Gemeinsam mit Kolleg:innen in ganz Europa arbeitet Johannes Gregori, Professor für Physik und Industrielle Bildverarbeitung am Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaften, daran, die Brustkrebsdiagnostik auf eine neue Basis zu stellen. Ultraschall, Mammografie, MRT-Bilder, Biopsie, Genanalysen – bislang werden die Ergebnisse aus all diesen Einzeluntersuchungen getrennt betrachtet und bewertet. Eine Schwachstelle, meint Physiker Gregori, der seit zwei Jahren an der h_da lehrt und forscht. „Es gibt eine Lücke zwischen dem, was wir diagnostizieren, und dem, was wir in der Therapie erreichen könnten. Mit dem Projekt BosomShield wollen wir diese Lücke schließen.“ Verschiedene Diagnose-Techniken sollen kombiniert werden, um so zu präziseren Diagnosen zu kommen. Konkret erhoffen sich die Wissenschaftler:innen dadurch exaktere Erkenntnisse über Tumortyp, Rezidiv-Wahrscheinlichkeit und mögliche Therapien. Das Projekt könnte also einen Beitrag dazu leisten, die Überlebenschancen von Brustkrebspatientinnen zu erhöhen.
Insgesamt acht Universitäten und zwei Industriepartner in Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Schweden, Slowenien, Spanien und Polen sind am Projekt BosomShield beteiligt. Koordiniert wird es von der Universität Rovira i Virgili in Tarragona, Spanien. Gefördert wird das Vorhaben von der Europäischen Union im Rahmen des Marie Sklodowska-Curie Doktorandennetzwerks, das an jedem der zehn Standorte einen Doktoranden bzw. eine Doktorandin finanziert. Da die Nachwuchsforschenden nicht aus dem Land stammen dürfen, in dem sie eingestellt wurden, musste jede Stelle international ausgeschrieben werden. Gregoris Doktorand Yaqeen Ali kommt aus Pakistan, hat den Master in Informatik an der COMSATS University in Lahore gemacht und wurde über eine internationale PhD-Website auf die Ausschreibung aufmerksam.
Im Projekt bearbeitet jeder der europäischen Partner einen speziellen Aspekt. „Ein Kollege beschäftigt sich zum Beispiel mit dem Thema relapse prediction, also mit der Rückfallwahrscheinlichkeit bei einem Tumor“, erläutert Ali. „Andere konzentrieren sich auf die Auswertung von Mammografiebildern, wieder andere auf histologische Bilder und so weiter.“ Von deutscher Seite ist das auf medizinische Bildgebung spezialisierte Heidelberger Unternehmen "mediri" an Bord, das Gregori vor seinem Wechsel an die h_da acht Jahre lang als Geschäftsführer leitete. Yaqeen Ali ist in Heidelberg angestellt und wird als Doktorand fachlich an der h_da betreut.
Während die Partnerinstitutionen also einzelne Puzzleteile zuliefern, setzen Gregori, Ali und weitere Teammitglieder in Darmstadt und Heidelberg alles zusammen: „Wir arbeiten an einem computergestützten Diagnose-System (CAD), in dem sämtliche Datensätze zu einer Patientin hochgeladen und für die Auswertung miteinander kombiniert werden können“, berichtet Professor Gregori. Dabei sollen strengste Datenschutzregeln gewahrt bleiben. „Ansätze hierzu gibt es schon, aber in unserem Projekt werden erstmals wirklich alle Daten und Auswertungstechniken in einer cloudbasierten Plattform zusammengeführt.“
Damit das KI-System später zuverlässig funktioniert, muss es trainiert werden – mit zehntausenden von Tumor-Bildern, die vorab von Hand klassifiziert wurden. Dem System wird die Information, ob ein Bild einen gutartigen oder bösartigen Tumor zeigt, in der Lernphase also mitgeliefert. So lernt die KI, Muster zu erkennen. Für dieses Training nutzt das h_da-Team Bildmaterial aus öffentlich zugänglichen Datenbanken. Aktuelle Patientendaten können in dieser frühen Entwicklungsphase aus Datenschutzgründen nicht verwendet werden. „Wir simulieren in unserem Modell deshalb die verschiedenen Krankenhäuser und weisen ihnen die Daten zu“, beschreibt Gregori die Vorgehensweise.
Der Schutz extrem sensibler Patientendaten soll auch später im realen Betrieb gewahrt bleiben. Um dieses Dilemma aufzulösen, kommt im Projekt BosomShield ein neuer Ansatz ins Spiel: das federated learning, deutsch: Föderales Lernen. Die Daten, die an den einzelnen Standorten gesammelt werden, werden nicht untereinander ausgetauscht. Trainiert wird mit lokalen Datensätzen jeweils vor Ort. „Erst danach werden die Ergebnisse zusammengeführt.“ Das Prinzip: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet wohl zum Berg kommen. „Zu dieser Technik gibt es noch sehr wenige Publikationen im Be-reich Brustkrebs. Das ist der Kern der wissenschaftlichen Arbeit, die wir in dieser Doktorarbeit angehen.“
Eine der größten Herausforderungen im Projekt besteht darin, dass jede Klinik ein wenig anders arbeitet – mit anderen MRT- oder Ultraschallgeräten, die unterschiedlich eingestellt sind. Auch die Art und Weise, wie die Daten erfasst werden, kann variieren. Herauszufinden, wie die Verarbeitung solch heterogener Daten die Ergebnisse beeinflusst, ist deshalb einer der Knackpunkte: „Was genau geschieht, wenn wir Bilder aus verschiedenen Quellen miteinander kombinieren, welche Fehler können dadurch entstehen?“ Am Ende, erläutert Yaqeen Ali, muss das System Unterschiede erkennen und ausgleichen, damit alle „Puzzle-teile“ passen und Patientinnen die für sie individuell optimale Therapie bekommen.
Quelle: Hochschule Darmstadt