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Medizin |

Digitales Gesundheitswesen: Wie gelingt (mehr) Innovation?

Neues Jahr, neue Regierung: Grund genug, den Finger in die Wunden zu legen. Rigide gelenkte Innovation wird auch künftig nicht funktionieren.

Bild: © Ralf – stock.adobe.com, 477649502, Stand.-Liz.

Wie geht es der Digital Health Branche? Bei seiner Diskussionsveranstaltung „Winterzauber“ hat der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) sich dieser Frage aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern versucht – auch natürlich mit Blick ins Jahr 2025, das eine neue Bundesregierung und zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch eine/n neue/n Bundesgesundheitsminister:in bringen wird. Den Aufschlag machte die Start-up-Branche in Person von Luisa Wasilewski, Geschäftsführerin des Unternehmens Pulsewave, das Gesundheitsunternehmen bei der digitalen Transformation begleitet.

 

Innovatoren werden regulatorisch überladen

Ihre Situationsbeschreibung konnte eindeutiger kaum sein: „Die deutsche Digital Health Start-up-Szene ist in der Krise.“ Zwei extrem „toughe“ Jahre lägen hinter den Unternehmen: „Wir sind dabei, unsere Innovationsszene ein bisschen zu ersticken. Wenn wir so weitermachen, werden wir uns zwei, drei Jahren umgucken.“

 

Kernprobleme, so Wasilewski, seien schwierige Finanzierungsbedingungen und Überregulation. Ihr Lieblingsbeispiel: Value-Based-Healthcare bei Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Das deutsche Gesundheitswesen schaffe es seit Jahrzehnten nicht, funktionierende Value-Based-Healthcare-Modelle zu etablieren: „Waren genau machen wir das jetzt bei den Start-ups? Die haben schon genug Themen.“

 

„Gift für die Digitalisierung“

Die Probleme des deutschen Digital Health Markts erkenne man auch daran, so Wasilewski, wie Unternehmen aus anderen Ländern agierten. Alle schauten sich Deutschland an, weil es ein interessanter und großer Markt sei. Wer sich dann mit dem deutschen Markt ein wenig auseinandergesetzt habe, der gehe letztlich aber doch eher nach Frankreich oder Großbritannien: „Wir sagen Start-ups auch oft: Geht erstmal in ein anderes europäisches Land und kommt nach ein paar Jahren wieder.“

 

Dass ausländische Unternehmen „ganz schnell den Abgang machen“, sieht auch bvitg-Vorstand Matthias Meierhofer von der Meierhofer AG als Hinweis darauf, dass der deutsche Digital Health Markt schwierig ist. Die zwischen Bund, Ländern und Organen der Selbstverwaltung extrem breit gestreute Regulierungsverantwortung hält er für besonders problematisch: „Jeder, der eine eigene Regulation baut, ist Gift für die Digitalisierung.“ Eine Reform der Verantwortlichkeiten im Bereich Digitalisierung sei zwar mit der Neugestaltung von gematik und Interoperabilitätsgremien angegangen worden, gehe aber noch nicht weit genug.

 

Malefiz-Mentalität als Nebenwirkung von Regulierung

Patrick Lang, Mitgründer von Dermanostic, nahm sich mit der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) ein andere Regulierungsebene vor, die es Unternehmen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa schwierig macht. Die umfangreichen Zertifizierungsprozesse, die digitale Medizinprodukte in Europa durchlaufen müssen, hält er nicht grundsätzlich für falsch. Sie würden aber der hohen Innovationsdynamik speziell bei Einsatz von KI-Komponenten nicht gerecht. Wenn es zwei Jahre dauere und hohe finanzielle Aufwände erfordere, um eine Zulassung zu erhalten für ein Produkt, bei dem die KI dann schon wieder veraltet ist, wenn es auf den Markt kommt, dann sei das nicht innovationsförderlich.

 

Lang fühlt sich bei der gegenwärtigen MDR-Zertifizierungslandschaft an das alte Malefiz-Spiel erinnert. Bei diesem Brettspiel legt derjenige, der gerade vorne liegt, den anderen kleine Steinchen in den Weg, um es ihnen möglichst schwer zu machen. Überkomplexe Regulation, so die Botschaft, werde – quasi als unerwünschte Nebenwirkung – von Unternehmen auch dazu genutzt, die Konkurrenz auszubremsen.

 

Dirigistische Digitalisierung klappt nicht

Andrea Galle, Vorständin von mkk – meine krankenkasse, vermisst weniger im Digital Health Sektor als im Gesundheitswesen generell ein gemeinsames Zielbild, das ihrer Auffassung nach stark auf Prävention ausgerichtet sein müsste. Prävention, so Galle, brauche Innovation wie kaum ein anderes Thema im Gesundheitswesen: „Wir nennen häufig Dinge Innovation, in denen wenig Innovation drinsteckt.“

 

Galle denkt hier zuerst an den so genannten Innovationsfonds, in den mittlerweile 1,2 Milliarden Euro reingeflossen seien, ohne dass dort pilotierte Anwendungen in nennenswertem Umfang in die breite Versorgung gekommen seien: „Man kann innovative Lösungen nicht dirigistisch initiieren und dabei den Proporz wahren. Dann bleibt Innovation auf der Strecke.“

 

Die Kraft der Strukturen nutzen

Was tun? Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg warnte vor dem naiven Glauben, es müsse nur genug politischer Druck auf einzelne Akteure ausgeübt werden, dann passiere Digitalisierung quasi von selbst: „Wir wollten nicht darüber reden, wie wir Druck ausüben. Wir sollten auch nicht so lange lamentieren, bis die anderen nachgeben. Die Frage ist: Was müssen wir tun, damit die Selbstverwaltung ein ureigenes Interesse hat, so einen Prozess voranzuschieben?“

 

Letztlich, so Weber, sei es am erfolgversprechendsten, innerhalb des existierenden Systems konkrete Anreize zu schaffen und die einzelnen Akteure auf diese Weise quasi auf die Schiene zu setzen: „Dann habe ich die ganze Kraft, die in dem System steckt.“ Letztlich ähnele das Vorgehen dem des Change Managements auf Ebene von Unternehmen, wo es nicht darum gehe, Druck auf Mitarbeiter:innen auszuüben, sondern dem und er Einzelnen jeweils den individuellen Weg zu zeigen: „Man muss in jedem System gucken, wo das Gaspedal ist, und da muss man ran. Dann muss man nur noch dafür sorgen, dass auch das Lenkrad in der richtigen Richtung steht.“