Dass das Gipfeltreffen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM), die NUM Convention, mitten ins politische Interregnum fallen würde, war nicht so geplant gewesen. Aber das machte sie nur interessanter. Denn dass Forschungsinfrastrukturen ein Thema sein werden, um das sich die neue Bundesregierung wird kümmern müssen, scheint klar. Und digitale Forschungsinfrastrukturen sind da zumindest eine wichtige Teilmenge.
Die EHDS-Verordnung kennt keine Übergangsfrist
Prof. Tobias Penzkofer von der Radiologie der Charité Berlin wurde im bcc Pavillon am Berliner Alexanderplatz am deutlichsten: Der European Health Data Space (EHDS), so Penzkofer, werde in Kürze in Kraft treten. Und es sei dann eine EU-Verordnung, die sofort gelte: „Wenn wir jetzt lange überlegen, dann werden uns Länder, die besser aufgestellt sind als wir, komplett überrollen.“
Der Hintergrund für Penzkofers Äußerung sind Diskussionen um die genaue Auslegung des deutschen Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG), das vor rund einem Jahr in Kraft trat. Dieses Gesetz stellte erstmals für Deutschland klar die Datennutzung in den Vordergrund. Es wird deswegen von nahezu allen, die mit Gesundheitsdatenforschung zu tun haben, gelobt. Trotzdem tun sich Forscher:innen und auch Behörden aller Art noch schwer mit der konkreten Umsetzung der einwilligungsfreien Forschung mit Gesundheitsdaten, dem Herzstück des GDNG.
„Es gibt extreme Widerstände“
Diese Probleme bei der Konkretisierung des GDNG sieht auch Nick Schneider vom Bundesgesundheitsministerium, der den GDNG-Entwurf maßgeblich mitverfasst hat: „Es gibt extreme Widerstände bei einigen föderalen Datenschutzaufsichtsbehörden, bei einigen Ethikkommissionen und auch bei einigen Datenschutzbeauftragten in medizinischen Einrichtungen. Wir müssen uns jetzt ein Stückweit daran abarbeiten. Denn wir sind mit dem GDNG bewusst disruptiv vorgegangen.“
Schneider rief die Forscher:innen auf, sich zu trauen, die Möglichkeiten, die das GDNG für die Forschung mit Gesundheitsdaten biete, jetzt auch zu nutzen. „Wir hatten den Mut, das Gesetz so zu schreiben. Jetzt müssen Sie den Mut haben, es auch auszuführen.“ Ganz bewusst sei das GDNG als ein Vorgriff auf den EHDS konzipiert worden, um schon einmal anfangen zu können und daraus zu lernen.
Diese Lesart des GDNG impliziert allerdings, dass es nach Inkrafttreten der EHDS-Verordnung ein Update wird geben müssen. Schneider ist das auch völlig klar: „Ich sehe das GDNG als den ersten Teil einer Trilogie. An den nächsten Drehbüchern schreiben wir gerade.“
Ohne Forschungspseudonym keine Opt-out-Infrastruktur
Auf Nachfrage wurde der Leiter des Referats Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung dann noch etwas konkreter. Schon allein, um die im EHDS angelegten Patientenrechte umzusetzen, werde es nötig sein, in einem Gesundheitsdatenökosystem einen Unique Identifier für die unterschiedlichen Datenquellen zu haben. Gemeint ist ein „Forschungspseudonym“, das anders als das aus der Krankenversichertennummer errechnete Forschungspseudonym des GDNGs wirklich für alle relevanten Datenquellen nutzbar ist.
Nur ein solcher Unique Identifier, so Schneider, mache eine übergreifende Opt-out- und Einwilligungs-Infrastruktur möglich. Und nur sie würde es Bürger:innen und Patient:innen ermöglichen, ihre gesetzlichen Entscheidungsrechte bezüglich der Nutzung der eigenen Daten auch praxistauglich auszuüben. Wirklich handeln kann das BMG in diesem Punkt erst, wenn der neue Chef oder die neue Chefin inthronisiert und der Koalitionsvertrag verhandelt ist. Klar ist aber auch: Eine EU-Verordnung gilt, egal wer das Ministerium leitet. Daran kann auch ein Koalitionsvertrag nichts ändern.
Quo vadis NUM?
Neben digitalen Forschungsinfrastrukturen ging es in Berlin auch um die Zukunft des NUM insgesamt. Auch die ist angesichts des Regierungswechsels durchaus noch offen. Insbesondere wird im Laufe der neuen Legislaturperiode zu diskutieren sein, wie sich NUM und Medizininformatik-Initiative zueinander verhalten bzw. ob, und wenn ja, wie genau, sich letztere im NUM verstetigen ließe.
Für den Charité-Chef Prof. Dr. Heyo Kroemer ist das NUM in jedem Fall eine Erfolgsgeschichte: „Das NUM hat sich in der klinischen und klinisch-epidemiologischen Forschung als unverzichtbare nationale Plattform etabliert. Das gemeinsame und flächendeckende Sammeln und Nutzen von Daten in klinischen Studien und aus der Routine-Patientenversorgung sowie die schnelle Reaktionsfähigkeit der klinischen Forschung bei großen Gesundheitskrisen sind Fähigkeiten, die wir in Deutschland dringend brauchen. Die dafür notwendigen Forschungsinfrastrukturen können in dieser Form nur in einem Netzwerk wie dem NUM entwickelt und dauerhaft vorgehalten werden.“