Von den 33 DiGAs auf der BfArM-Liste sind 13 dauerhaft gelistet, und von diesen erhielten neun diesen Status von Anfang an und vier „erarbeiteten“ ihn sich im Rahmen der Erprobungszeit des DiGA-Fast-Track-Verfahrens. 20 DiGA sind aktuell vorläufig gelistet, zwei sind nach vorläufiger Listung bereits wieder aus der BfArM-Liste gestrichen worden, weil sie die nötige Evidenz nicht erbringen konnten oder wollten. Interessant ist, dass bei insgesamt 149 bisher eingereichten Anträgen nur 13 vom BfArM aktiv abgelehnt wurden. Satte 81 DiGA haben den Antrag von sich aus zurückgezogen. 20 DiGA befanden sich Mitte September in aktiver Prüfung.
Wie geht’s weiter? Auch dazu äußerte sich Löbker in Berlin. Der Datentransfer in die ePA stehe auf der To-Do-Liste, außerdem gab es eine Erweiterung der Leistungen auf Hebammen und Physiotherapeuten. Eine aktuelle Baustelle sind Zertifikate für Datenschutz und Informationssicherheit, die die DiGA-Hersteller selbständig einholen sollen, nicht zuletzt, um dem BfArM die Arbeit zu erleichtern und es bei diesem Thema, das nicht in die BfArM-Kernkompetenz fällt, zu entlasten. In der politischen Pipeline ist außerdem die Rechtsverordnung zum DiGA-Geschwisterchen, den Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA). Das Schema soll hier ähnlich sein bei den DiGA: „Wir werden einen entsprechenden Leitfaden erarbeiten und voraussichtlich ab November Beratungen zu DiPA anbieten“, so Löbker.
QuasiApps-Projekt: Hürden auf mehreren Ebenen
So weit die offiziellen Zahlen und Verlautbarungen. Wie sieht die Realität aus? Die Realität wurde beim Zi-Kongress aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Carina Abels vom Lehrstuhl Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen berichtete aus dem InnoFonds-Projekt QuasiApps, das sich der fortlaufenden Qualitätssicherung von in der GKV-Regelversorgung eingesetzten Gesundheits-Apps verschrieben hat.
Im Rahmen von QuasiApps wurden Stakeholder aller Art zu Problemen und Barrieren bei der DiGA-Versorgung befragt. DiGA-seitig wurden dabei unter anderem mangelnde Nutzerfreundlichkeit, fehlende Individualisierbarkeit, Lücken bei Datenschutz und Datensicherheit, Implementierungsprobleme und ein hypothetisierter, negativer Einfluss auf die Arzt-Patienten-Beziehung genannt. Systemseitig ließen sich die Hürden aufgliedern in Probleme bei der Zertifizierung und Erlangung der Erstattungsfähigkeit, Vergütungs- und Finanzierungsprobleme und Versorgungsprobleme.
Im Detail kam bei den „systemseitigen“ Hürden erwartungsgemäß die fehlende Einbindung der Selbstverwaltung zur Sprache außerdem die Kapazitäten bei den benannten Stellen, die hinten und vorne nicht ausreichten. Thematisiert wurde auch die von vielen als zu gering angesehenen Evidenzanforderungen, wobei es hier auch genau die gegenteilige Position gab. Beim Thema Vergütung fehlt vielen eine nutzungsabhängige Dimension: „Aktuell gibt es nahezu keinen Einbezug alternativer Vergütungskonzepte wie Pay-for-Performance oder Pay-for-Use“, so Abels. Ein Problem sei im Vergütungsbereich zudem, dass viele Leistungserbringer eine mangelnde Verhältnismäßigkeit von DiGA-Vergütung und ihrer eigenen Vergütung sähen. Anders ausgedrückt: Die DiGA kostet in der Regel pro Quartal deutlich mehr als ein Leistungserbringer für einen Patienten pro Quartal erhält.
DiGA Maschine GAIA AG: „Das Problem ist nicht die Evidenz“
Unternehmensseitig kam beim Zi-Kongress unter anderem Mario Weiss von der GAIA AG zu Wort, einem DiGA-Schwergewicht. Das Unternehmen entwickelt seit zwei Jahrzehnten digitale Therapiesupportsysteme, sprang beherzt auf den DiGA Zug auf und zeichnet derzeit allein für fünf der 33 gelisteten DiGA verantwortlich. Das Unternehmen ist im Mental Health Bereich unterwegs, zu den Produkten zählen die Depressions-App Deprexis, die Fatigue-App Elevida für MS-Patienten, die Angst-App Velibra, Somnovia für Schlafstörung und, außerhalb von Mental Health, Reclarit für die Therapieunterstützung bei rheumatoider Arthritis.
Prinzipiell gehe es beim Thema DiGA wesentlich um Verhaltensmodifikation, betonte Weiss. Hier könnten DiGA punkten, denn die zeitintensive sprechende Medizin sei in der Versorgungsrealität heute oft kaum noch umsetzbar. In vielen Fällen sei die Datenlage für die Verhaltens-Apps nicht schlechter als für entsprechende Verhaltenstherapien oder Verhaltensmodifikationen durch menschliche Behandler:innen. So erreiche die Angst-App Velibra in etwa die Erfolgsquoten der kognitiven Verhaltenstherapie bei Angstpatient:innen, und ähnliches gelte für die Depressions-App Deprexis, für die es mittlerweile zwölf randomisierte Studien mit immer ähnlichen Ergebnissen gebe.
„Es geht nicht nur um Überbrückung“
Trotzdem komme gerade von Leistungserbringerseite immer wieder der Einwand, die Daten seien zu dünn. Das sei in dieser Pauschalität schlicht falsch, so Weiss: „Einige Systeme sind vergleichbar mit dem, was heute Ärzte und Psychotherapeuten leisten können.“ Es sei auch nicht richtig, dass es bei den digitalen Angeboten primär darum gehe, Wartezeiten zu überbrücken: In Zeiten des demographischen Umbruchs brauche es vielmehr Lösungen, die Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen entlasten, indem sie ärztliche/therapeutische Aufgaben (ersatzlos) übernehmen.
Weiss sieht im Wesentlichen drei Gründe, warum sich das deutsche Gesundheitssystem mit digitalen Anwendungen so schwertut. Das von Abels im QuasiApps Projekt beschriebene Ungerechtigkeitsgefühl angesichts extrem niedriger Arzthonorare kann er nachvollziehen. Selbst günstige Software wirke bei diesem Vergleich überteuert. Das zweite Problem seien Minderwertigkeitsgefühle, die daher rühren, dass sich manche als Expert:innen vom Computer ersetzt fühlen. Und das dritte Problemfeld seien „smarte Kassenmanager“, so Weiss, die versuchten, digitale Therapieangebote exklusiv anzubieten, um sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben.
Forschung zu digitalen Anwendungen durch niedergelassene Ärzt:innen
Dass es unabhängig vom DiGA-Zulassungsverfahren auch leistungserbringerseitig Bemühung gibt, Daten zu digitalen Anwendungen zu generieren, zeigte der Vortrag von Dr. Sarah Eichler vom Zi. Das Zi hatte im COVID-Kontext vor anderthalb Jahren ein Evaluationsprojekt gestartet, bei dem es um die Effektivität und Sicherheit eines digitalen Telemonitorings (remote patient monitoring, RPM) von Patient:innen mit akuten Infektionskrankheiten in den eigenen vier Wänden ging. Es handelte sich um eine randomisierte, kontrollierte Studie, in der drei Gruppen verglichen wurden, nämlich die RPM-Systeme SaniQ und Huma sowie Standardversorgung. Der Studienzeitraum betrug drei Monate, Endpunkte waren Adhärenz, Zeitaufwand, Zufriedenheit und Versorgungsqualität. Am Ende nahmen 51 Praxen an dem Projekt teil von denen jeweils 17 in jeden Studienarm randomisiert wurden.
Insgesamt zeigte die Studie, dass eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung auf diesem Weg und zumal unter Pandemiebedingungen möglich war. Die Versorgung mit Hilfe der RPM-Systeme wurde von den Ärzt:innen allerdings nicht als besser empfunden als in der Kontrollgruppe. Auch wurde die Einbindung der beiden Systeme in die bestehenden Praxisabläufe als sehr herausfordernd empfunden, und es kam, anders als erwartet, nicht zu weniger Praxisbesuchen bei Nutzung des RPM (Abbildung 2). „Insgesamt fanden wir keinen Anhalt für eine Zeitersparnis durch die RPM-Systeme“, so Eichler.