Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht im Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) einen wichtigen Neuanfang für das deutsche Gesundheitswesen, das sagte er beim diesjährigen Summit der Initiative Vision Zero in Berlin: „Die frühere gematik wird als Digitalagentur wiedergeboren.“ Dass die gematik künftig nicht nur Spezifikationen vorlegen, sondern auch im Auftrag der Bundesregierung in größerem Umfang als bisher Ausschreibungen und Vergaben durchführen könne, sei ein wesentlicher Fortschritt.
Der Minister hob im Zusammenhang mit dem GDAG außerdem die Ausweitung des Aufgabenspektrums des Kompetenzzentrums für Interoperabilität im Gesundheitswesen hervor sowie die erweiterten Kompetenzen und Sanktionierungsmöglichkeiten, die die gematik im Hinblick auf die Definition von Standards für Primärsystemhersteller erhalte.
Vom Recht auf Gefundenwerden.
Das war es dann allerdings auch schon in Sachen GDAG, immerhin ein Gesetzentwurf, bei dem zwischen erster Ankündigung und letztendlicher Vorlage annähernd anderthalb Jahre vergangen sind. Viel ausführlicher stieg Lauterbach einmal mehr in sein Lieblingsthema ein, die KI in medizinischer Versorgung und Forschung. Die betrachtet er als ein Vehikel, mit dem das Gesundheitswesen quasi auf eine neue Bewusstseinsebene gehoben wird.
Unter anderem schwärmte er verzückt von einer Art Erklär-Bär-KI-Anwendung, die den Patient:innen die Inhalte ihrer ePA und mögliche Therapieoptionen – „auch zum Beispiel Fehler in der Behandlung“ – geduldig und empathisch erläutert, sozusagen eine KI-hinterlegte Renaissance der sprechenden Medizin. In Sachen Forschung stellt sich Lauterbach auf Basis der im Forschungsdatenzentrum zusammenlaufenden, pseudonymisierten Patientendaten eine Art Dating-App vor, mit deren Hilfe Wissenschaftler:innen und an einer Studienteilnahme interessierte Patient:innen sich gegenseitig datenbasiert finden: It’s a match! Das maßgeblich im Rahmen der Vision Zero Initiative erdachte und ausgearbeitete „Recht auf Gefundenwerden“ erlebt in dieser Vision eine erste Konkretisierung.
GDAG-Entwurf: Scharfe Kritik der Industrie
Während der Minister auf Wolke sieben von Emergenz in KI-Zeiten philosophierte, trudelten in Sachen GDAG derweil die ersten ausführlicheren Stellungnahmen ein. Der bvitg legt ein Kommentierungspapier mit satten 39 Seiten vor. Aus Sicht des Industrieverbands greift der Gesetzentwurf zu kurz. Der Verband sieht die relevanten Stakeholder nicht ausreichend repräsentiert, insbesondere die Gesundheitsindustrie sei bei der Festlegung technischer, semantischer und syntaktischer Standards nicht genug eingebunden.
Befürchtet wird zudem eine Einschränkung des Wettbewerbs durch regulatorische Vorgaben in der ganzen Breite der Healthcare-IT. Statt eines verlässlichen Rahmens für Kooperation präsentiere der GDAG-Entwurf einen nicht abschießend definierten Aufgabenzuwachs der gematik und lasse zudem bei deren neuer Organisationsstruktur ebenfalls Raum für Interpretationen, so bvitg-Geschäftsführerin Melanie Wendling.
„Nicht verfassungskonform“
Entsprechend schlägt der bvitg in seiner Stellungnahme bei einer ganzen Reihe von GDAG-Inhalten vor, sie ersatzlos zu streichen. Unter anderem soll die Digitalagentur, geht es nach dem Verband, keine Dienstleistungen für andere öffentlich-rechtliche Stellen erbringen dürfen. Die erweiterten Befugnisse für Ausschreibung und Vergabe von Diensten, die nicht „zentral“ sind und „nur einmalig vorhanden“ sind, wird als nicht verfassungskonforme Verstaatlichung abgelehnt. Auch für den Plan, dass von der Digitalagentur vergebene Komponenten und Dienste das Zulassungsverfahren der Digitalagentur nicht durchlaufen müssen, gibt es ein klares Nein.
Der Verband wendet sich außerdem gegen eine verbindliche Festlegung von Standards für die Benutzerfreundlichkeit, da dies der Individualität der Nutzer:innen nicht gerecht werde und zudem innovationsfeindlich sei. Deutliche Kritik gibt es schließlich an der Ausweitungen der Rahmenvereinbarungen des KV-Systems mit den Praxis-IT-Herstellern in Richtung Datenmigration und Systemwechsel und an dem Plan, bei der Digitalagentur anfallende Gebühren für Hersteller bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung zu reduzieren.
Ärzteverbände begrüßen weite Teile des GDAG-Entwurfs
Erwartungsgemäß anders fallen die Reaktionen der Verbände und Körperschaften niedergelassener Ärzte aus. Vom Hausärzteverband werden weite Teile des GDAG begrüßt, darunter die neuen Interoperabilitätspflichten und Schnittstellenregeln sowie die Bußgeldregelungen. Auch die Ergänzungen zu den Rahmenvereinbarungen für die Praxis-IT-Systeme werden „überwiegend positiv bewertet“, dabei explizit auch die Aufnahme von Migrationspflichten bei Systemwechsel. Wie der bvitg stellt allerdings auch der Hausärzteverband die Frage, ob die Rahmenvereinbarung der richtige Ort für diese Art von Verpflichtungen ist.
Insgesamt positiv gestimmt ist auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die den GDAG-Entwurf auf 17 Seiten ebenfalls ausführlich kommentiert: „Mit dem Gesetzentwurf wird ein effektives Steuerungsmodell mit einer Ende-zu-Ende-Verantwortung der Agentur angestrebt [den Erfahrungen beim eRezept] Rechnung trägt“, so KBV-Vorständin Dr. Sibylle Steiner. Insbesondere dass die Digitalagentur mehr Möglichkeiten an die Hand bekomme, für eine stabilere Telematikinfrastruktur zu sorgen, sei angesichts der Erfahrungen der letzten Monate zu begrüßen.