In der Krebsversorgung und anderswo wächst der Bedarf an Spezialist:innen, bei denen aber niemand weiß, wo sie eigentlich herkommen sollen. Gleichzeitig kollidieren Forderungen nach einer Zentrenbildung mit dem verbreiteten Wunsch nach einer dezentralen, wohnortnahen Versorgung. Wie geht das alles zusammen? Kann es überhaupt zusammengehen?
Innovativ versorgen, ohne zu reisen
Eine mögliche Antwort könnten digital hinterlegte Behandlungspfade sein, die Zentren mit relevanten Akteur:innen vor Ort und natürlich mit den Patient:innen vernetzen. Ein spannendes, derartiges Projekt startet jetzt das Onkologische Zentrum der Johanniter Kliniken Bonn unter Leitung von Prof. Dr. Yon-Schun Ko. An dem Projekt ist außer den Johannitern noch das niederländische Unternehmen Luscii beteiligt, Anbieter einer als Medizinprodukt Klasse IIa zertifizierten Telemonitoring-Plattform mit passender App, außerdem der Patienten- und Fallaktenanbieter DoctorBox sowie der Inkubator RoX Health.
Konkret geht es um hämatologische und onkologische Patient:innen unter laufender Systemtherapie. Bei diesen müssen zum einen Vitalparameter wie Körpertemperatur und Blutdruck, aber auch Laborwerte überwacht werden. Natürlich geht es bei Krebstherapien immer auch um Symptome, Nebenwirkungen und das subjektive Befinden.
„Hybriden Versorgungsformen gehört die Zukunft“
In dem Bonner Projekt werden relevante Vitalparameter von den Patient:innen selbst erhoben und dokumentiert und via App an das Zentrum übermittelt. Gleichzeitig werden die Betroffenen an wichtige Termine erinnert, darunter ein- bis zweimal pro Woche an Blutentnahmen, die ohne Anfahrt in wohnortnahen Apotheken stattfinden. Zur Koordination dieser Blutentnahmen mit all der damit zusammenhängenden Logistik sowie der Datenübermittlung ins Zentrum wird die DoctorBox Plattform genutzt. Gibt es Probleme, kann das Fachpersonal aus dem Zentrum über die Luscii- und DoctorBox-Plattformen mit den Patient:innen digital in Verbindung treten, über Chat oder auch Videokanal.
Das Projekt ist nicht nur wegen der Telemedizinkomponenten, sondern auch wegen der in die Apotheken ausgelagerten und digital eingebetteten Diagnostik hoch interessant. Julian Maar, COO von DoctorBox, denkt bereits weiter: „Wir sind überzeugt, dass der Beginn mit onkologischen Behandlungspfaden den Weg für eine niedrigschwelligere Diagnostik ebnen wird.“ Auch Jeremy Dähn, CDO der Johanniter GmbH, ist von dem Projekt überzeugt: „Hybriden, digital unterstützten Versorgungsmodellen gehört die Zukunft.“
Neue Vision für Krebszentren
Auch andere denken in der Krebsversorgung in diese Richtung. Bei einer Veranstaltung von Daiichi Sankyo und der Ärzte Zeitung hat Johannes Bruns von der Deutschen Krebsgesellschaft kürzlich ein Versorgungskonzept umrissen, das stark auf Digitalisierung setzt. Bruns plädierte für neuartige Krebszentren, die wohnortnahe Versorger:innen gezielt, weitgehend digital und mit Qualitätssicherung hinterlegt unterstützen. Diese Zentren – Krankenhausreform lässt grüßen – dürften nicht im Wettbewerb um DRGs stehen, sondern müssten vielmehr als Dienstleister agieren – für Deutschland ein komplett neuer Ansatz.
Vernünftig umgesetzt, könnten auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, sagte Prof. Dr. Frank Griesinger aus Oldenburg, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie. Es würde nämlich möglich, dass sich Ärzt:innen in den Zentren sehr viel stärker als bisher spezialisierten. Gleichzeitig müssten nicht zwangsläufig sehr viel mehr Krebsspezialisten als bisher ausgebildet werden, sofern die Zentren auf hohen Patientendurchsatz angelegt sind.
Dass das ohne leistungsfähige digitale Infrastrukturen nicht gehen wird, ist offensichtlich. Die elektronische Patientenakte (ePA) allein wird dafür nicht reichen. Es braucht viel mehr mit strukturierten Daten hinterlegte, klinische Versorgungspfade, die dezentrale Einrichtungen und Zentren vernetzen und die gleichzeitig sicherstellen, dass niemand durchs Raster fällt.