„Die Ergebnisse des Praxisbarometers Digitalisierung lassen sich mit einem Wort zusammenfassen: Ernüchterung. Das ist besonders deshalb tragisch, weil der Großteil der Ärzteschaft der Digitalisierung gegenüber eigentlich positiv eingestellt ist und sich durch sie Vorteile für die Versorgung erhofft“, sagte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, zu den Ergebnissen. „Voraussetzung für die Akzeptanz ist aber, dass neue Anwendungen den Praxisalltag erleichtern und die Patientenversorgung verbessern. Der Nutzen ist entscheidend“, ergänzte Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der KBV. Dieser Nutzen sei im letzten Jahr aber immer seltener erkennbar gewesen. Die Folge: zunehmender Frust in den Praxen.
Insbesondere junge Ärztinnen und Ärzte sind dem PraxisBarometer zufolge offen gegenüber digitalen Anwendungen: 94 Prozent der Unter-50-Jährigen sind an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr berichten aber immer mehr Niedergelassene von der Fehleranfälligkeit der TI. 50 Prozent der befragten Praxen haben mindestens wöchentlich mit Fehlern bei der TI-Nutzung zu kämpfen; der Anteil derer mit täglichen Störungen hat sich mit 18 Prozent sogar verdoppelt.
Entsprechend schätzen fast zwei Drittel der Befragten dies als starkes Hemmnis für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. Auch ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis digitaler Anwendungen hat für 65 Prozent starke negative Auswirkungen. Etwas mehr als die Hälfte der Praxen bemängelt zudem die fehlende Nutzerfreundlichkeit – im Vergleich zu 2020 ganze 14 Prozent mehr.
„Ausfälle und technische Mängel sorgen nicht nur für Frust und Mehraufwand, sie setzen auch die generelle Akzeptanz der Digitalisierung aufs Spiel“, führte Kriedel aus und ergänzte, es werde jetzt deutlich mühevoller, die Überzeugungsarbeit zu leisten: „Ich hoffe, dass sich Politik, gematik und Industrie darüber im Klaren sind."
Das Beispiel der Videosprechstunde zeige demgegenüber, dass Digitalisierung mit klarem Nutzen auch schnell Anwendung im Versorgungsalltag finden könne, so der KBV-Vize. Hofmeister: „Die Videosprechstunde hat während der Pandemie geholfen, Kontakte zu reduzieren und trotzdem die Versorgung aufrechtzuerhalten. Entsprechend stark wurde sie auch angeboten und nachgefragt. Sie ist aber nicht der berühmte Gamechanger, der alles ändert. Dazu ist ihr Einsatzgebiet zu begrenzt. Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt ist und bleibt der Goldstandard.“
Angesichts der im PraxisBarometer deutlich werdenden Stimmungslage in den Praxen, forderte Kriedel: „Die Befragung macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass die versprochenen Vorteile der Digitalisierung auch endlich in den Praxen ankommen. Grundlage dafür wird sein, die neuen Anwendungen ausgiebig und mit genügend Vorlauf zu testen.“ Hierbei sollte der Gesetzgeber die Empfehlungen des eigenen Nationalen Normenkontrollrats beherzigen. Hofmeister ergänzte: „Wenn die dafür vorgesehenen Fristen nicht das Ergebnis bringen, das wir in der Versorgung brauchen, dann bringt es auch nichts, wenn Politik sagt ‚Wir machen es trotzdem‘. Hier erwarten wir auch von der neuen Bundesregierung einen Kurswechsel – dass also der im Koalitionsvertrag versprochene, ‚versorgungsrelevante Ausbau‘ der Digitalisierung nun auch umgesetzt wird“, ergänzte Hofmeister. „Damit Digitalisierung in den Praxen nicht länger als notwendiges Übel wahrgenommen wird, das bestenfalls zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht ist. Mit Nutzen überzeugen, statt mit der Brechstange – das wäre ein politischer Paradigmenwechsel, den wir als KBV gerne unterstützen.“
Das IGES Institut hat die Erhebung im Auftrag der KBV durchgeführt. 2.836 Ärzte und Psychotherapeuten nahmen an der Online-Befragung teil. Das PraxisBarometer ist damit weiterhin die bislang umfassendste repräsentative, wissenschaftlich begleitete Befragung von Ärzten und Psychotherapeuten zum Stand der Digitalisierung.
Weitere Infos
Die Ergebnisse des PraxisBarometers Digitalisierung 2021
Quelle: KBV