„Integrierte Versorgung ist ein Buzz-Word“ – mit diesem Satz beginnt das Positionspapier „Integrierte Versorgung 5.0“, das die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung (DGIV) und die Berater des Berliner Unternehmens _fbeta gemeinsam vorgelegt haben. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist der Begriff Teil des gesundheitspolitischen Vokabulars in Deutschland. Kein Wunder, ist das, was integrierte Versorgung (IV) beschreibt, eigentlich ja unmittelbar einsichtig: Ein Gesundheitswesen sollte nicht um die Bedürfnisse ambulanter, stationärer und anderer Sektoren herum organisiert werden, sondern um die Bedürfnisse der Patient:innen. Und im Idealfall sollte es dabei nicht (nur) um die Versorgung bei Krankheit gehen, sondern auch um den Erhalt von Gesundheit.
Das zu erreichen, hat sich die Politik in den letzten Jahrzehnten diverse Maßnahmen einfallen lassen: die integrierte Versorgung nach §140 SGB V, die hausarztzentrierte Versorgung nach §73 SGB V, die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen. All funktionierte mal besser, mal schlechter. Es hat punktuell Fortschritte gebracht, aber zu einer systematischen Veränderung des deutschen Gesundheitswesens hat es nicht geführt. Zuletzt wurde mit dem Innovationsfonds ein weiterer Anlauf unternommen, der immerhin und weiterhin dreistellige Millionenbeträge im Jahr unters Volk bringt. Der Inno-Fonds beschäftigt zwar viele Gremien, zeigt aber erschreckend wenige Versorgungsresultate.
Digitale Einzelkomponenten für IV sind zunehmend vorhanden
Das Positionspapier von DGIV und _fbeta fasst all das gut zusammen, schon dafür lohnt die Lektüre. Die Autoren listen auch digitale Komponenten auf, die eine integrierte Versorgung im Prinzip unterstützen könnten. Darunter sind der mittlerweile teilweise digitale Terminservice im ambulanten Sektor, außerdem Telemedizin und Videosprechstunden, digitale und hybride Lösungen für Pflege und kurative Medizin (DiPA, DiGA), die Unterstützung digitaler Patientenpfade wie im digitalen Diabetes-DMP und natürlich das gesamte Applikationsspektrum der Telematikinfrastruktur.
Viel davon wurde in den letzten Jahren durch E-Health-bezogene Gesetzgebungen etabliert, anderes ist Bestandteil laufender Gesetzgebungsverfahren. Allerdings fehlt vielfach noch die Verknüpfung mit der Versorgungspolitik. Im Ergebnis handelt es sich deswegen oft um digitale Insel-Anwendungen, die, da nicht optimal in die Versorgung integriert, von den Versorger:innen nicht selten als lästig empfunden werden. Aufbauend auf diesen und anderen Komponenten skizziert das Positionspapier von DGIV und _fbeta unter dem Stichwort „Integrierte Versorgung 5.0“ jetzt ein Versorgungsmodell, das stark auf hybride Versorgungsszenarien setzt und das neben Krankenkassen und medizinischen Einrichtungen auch die Patient:innen als eigenverantwortliche mitwirkende Akteure einbezieht.
Zielbilder und Handlungsfelder
Konkret werden drei Zielbilder und eine Reihe von Handlungsfeldern formuliert. Zielbild ist zum einen ein Wettbewerb auf Ebene der Versorgungsangebote. Dieser wird umso besser funktionieren, je stärker digitalisiert die Versorgungsprozesse sind. Eng damit verknüpft ist ein Wettbewerb auf Ebene des Versorgungsmanagements. Ermöglicht wird all das politisch durch ein drittes Zielbild, nämlich eine kooperative Strukturplanung unter zwingender Einbeziehung digitaler Angebote.
Dass das alles leichter gesagt ist, als getan, ist den Autor:innen des Positionspapiers bewusst, Entsprechend formulieren sie ehrgeizige Handlungsfelder, die politisch adressiert werden können, um den drei Zielbildern zumindest näher zu kommen. Dazu gehört zuvorderst der (schon lange geforderte) Perspektivwechsel weg von „nur Krankheiten versorgen“ hin zu „auch Gesundheit erhalten“, der, wenn er funktionieren soll, vergütungstechnisch hinterlegt werden muss. Was die hybride Strukturplanung im kollektivvertraglichen System angeht, wird empfohlen, zunächst größere Versorgungsszenarien abzustecken – etwas Prävention und Risikofaktoren, Junge Familien, Akut- und Notfallversorgung oder Chronische Erkrankungen. Strukturplanungen für diese Szenarien sollten dann konsequent sektorübergreifend und unter Einbeziehung digitaler Angebote erfolgen.
Auf Seiten der Anreize müsse „gleiches Geld für gleiche Leistung“ gelten, zum einen sektorübergreifend, zum anderen was analoge Leistungen einerseits und digital bzw. hybrid erbrachte Leistungen andererseits angeht. Eine Kopplung der Vergütung an Ergebnisqualität aus Patientenperspektive wird angeregt, außerdem eine digitale Reifegradmessung auf Ebene der medizinischen Einrichtungen. Schließlich, und das ist aus E-Health-Sicht sicher das Herzstück, müsse es gelingen, Plattformen zu etablieren, die nicht nur Daten speichern, sondern auch (Versorgungs-)Prozesse digital abbilden können.
Weitere Informationen:
Das Positionspapier „Integrierte Versorgung 5.0“ zum Download:
https://fbeta.de/wp-content/uploads/2023/08/Positionspapier-IV-5.0.pdf