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Forschung |

Medizininformatik-Initiative: Fundament für medizinische Forschung mit Routinedaten der Krankenversorgung

Digitale Lösungen beim Hauptstadtkongress präsentiert

„Die Pandemie hat die Medizininformatik-Initiative und ihre Protagonisten unvermittelt ins Rampenlicht gerückt und unter größtem Zeitdruck auf eine Bewährungsprobe gestellt – und sie haben die Probe mit Bravour bestanden. Dies zeigt sich insbesondere in der engen Zusammenarbeit und Unterstützung beim Aufbau des Netzwerks Universitätsmedizin“, sagte Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), heute beim Hauptstadtkongress in Berlin.

 

 

Im seit März 2020 vom BMBF geförderten Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) werden die medizinischen Daten der Covid-19-Patientinnen und -Patienten systematisch erfasst und in der Datenbank CODEX gebündelt. „Ohne die Infrastruktur und das Know-how der Medizininformatik-Initiative wäre der Aufbau der CODEX-Datenbank in so kurzer Zeit nicht gelungen. Aus der Analyse der CODEX-Daten ergeben sich neue Erkenntnisse, die zum Beispiel genutzt werden können, um Ansätze für neue Therapien zu entwickeln“, betonte Rachel. 

 

 

In seinem Grußwort zur digitalen Session der Medizininformatik-Initiative (MII) „Digitalisierung: Meilensteine für die medizinische Forschung - Die Medizininformatik-Initiative des BMBF“ stellte er die Bedeutung der Datenintegrationszentren an den Unikliniken als das „Herzstück der Medizininformatik-Initiative“ heraus. Die MII schaffe die Basis für eine neue Qualität der gemeinsamen Datennutzung: „Sie bildet eine bundesweite Infrastruktur, um Routinedaten standortübergreifend nutzen zu können. Sie ist das Fundament für die medizinische Forschung mit Daten aus der klinischen Versorgung“, so Rachel weiter.

 

 

In der MII arbeiten alle Universitätsklinika Deutschlands an über 30 Standorten gemeinsam mit weiteren Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretungen daran, die datengestützte Gesundheitsforschung zu stärken und so die medizinische Versorgung zu verbessern. Die in vier Konsortien organisierten universitätsmedizinischen Standorte haben Datenintegrationszentren errichtet und IT-Lösungen für über ein Dutzend konkrete Anwendungsfälle entwickelt. Die MII wird vom BMBF bis zum Jahr 2022 mit rund 180 Millionen Euro gefördert. Die Koordinationsstelle der MII wird von der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. geleitet.

 

 

TMF-Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Michael Krawczak, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, bezeichnete die Corona-Krise in seinem Impulsvortrag auch als „Missing Data“-Krise. Die häufig unzulängliche Datenlage sei in der Pandemie besonders deutlich geworden. Die Digitalisierung der Medizin müsse schneller vorangehen. Für die medizinische Forschung und als Grundlage für politische Entscheidungen sei eine umfassende Datenbasis notwendig, auch um auf zukünftige Krisen besser vorbereitet zu sein. Die MII sei ein entscheidender Baustein auf diesem Weg.

 

 

Mehrwert der MII-Infrastruktur für Forschung und Versorgung

Prof. Dr. Karl-Walter Jauch, ehemals Ärztlicher Direktor des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die MII als Leuchtturmprojekt für die Digitalisierung der medizinischen Forschung und Vernetzung der Unikliniken in Deutschland. Die bundesweite Initiative habe strukturelle und funktionale Fortschritte erreicht: Eine bundesweit einheitliche Patienteneinwilligung für die Nutzung von Daten und Biomaterialien für vielfältige medizinische Forschungszwecke (Broad Consent) wurde abgestimmt und von den Datenschutzbehörden akzeptiert. IT- und medizinische  Datenstandards wie LOINC und SNOMED CT wurden eingeführt. Eine wichtige Voraussetzung für die standortübergreifende, interoperable Datennutzung seien die in der MII an 29 Standorten aufgebauten Datenintegrationszentren, die die deutschlandweite Infrastruktur für datengetriebene Forschung in der Medizin bilden.

 

Prof. Dr. Dr. Melanie Börries, Universitätsklinikum Freiburg, machte am Beispiel des Molekularen Tumorboards deutlich, wie IT-Lösungen Ärztinnen und Ärzte in der Therapieempfehlung unterstützen können. In Molekularen Tumorboards bespricht ein interdisziplinäres Team, welche Therapieoptionen die besten Chancen zur Bekämpfung eines Tumors bieten. Am Universitätsklinikum Freiburg wurde im Rahmen der MII ein Verfahren zur Aufbereitung und Visualisierung von genetischen Sequenzierungsdaten entwickelt, das an die weiteren Universitätsklinika verteilt wird. Ziel ist, Patientinnen und Patienten mit seltenen Tumorerkrankungen zu identifizieren und ihnen zielgerichtete Therapien anbieten zu können.

 

Die in der MII entwickelte ASIC-App (Algorithmic Surveillance in Intensive Care) stellte Prof. Dr. Gernot Marx, Uniklinik RWTH Aachen, vor. Die mobile Anwendung zur intelligenten Nutzung routinemäßig verfügbarer Daten ist das erste zertifizierte Medizinprodukt der MII und bereits im Einsatz auf den Intensivstationen mehrerer Unikliniken. Weisen die Werte eines Intensivpatienten auf ein bevorstehendes akutes Lungenversagen hin, erhalten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte per App sofort eine Warnung sowie einen Hinweis auf geeignete Leitlinien. Dadurch können sie deutlich früher Diagnosen stellen und Maßnahmen ergreifen. Das Frühwarnsystem optimiert so auch die Versorgung von Covid-19-Patientinnen und -Patienten.


Nächste Schritte der MII: von der Uniklinik zur Hausarztpraxis

Im zweiten Teil der Session wurde ein Ausblick auf die Ausweitung der MII-Strukturen auf den niedergelassenen Sektor am Beispiel der „Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit“ gegeben. Zentrales Ziel der vom BMBF in diesem Jahr initiierten Hubs ist es, die Verfügbarkeit von Daten und die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren der Gesundheitsversorgung zu verbessern - von der stationären und ambulanten Behandlung bis hin zur Rehabilitation und Nachsorge in der Hausarztpraxis. Dadurch sollen künftig auch regionale Versorgungsdaten unter Beachtung des Datenschutzes der Forschung helfen, Versorgungskonzepte und Therapien gezielt zu verbessern. Die MII geht damit einen wichtigen Schritt in der Ausweitung der digitalen Lösungen von den Unikliniken auf den niedergelassenen Sektor. In einem der sechs geförderten Vorhaben wird beispielsweise ein Patienten- und Ärzteportal eingerichtet. Es soll die Vernetzung der Universitätskliniken mit nachsorgenden und mit betreuenden niedergelassenen Ärzten verbessern und Patientenbeteiligung in und an Forschung ermöglichen.

 

Im Ausblick ging Sebastian C. Semler, TMF e.V./MII-Koordinationsstelle, auf die Vernetzung der MII mit der forschungskompatiblen elektronischen Patientenakte (ePA) ein. Ab 2023 haben Versicherte die Möglichkeit, die in der ePA abgelegten Daten freiwillig und pseudonymisiert für die medizinische Forschung bereitzustellen. Wichtig sei nun, die gesetzlich verankerten Möglichkeiten der Nutzung von Versorgungsdaten für die Forschung konsequent und sicher umzusetzen. Dafür sei eine Bündelung und Koordination seitens der Forschung notwendig. „Die MII ist die ideale Plattform, um diesen Dialog mit der Gematik zu führen und die Forschungsnutzung der ePA-Daten voranzubringen“, sagte Semler mit Blick auf die nächste Förderphase der MII ab 2023.

 

Die nächsten Schritte der Initiative diskutierten Expertinnen und Experten der MII bereits am Vortag des Hauptstadtkongresses bei der 4. MII-Jahresversammlung und einem anschließenden Stakeholder-Treffen. Vertreterinnen und Vertreter von Patientenorganisationen, Politik und Behörden, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen, Verbänden und aus der Industrie brachten dabei ihre Expertise in die weitere Ausgestaltung ein.


Quelle: MII