Im deutschen Gesundheitssystem existiert eine Versorgungslücke für die Behandlung der Insomnie, was auch die hohe Chronifizierung dieser Erkrankung erklären kann. Um dem entgegenzuwirken hat die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) schon vor vielen Jahren die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) in die deutsche Behandlungsleitlinie zur Therapie der Insomnie als Therapie der ersten Wahl aufgenommen – auch als digitale Version. Insomnien sind mit zahlreichen Einschränkungen in Bezug auf das psychosoziale Leistungsvermögen, die Gesundheit allgemein und die Lebensqualität verbunden. Die Insomnie ist außerdem assoziiert mit einer erhöhten Anzahl von Arbeits- und Verkehrsunfällen.
Nach internationalen Studien leiden mehr als 70 % der Betroffenen länger als ein Jahr und fast 50 % länger als drei Jahre an dieser Erkrankung. Die chronische Insomnie ist ein Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Störungen, wie z.B. Depressionen und Angststörungen, erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf und Stoffwechselerkrankungen und geht mit einem ungünstigeren Krankheitsverlauf bei chronischen Schmerzpatient:innen einher. Expert:innen stellen einen wachsenden Bedarf an schlafmedizinischer Therapie-Expertise fest – allerding bei schwindenden Ressourcen. Telemedizin und Medizinprodukte wie DiGA werden teilweise helfen, dem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Sie müssen jedoch adäquat vergütet werden. Bei digitalen Gesundheitsanwendungen muss deren medizinischer Nutzen durch randomisiert-kontrollierte Studien eindeutig nachgewiesen werden, um über das Gesundheitssystem verschrieben und erstattet werden zu können. Nach Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis können dann die real erfassten Daten Aufschluss darüber geben, wie die digitalen Anwendungen in der Regelversorgung aufgenommen werden.
Eine solche Anwendungsbeobachtung führte die Studiengruppe um Dr. Leonie Maurer, wissenschaftliche Leiterin bei der mementor DE GmbH durch. Sie untersuchte die Daten von 5000 Personen, die eine digitale KVT-I im Rahmen der Regelversorgung genutzt haben, und kam zum Ergebnis, dass sich die Insomnie von 57% der Nutzer:innen nach der Anwendung deutlich verbessert hat, mit positiven Auswirkungen auf das Tagesbefinden. 38% der Anwender:innen hatten danach keine Insomnie mehr. Umso erstaunlicher ist es, dass digitale Gesundheitsanwendungen noch wenig verschrieben werden – insbesondere von Hausärzt:innen. "Wir sehen, dass der Bedarf nach einer nicht-medikamentösen Behandlung von Seiten der Patient:innen besteht. Daher ist es unser großes Anliegen, weiterhin Aufklärungsarbeit zu betreiben und die Hausärzt:innen, bei denen Patient:innen mit Schlafstörungen vorstellig werden, von der Wirksamkeit digitaler Möglichkeiten zu überzeugen." sagt Dr. Leonie Maurer.
Diese Zweifel an der Wirksamkeit von DiGA kennt auch Dr. Anja Zimmer, Wissenschaftlerin bei der Firma Hello Better. „Hier lässt sich nur mit Evidenz weiterkommen. Wenn einmal Studienergebnisse vorliegen, die die Wirksamkeit belegen, dann sind die Verschreibenden weniger skeptisch. Nur so können wir letztlich überzeugen“, weiß Zimmer zu berichten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist einen einfachen Zugang zu den Studienergebnissen zu schaffen, denn niemand hat im Alltag Zeit sich durch umfangreiche Ergebnisprotokolle zu arbeiten. Anja Zimmer hat erstmalig eine Übersichtsarbeit zu bestehenden DiGA in gleichen Fachbereichen erstellt, wo sie u.a. auch die Studienergebnisse zusammenfasst. Dies bildet nicht nur für Mediziner:innen, sondern auch für Laien eine solide Basis zur Information. Denn, was viele nicht wissen: Patient:innen können sich ihre DiGA quasi selbst verschreiben. Dann zwar auf eigene Kosten, aber immerhin. Die Kostenübernahme durch die Krankenkasse erfolgt nur nach Diagnosestellung. Für die nächsten Jahre wünscht sich Anja Zimmer, dass sich die DiGA als Zusatznutzen in einer Behandlung und als anerkannte Erweiterung in der medizinischen Versorgung etablieren.
Digitale Schlafberatung für Schichtarbeitende und bei der Bundeswehr als Gesundheitsprävention
20% aller Schichtarbeitenden haben gravierende Schlafstörungen. Damit gehört diese Berufsgruppe zu den am häufigsten von Schlafstörungen betroffenen Arbeitnehmer:innen. Deshalb ist es für Prof. Dr. Kneginja Richter, Chefärztin der CuraMed-Tagesklinik Nürnberg und Sprecherin des Wissenschaftlichen Komitees der DGSM, erstaunlich, dass die meisten Unternehmen den Schlaf bei ihren Gesundheits-Vorsorgemaßnahmen vergessen: „Arbeitgeber:innen sollten frühzeitig schlaffördernde Maßnahmen anbieten, da sonst den Mitarbeiter:innen ernsthafte und langfristige Erkrankungen drohen.“ Der Schlaf am Tag ist kürzer und weniger erholsam als der Nachtschlaf. Bei Schichtarbeitenden stellt sich also zwangsläufig ein Schlafdefizit ein. „Das ist nichts anderes, als wäre man dauernd unterernährt“, erklärt Prof. Richter. Dem mit Präventionsangeboten vorzubeugen, sollte oberstes Ziel sein. Hat sich unzureichender Schlaf einmal manifestiert, haben Schichtarbeiter:innen u.a. die Möglichkeit eine DiGA zur Schlafberatung mit vertiefenden Workshops zu nutzen. „Arbeitgeber:innen sollten diese Angebote auch finanziell unterstützen, genau wie Sportkurse und Ernährungsberatungen“, fordert Kneginja Richter. Sie hat in Nürnberg eine zertifizierte Weiterbildung zum Schlafberater online für Mitarbeiter:innen von Unternehmen und Institutionen etabliert, die dann direkt mit den Angestellten arbeiten können. „Diese Weiterbildung ist noch einmalig, aber es wäre sehr sinnvoll, sie zu erweitern“, so die Professorin.
Die Bundeswehr geht hier mit gutem Beispiel voran und misst erholsamem Schlaf als Baustein für die psychische Fitness eine bedeutende Rolle bei. Seit 2023 bietet sie allen Mitarbeiter:innen ein Online-Schlafcoaching als Präventivkurs an. „trainSLEEP“ wurde im Auftrag des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr vom Kompetenzzentrum Schlafmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin (Dr. Cornelia Sauter, Prof. Dr. Heidi Danker-Hopfe) entwickelt und begleitend in einer Studie wissenschaftlich evaluiert.
Fazit: Digitale Gesundheitsanwendungen können wertvolle alternative Behandlungsformen sein, sobald genügend Vertrauen, sowohl bei Ärzt:innen als auch bei Patient:innen, darin existiert. Zweitens sollten die Zulassungsbedingungen und vor allem die Finanzierbarkeit (die aktuell ohne Sponsor nicht möglich ist) für Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen vereinfacht werden. Sonst bleiben die vielen guten Ideen, die existieren, weiterhin in Schreibtischschubladen liegen, statt in der Versorgung Betroffener zu helfen.
Der Jahreskongress der DGSM vom 7.-9.12. 2023 im Estrel Congress Center Berlin bietet ein Update zu Schlaferkrankungen aller Art und stellt neue schlafmedizinische Forschungen vor. Die genannten Expertinnen stellen Ihre Erkenntnisse in mehreren thematischen Symposien vor.
Weitere Informationen
http://www.dgsm.de
http://www.dgsm-kongress.de
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)