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Vernetzung |

Neue Wege, alte Probleme – Versorgung im digitalen Wandel

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen nimmt an Fahrt auf. Insbesondere die elektronische  Patientenakte (ePA) und die Krankenhausreform werden die nächsten Jahre prägen. Milliardenförderungen sollen den Wandel beschleunigen, doch zwischen Theorie und Praxis klafft oft eine Lücke.

Bild: © Mikki Orso – stock.adobe.com, 1052160694, Stand.-Liz.

In welche Richtung entwickeln sich Gesundheits- und Digitalpolitik der neuen Bundesregierung? Darauf wartet die Branche mit Spannung, aber tatsächlich sind einige der Themen, die das deutsche Gesundheitswesen die nächsten ein bis zwei Jahre beschäftigen werden, längst vorgebahnt. Es wird knapp mit Geld. 2024 endet aller Voraussicht nach mit einem Rekorddefizit der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn die GKV-Beiträge nicht die 20 Prozent knacken sollen, steht einmal mehr eine Gesundheitsreform an. Was die Versorgungsstruktur angeht, wird es maßgeblich darum gehen, die Krankenhausreform zu konkretisieren und – vielleicht – die Notfallreform einzutüten. Und was die Digitalisierung angeht, muss es gelingen, aus der bisher dysfunktionalen elektronischen Pa­tientenakte (ePA) ein echtes Versorgungs-Tool zu ­machen, über das nicht nur Berliner Funktionär:innen und Beamt:innen reden, sondern das auch wirklich genutzt wird.


Die fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitswesens bringt natürlich selbst auch eine Veränderung der Versorgungsmodelle sowie der Verantwortlichkeiten mit sich. Zudem erweitern sich die Möglichkeiten für Patient:innen und Leistungserbringende, sich einzubringen. Wie sich das 2024 beschlossene Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), das u. a. die Einführung von den neuen Level-1i-Kliniken vorsieht, konkret auf die Versorgungslandschaft und auf Kooperationsmodelle auswirken wird, ist die vielleicht spannendste Frage der nächsten Jahre. Beide Maßnahmen, die ePA und das KHVVG, sollen die Versorgung effizienter, sektorenübergreifender und digital gestützter machen. Doch wie sieht die Realität aus? Welche digitalen Versorgungsszenarien eröffnen sich durch die neuen Strukturen, was hat bereits den Sprung in die Praxis geschafft und welche Herausforderungen stehen weiterhin im Weg?


Der digitale Fahrplan: ePA als Herzstück der modernen Versorgung

Nach jahrelangen Verzögerungen wurde die ePA nun offiziell eingeführt. Mit nach Angaben des Deutschen Ärzteblatts 70 Millionen (Stand 07.02.2025) angelegter Akten gibt es jetzt endlich eine gute Basis – doch damit sie ihren vollen Nutzen entfalten kann, muss sie auch aktiv in den Versorgungsalltag integriert werden. Auf dem diesjährigen BMC Kongress Ende Januar in Berlin formulierte es Dr. Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin „Digitalisierung und Innovation“, Bundesministerium für Gesundheit, so: „Die zentrale Herausforderung bleibt die Akzeptanz.“ Momentan sei Deutschland für den Anfang gut aufgestellt, aber das wahre Potenzial der Akte entfaltet sich erst, wenn Patient:innen und Ärzt:innen die ePA tatsächlich in ihre Abläufe einbinden. „Die elektronische Patientenakte soll genau in diesem Kontext funktionieren: Gesundheitsversorgung gemeinsam gestalten“, betonte der Berater Mark Langguth während einer Session. 
Eines der größten Probleme bisher war die Fragmentierung medizinischer Informationen. Patient:innen mussten ihre Befunde, Laborwerte und Medikationspläne oft selbst verwalten und von Praxis zu Praxis tragen. „Man tingelt dann durch die Versorgung und es werden Informationen über einen übermittelt – durch mich als Postboten oder per Fax“, beschrieb Langguth die bisherige Informationsweitergabe. Diese Ineffizienz soll mit der ePA bald vorbei sein.


Schrittweiser Rollout
Ozegowski stellte noch einmal den Plan des schrittweisen Ausrollens der ePA vor. Dabei soll der gestufte Start sicherstellen, dass technische, rechtliche und organisatorische Herausforderungen bewältigt werden. Mit dem 15. Januar 2025 begann die Einführung mit der Anlage von Patienten­akten und der ersten Implementierung der ePA-Module in den Systemen der teilnehmenden Ärzt:innen in Modellregionen. Diese Phase dient der Erprobung der Technologie unter realen Bedingungen und soll gewährleisten, dass alle relevanten Systeme einwandfrei miteinander kommunizieren.


Der flächendeckende, bundesweite ePA-Start ist jetzt für Ende April 2025 vorgesehen, später als initial angekündigt, aber doch halbwegs zeitnah. Ab diesem Zeitpunkt soll die ePA in allen Primärsystemen nutzbar sein, will heißen: Ab diesem Zeitpunkt sollten Hausärzt:innen, Fachärzt:innen und Krankenhäuser nahtlos auf digitale Patientenakten zugreifen können. „Der digitale Wandel kommt nicht über Nacht – wir setzen auf einen schrittweisen Ansatz, um die Akzeptanz und die technische Umsetzung sicherzustellen“, gab Ozegowski zu Bedenken.


Mit der Einführung der ePA werden zunächst grundlegende Funktionen freigeschaltet. Dazu gehören Abrechnungsdaten, eigene medizinische Dokumente (Scan-Funktion), die Medikationsliste, Entlassbriefe, Laborbefunde (zunächst nur in Modellregionen), Befundberichte und kassenspezifische Features. Besonders die Medikationsliste gilt als zentrales Element für die Sicherheit der Patient:innen, weil durch eine vollständige digitale Erfassung von verordneten Medikamenten gefährliche Wechselwirkungen oder Fehlverordnungen vermieden werden sollen. Ein weiterer essenzieller Bestandteil ist der direkte Zugriff auf Entlassbriefe, sodass weiterbehandelnde Ärzt:innen unmittelbar über relevante Informationen verfügen und Doppeluntersuchungen vermieden werden.


Weitere Ausbaustufen
Die Einführung der ePA ist jedoch erst der Anfang. In den kommenden Jahren sind weitere Ausbauphasen geplant, um die digitale Patientenakte kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern. Auf der Roadmap stehen unter anderem die Einführung eines TI-Messengers als sichere Kommunikationsplattform für den Austausch zwischen medizinischen Einrichtungen, die Erweiterung der Medikationsliste um den Medikationsplan zur noch detaillierteren Erfassung und Steuerung von Medikamenten. Außerdem erfolgt die geplante Forschungsdatenausleitung mit der Bereitstellung anonymisierter Daten für wissenschaftliche Zwecke. Darüber hinaus sollen strukturierte Labordaten für eine einheitliche digitale Erfassung und eine effizientere Analyse sorgen, eine Volltextsuche die schnelle Auffindbarkeit relevanter Informationen erleichtern und Push-Notifications Patient:innen und Ärzt:innen automatisch über wichtige neue Einträge in der ePA informieren. Und nicht zuletzt ist der Ausbau der Einbindung spezifischer gesetzlicher Vorgaben zur Datenverarbeitung und -nutzung über die sogenannten § 25b-Hinweise geplant.


Ozegowski zeigte sich zuversichtlich: „Wir haben eine klare Vorstellung davon, wie die ePA die Patientenversorgung nachhaltig verbessern kann. Doch es ist wichtig, dass die technischen Systeme Schritt für Schritt weiterentwickelt werden, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten.“ Die Umsetzung der ePA wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber der Startschuss ist gefallen. Tatsache ist: Ob der digitale Zug nun Fahrt aufnimmt oder durch technische und organisatorische Hürden ins Stocken gerät, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.


Notaufnahmen unter Druck
Dass das Ganze endlich Fahrt aufnimmt, wünschen sich eigentlich alle Beteiligten im Gesundheitssystem. Denn der Schuh drückt an vielen Stellen. Ein Beispiel dafür sind die Notaufnahmen, die unter steigenden Patientenzahlen, komplexen Versorgungsprozessen und der Notwendigkeit für schnellere Entscheidungen leiden. Eine zentrale Herausforderung ist dabei jedoch die mangelnde Interoperabilität digitaler Systeme. „Wir haben ganz oft das Problem, dass das eine System nicht mit dem anderen System redet“, so Dr. Stefan Poloczek, ehemals ärztlicher Verwalter des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr und nun im Bundesministerium für Gesundheit tätig.


Ein wesentliches Ziel der Notfallreform, die durch das Ende der Ampelregierung ausgebremst wurde, sei daher die bessere Vernetzung zwischen Rettungsdienst, Notaufnahmen und niedergelassenen Praxen. „Wir haben in der Notfallversorgung große Herausforderungen: unbekannte Patient:innen, Zeitdruck und mehrere Informationsquellen. Wir brauchen eine echte Interoperabilität“, so Polo­czek weiter. Als einen Schritt in die richtige Richtung sieht er die digitale Übertragung von Rettungsdienstprotokollen direkt in die Notaufnahmen. Doch die Umsetzung ist vielerorts noch lückenhaft. In Hannover etwa müsse ein digital erfasstes Rettungsprotokoll ausgedruckt, gescannt und erst dann in die elektronische Patientenakte eingefügt werden. „Das ist nicht wirklich effizient“, so Dr. Malte Vollmer, ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Nordstadt.


Um hier Abhilfe zu schaffen, plante das alte Bundesministerium für Gesundheit eine Standardisierung der Softwarelösungen für die über 240 Rettungsleitstellen in Deutschland. Das ist allerdings nicht so einfach: „Wir haben regulatorisch wenig Einfluss auf die 112-Leitstellen, die organisatorisch in den Händen der Länder liegen“, erklärte Poloczek. „Aber der Wille zur Vernetzung ist da“, versicherte er. Sicher ist, dass Notfallmedizin der Zukunft maßgeblich von digitalen Lösungen abhängt. 


Und diese Lösungen sollten im Idealfall nicht nur Notaufnahmen und Leitstellen vernetzen, sondern auch den ambulanten Sektor einbinden. Zum einen könnten viele Patient:innen, die in der Notaufnahme behandelt werden, auch im Rahmen des Kassenärztlichen Notdienstes versorgt werden. Schon deswegen macht digitale Interoperabilität hier Sinn. Zum anderen ist bei einem Besuch der Krankenhausnotaufnahmen die Anschlussversorgung oft nicht geregelt. Auch hier könnte eine digitale Plattform, die nahtlos in den ambulanten Sektor hineinreicht, vielleicht nicht im Alleingang Abhilfe schaffen, aber zumindest dabei unterstützen.


Neue Versorgungsmodelle am Horizont
Auch um die unter Druck geratenen Notfallaufnahmen zu entlasten, ist die schnelle flächendeckende Einführung der ePA eine Notwendigkeit. Mit ihr sollen auch jenseits der Notfallversorgung zahlreiche digitale Versorgungsmodelle auf die Schiene gesetzt werden, von denen man sich Vorteile verspricht, insbesondere natürlich sektorenübergreifende Versorgungsmodelle.


Ein Bespiel-Modell, das sich auf die digitale Patientensteuerung konzen­triert, ist DocOnLine der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Die Plattform ermöglicht Videosprechstunden für Akut- und Notfallpatient:innen und hat das Potenzial, als Blaupause für digitale Erstkontakte zu dienen. Patient:innen können sich über die Plattform registrieren, eine Selbsteinschätzung durchlaufen und – falls medizinisch erforderlich – eine Videosprechstunde in Anspruch nehmen. Damit setzt das Konzept an einem echten „Pain point“ im Gesundheitswesen an, denn derzeit verschlägt es zu viele Menschen mit einfachen Beschwerden in die Notaufnahme, obwohl eine Videosprechstunde zur ersten Abklärung ausreichen würde. Das Modell zeigt, dass digitale Versorgung nicht nur als Ergänzung zur ePA gesehen werden muss, sondern als eigenständige Maßnahme zur Entlastung der Notaufnahmen und zur besseren Patientensteuerung.


Neben der ePA wird in den kommenden Monaten das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) die gesundheitspolitischen Diskussionen prägen. Die geplanten Level-1i-Kliniken sollen als sektorenübergreifende Einrichtungen vor allem in ländlichen Regionen Versorgungslücken schließen. Klassische Krankenhausstrukturen stoßen dort zunehmend an ihre Grenzen, die ambulante Versorgung auch. Die Level-1i-Kliniken sind ein Versuch, stationäre und ambulante Versorgung enger zu verzahnen und gleichzeitig wirtschaftlich tragfähig zu bleiben. Doch um diesen Anspruch zu erfüllen, muss die digitale Infrastruktur massiv ausgebaut werden. Hier kommt der Krankenhaustransformationsfonds ins Spiel, der Milliardenbeträge nicht nur, aber auch für die digitale Aufrüstung der Kliniken bereitstellen soll. Doch so vielversprechend die Konzepte klingen, es gibt noch viele Baustellen. 


Level-1i-Kliniken: Zum Scheitern verurteilt?
Die Level-1i-Einrichtungen sollen gezielt in strukturschwachen Regionen angesiedelt werden, um die medizinische Grundversorgung sicherzustellen, ohne die klassische Krankenhausstruktur aufrechterhalten zu müssen. Das klingt sinnvoll, doch die Umsetzung dürfte eine Herausforderung werden. In der Praxis könnte sich nämlich zeigen, dass Level-1i-Kliniken an den starren Strukturen des Gesundheitssystems scheitern. So mangelt es (bisher) an verbindlichen Finanzierungsmodellen, die diese neuen Klinikkonzepte langfristig tragfähig machen.


Ein Beispiel hierfür ist der Versuch, ein Level-1i-Modell in Altenkirchen zu etablieren. Christian Eckert, Geschäftsführer WMC ­Healthcare, stellte dieses Projekt in einer Session des BMC Kongress vor. Trotz breiter Unterstützung von Landesministerien und Krankenkassen scheiterte die Sache letztlich an fehlenden finanziellen Mitteln und mangelnder Akzeptanz innerhalb der bestehenden Versorgungsstrukturen. Eckert berichtete unter anderem von einer fehlenden Unterstützung der KV, die dazu führte, dass nicht genug Patient:innen in die Klinik kamen. Seine Schlussfolgerung: „Wenn nicht alle Beteiligten mitziehen, ist so eine Klinik zum Scheitern verurteilt.“


Scheitern ist eigentlich keine Option
Ein weiteres, die Einführung der Level-1i-Kliniken gefährdendes Problem ist der Fachkräftemangel. Gerade in ländlichen Regionen ist es schwer, medizinisches Personal zu gewinnen, das wird bei solchen hybriden Strukturen nicht anders sein als bei Krankenhäusern und in Arztpraxen. Was könnte der Ausweg aus der Misere sein? Vermutlich eine engere Verzahnung mit bestehenden Krankenhäusern sowie die Nutzung digitaler In­s­trumente wie Telemedizin, um die ärztliche Versorgung zu unterstützen: „Solitäre Level-1i-Kliniken haben es besonders schwer, weil junge Ärztinnen und Ärzte oft eine langfristige Perspektive und attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten erwarten. Es wird entscheidend sein, solche Modelle in ein größeres Versorgungsnetzwerk einzubinden, um die Attraktivität für Fachkräfte zu erhöhen“, betonte Eckert.


Die Diskussion um Level-1i-Kliniken zeigt exemplarisch, wie schwer sich das deutsche Gesundheitssystem mit innovativen Versorgungsmodellen tut. Während die Notwendigkeit solcher Konzepte unbestritten ist, bleibt die konkrete Umsetzung eine Herausforderung. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob diese Modelle erfolgreich etabliert werden können oder ob sie – wie so viele vorherige Reform­ansätze – an der Realität scheitern oder zumindest in ihrer Implementierung deutlich ausgebremst werden. Die Frage ist, ob sich unser unter Druck geratenes Gesundheitssystem ein erneutes Scheitern noch leisten kann.