Jens Spahn macht Wahlkampf, aber sein Team im Bundesgesundheitsministerium (BMG) lässt bei der Digitalisierung die Zügel nicht schleifen. Jetzt wurde der Referentenentwurf für eine Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung vorgelegt, kurz IOP Governance-Verordnung oder – ganz kurz – GIGV genannt. Kleine Rückschau: Das Interoperabilitätsverzeichnis ‚vesta‘ wurde von der gematik am 30. Juni 2017 eröffnet. Es soll dazu beitragen, dass bei der digitalen Kommunikation im Gesundheitswesen einheitlichere technische und vor allem auch semantische Standards gelten.
Koordinierungsstelle bis Ende November
Das Ganze funktioniert bisher eher mittelgut, wie unter anderem die gematik in ihrem zweiten Bericht an den Deutschen Bundestag im Januar 2021 zu Protokoll gab. Die Erwartungen an die Plattform und die damit einhergehenden Kommunikationsprozesse seien bisher nicht vollständig erfüllt worden. ‚Vesta‘ werde „bislang nicht als zentrales Werkzeug zur Schaffung von Interoperabilität verstanden“, so das BMG in seinem GIGV-Referentenentwurf.
Das soll sich jetzt ändern, und zwar durch die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur Herstellung von Interoperabilität im Gesundheitswesen. Sie soll bei der gematik angesiedelt und von einem Expertengremium fachlich unterstützt werden. Gleichzeitig soll ‚vesta‘ zu einer „Wissensplattform für Interoperabilität im Gesundheitswesen“ weiterentwickelt werden. Zeitlich ist das alles schon recht konkret: Die gematik soll die Koordinierungsstelle bis spätestens zum 30.11.2021 einrichten.
Experten sollen ein Entscheidergremium sein
Zu diesem Zeitpunkt ist dann auch das Expertengremium zu benennen, dessen Besetzung die Koordinierungsstelle bei der gematik „im Einvernehmen mit dem BMG“ bestimmt. Die Ernennung soll für drei Jahre erfolgen, in der ersten Periode sollen es aber nur 18 Monate sein. Begrenzt wäre die Amtszeit einzelner Mitglieder dem Entwurf zufolge auf sechs Jahre. Vorschläge für die Zusammensetzung des ersten Expertengremiums sind bis 31.10.2021 an das BMG zu übermitteln.
Das Expertengremium soll insgesamt sieben Mitglieder haben, inklusive eines/einer Vorsitzenden. Von den sieben Mitgliedern muss je eines aus den Bereichen Anwender, IT-Bundesverbände, Bundesländer, Standardisierungsorganisationen, Fachgesellschaften/Verbände, wissenschaftliche Einrichtungen und Patientenorganisationen kommen. Zusätzlich soll die Koordinierungsstelle im Einvernehmen mit dem Expertengremium IOP-Arbeitsgruppen einsetzen können, die themenspezifisch arbeiten und die das Expertengremium und die Koordinierungsstelle unterstützen.
Entscheidend ist, dass das Gremium als ein Entscheidergremium, nicht als reines Beratungsgremium angelegt ist. Damit wird eine langjährige Forderung von Standardisierungsexpert:innen und auch von vielen IT-Unternehmen erfüllt: „Über die Aufnahme technischer, semantischer und syntaktischer Standards, Profile und Leitfäden für informationstechnische Systeme in die Wissensplattform ist […] durch das Expertengremium […] zu entscheiden“, heißt es im §6 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs. Lediglich bei den von der KBV (über den MIO-Prozess gemäß §355 SGB V) einfließenden Standards wird das Expertengremium nur „ins Benehmen gesetzt“. In den MIO-Prozess sind Standardisierungsexpert:innen allerdings ohnehin schon eng eingebunden.
Money, money, money
Was die Wissensplattform angeht, soll die derzeit sehr sperrige ‚vesta‘-Webseite weiterentwickelt werden, um für mehr Transparenz und leichtere Zugänglichkeit zu sorgen. §10 des Verordnungsentwurfs enthält hier eine ganze Reihe von Punkten, darunter die Auflistung aller technischen, semantischen und syntaktischen Standards „in einer Art, dass alle zur Implementierung von Anwendungen notwendigen Informationen verfügbar sind.“
Neben der fehlenden Entscheidungskompetenz für die Expert:innen war ein weiterer Kritikpunkt an ‚vesta‘ in der Vergangenheit die latente Erwartung, dass die Beratungsleistungen mehr oder weniger unentgeltlich erbracht werden müssen. Der Referentenentwurf enthält jetzt auch einen Passus zum Thema Finanzierung. Demnach entstehen für die Entwicklung der Wissensplattform einmalige Kosten in Höhe von 400.000 Euro, zuzüglich 40.000 Euro pro Jahr für Pflege und Wartung. Für „Arbeitsaufwände und Reisekosten“ des siebenköpfigen Expertengremiums sind 84.000 Euro im Jahr vorgesehen, die IOP-Arbeitsgruppen erhalten in Summe 65.000 Euro im Jahr.
Lob und Kritik
Für HL7-Expertin Prof. Dr. Sylvia Thun vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung geht der Referentenentwurf in die richtige Richtung: „Die Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung ist ein wichtiger Schritt für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.“ Sie bringe die fachlichen Anforderungen aus ÖGD, Forschung und Versorgung zusammen: „So entstehen Spezifikationen, die die Patientenversorgung verbessern und die Patientensicherheit erhöhen, die Forschung ermöglichen und einen Vendor-Lock-In verhindern.“
Nicht uneingeschränkt begeistert sind dagegen die Kostenträger, die den GIGV-Entwurf nutzen, um schon länger geäußerte Kritik noch einmal zu betonen. So sollte die Rolle der gematik nach Auffassung der BARMER auf eine die GKV und die Selbstverwaltung unterstützende Funktion beschränkt bleiben. Nicht zuletzt stört sich die Krankenkasse auch an der Finanzierung von gematik, Wissensplattformen und Expertengremien aus Beitragsgeldern: „Es kann nicht sein, dass eine mehrheitlich vom BMG getragene Einrichtung ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird.“ Daher müsse in der kommenden Legislaturperiode zwingend über die zukünftige Rolle der gematik und die Aufgaben der Selbstverwaltung in diesem Zusammenhang entschieden werden.