an dem Patient:innen vor Desinformation sicher seien, sagte Dr. Inga Münch von der Bertelsmann Stiftung beim Launch-Event in Berlin. Die Grundidee ist, dass es eine Plattform gibt, bei der sich die Patient:innen mittels ihrer digitalen Gesundheits-ID, zu deren Ausgabe die Krankenkassen demnächst verpflichtet sind, anmelden. Sie geben ihre jeweilige Erkrankung ein, Münch nannte als Beispiel eine frisch diagnostizierte Kniegelenksarthrose. Danach landen die Nutzer:innen in einer Art krankheitsspezifischem sozialem Netzwerk. Sie erhalten einen stark personalisierten Informations-Feed, der, so die Idee alle individuellen Informationsbedürfnisse befriedigt, ohne dass Fake-News aus dem wilden freien Internet reinstören.

 

Bertelsmann spricht in diesem Zusammenhang von Patienteninformationspfaden. Die sollen nicht quasi von selbst entstehen, sondern sie werden von „Pfadarchitekten“ – Bertelsmann nennt sie Pfadmodellentwickler – digital angelegt. Der Pfad oder das Pfadmodell ist eine Art Navigationssystem, das es Patient oder Patientin mit der Diagnose X erlaubt, sich durch das Informationsangebot zu der jeweiligen Erkrankung hindurch zu navigieren, und zwar so, dass Informationen und Dienstleistungen passend zum jeweiligen Krankheitsstadium angeboten werden. Die Informationen wiederum sollen nicht von einem staatlich-fürsorglichen Datenmoloch stammen, sondern von Informations- und Serviceanbietern aller Art.

 

 

Damit das mit der Personalisierung funktioniert, braucht es natürlich individuelle Kontextinformationen. Entsprechend soll es neben Informations- und Serviceanbietern und Pfadmodellentwicklern auch noch Kontextanbieter geben, die den individuellen Kontext liefern. Das können nach Vorstellung der Autor:innen des Konzepts die persönlichen elektronische Patientenakten (ePA) sein, aber auch DiGA, Wearables aller Art und Dienstleister, die zum Beispiel Inhalte medizinischer Informationssysteme aufarbeiten und der Plattform patientenspezifisch zur Verfügung stellen.

 

Qualitätssicherung: Zertifizierung soll es richten

Was ist jetzt der Unterschied zu Amazon und Co? Herzstück des Ganzen ist eine Art Qualitätssicherungsmauer, die die gesamte Plattform umgeben soll. (Siehe Abbildung.) Prinzipiell ist die Nationale Gesundheitsplattform – Bertelsmann und Fraunhofer IESA haben einen Prototyp gebaut, den sie LIV nennen – als offene Plattform konzipiert, die für alle Diensteanbieter zugänglich ist.

 

Die Qualitätssicherung bei LIV – das steht für „leicht, individuell, vertrauenswürdig“ – erfolgt nicht auf inhaltlicher Ebene, sondern auf Ebene einer Anbieterzertifizierung. Wer über die Plattform Dienste und Services anbieten will, wer einen Pfadmodell beisteuern möchte oder wer sich als Kontextanbieter platzieren möchte, kann das tun, wenn er das Zertifizierungsverfahren für die Plattform durchlaufen hat, und nur dann.

 

Offene Fragen

Die Nationale Gesundheitsplattform von Bertelsmann Stiftung und Fraunhofer IESA ist ein Konzept, das auf die Initiative der Stiftung zurückgeht. Es ist kein staatlicher Auftrag, sondern sieht sich eher als einen etwas stärker ausgearbeiteten Diskussionsanstoß. Entsprechend bleiben viele Fragen offen. Eine betrifft das Betreibermodell. Mehrere Vertreter:innen der Bertelsmann Stiftung betonten, dass die Stiftung selbst als Betreiberin einer solchen Plattform nicht zur Verfügung stehe. Was man sich allerdings vorstellen könne, sei, im Bereich Zertifizierung mitzuwirken.

 

Zum Thema Betreibermodell soll es in Kürze noch eine etwas umfangreichere Ausarbeitung geben. Prinzipiell sei eine staatliche Trägerschaft denkbar, allerdings wurde bei der Launch-Veranstaltung in Berlin eher für eine „staatsferne“ Verankerung plädiert. Beispielhaft genannt wurde eine als gemeinnützige Holding organisierte Dachorganisation aller relevanten Akteure mit gemeinsamer Governance-Struktur.

 

Neben der Trägerschaft stellt sich natürlich die Frage der Finanzierung. Steuer- und/oder GKV-Beitragsfinanzierung seien naheliegend, würden aber wohl nicht auf Begeisterung stoßen, sagte Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler von der Bertelsmann Stiftung. Derzeit werde deswegen an einem Vorschlag für ein genossenschaftsbasiertes Modell gearbeitet, bei dem Bürger:innen zu Miteigentümern der Plattform gemacht würden.

 

Das Publikum in Berlin reagierte auf die Vorstellung des Konzepts verhalten positiv. In anschließenden Gesprächen wurde unter anderem die Frage diskutiert, ob nicht die elektronischen Patientenakten der Krankenkassen eigentlich genau diese Plattformfunktionen erfüllen sollten. Noch-gematik-Chef Markus Leyck-Dieken war jedenfalls im Publikum und hörte sich die Sache aufmerksam an.  

 

Weitere Informationen

Konzept Trusted Health Ecosystems

https://www.trusted-health-ecosystems.org/alle-themen/konzept/