Wenn Eltern von Frühgeborenen aus der Klinik nach Hause kommen, stehen sie oft vor großen Herausforderungen – besonders wenn das Kind intensive Nachsorge benötigt. Das Projekt „Welcome“ bietet diesen Familien – zusätzlich zu bestehenden Angeboten – nun digitale Unterstützung: Eine maßgeschneiderte App, regelmäßige Videosprechstunden und eine Lernplattform sollen den Übergang erleichtern. Das vierjährige Projekt des LMU Klinikums München, der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Techniker Krankenkasse, des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU und des Technikpartners MedKitDoc – BDS Digital Health Solutions GmbH ist im Oktober 2024 gestartet. Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fördert das interdisziplinäre Forschungsprojekt von Pflege, Medizin und sozialmedizinischer Nachsorge mit über 5,8 Millionen Euro.
„Mit dem Projekt ergänzen wir die bestehenden Nachsorgestrukturen durch unser telepflegerisches und -medizinisches Angebot“, sagt Prof. Dr. Uli Fischer, Leiter der Stabsstelle Klinische Pflegeforschung und Qualitätsmanagement am LMU Klinikum, der das Projekt zusammen mit Prof. Dr. Andreas W. Flemmer, dem Leiter der Neonatologie am Haus, federführend betreut. „Unser Ziel ist es, einen ‚verlängerten Arm‘ der Unikliniken in den häuslichen Bereich zu schaffen.“ Zu den möglichen Patientinnen und Patienten zählen unter anderem Frühgeborene, die bis zum errechneten Geburtstermin in der Klinik versorgt wurden und organische Probleme haben, zum Beispiel mit Herz, Lunge oder Darm. Betreut werden können auch reif geborene Babys mit angeborenen Defekten an Speiseröhre, Zwerchfell oder Bauchwand, die gleich nach der Geburt operiert wurden.
„Im Fokus stehen insbesondere Familien, die bisher nicht von bestehenden Angeboten profitieren konnten, zum Beispiel wegen Sprach- oder Versorgungsbarrieren“, sagt PD Dr. Antje Tannen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Klinische Pflegewissenschaft der Charité. „Besonders im ländlichen Raum fehlen spezialisierte Kinderkrankenpflegedienste, sodass viele Eltern nach der Entlassung aus der Klinik auf sich allein gestellt sind.“ Gleichzeitig gibt es unter den Frühgeborenen immer mehr Kinder, die auch nach der Entlassung eine intensivere Versorgung brauchen.
Digitalisierte Experten-Konsultation für die nahtlose Nachsorge
Im Welcome-Projekt begleiten spezialisierte pädiatrische Pflegefachkräfte und Neonatologinnen und Neonatologen die Familien nach der Entlassung aus dem Krankenhaus drei Monate lang mit regelmäßigen Videosprechstunden. Bei akuten Fragen können sich die Eltern per Chat oder Telefon an die Fachkräfte wenden. „Wir bieten sozusagen eine digitalisierte Experten-Konsultation an“, erklärt Prof. Flemmer. „Damit legen wir den Grundstein für eine flächendeckende telemedizinische Plattform, damit wir Frühgeborene nach der Entlassung noch besser versorgen können.“ Die Familien erhalten dafür ein Tablet und medizinische Hilfsmittel wie Stethoskop, Maßband, digitale Waage, und Pulsoximeter. Bei den Videosprechstunden können sie so Gewicht, Größe und andere gesundheitliche Parameter an die Experten übermitteln. Per Video oder Fotos haben die Klinikärzte und -ärztinnen zum Beispiel die Möglichkeit zu sehen, wie sich die Kinder bewegen oder ob Sonden richtig versorgt sind.
App für Videosprechstunden und Lernplattform
Für die Televisiten mit den Klinikärztinnen und -ärzten hat der Technikpartner MedKitDoc eine App weiterentwickelt, die ursprünglich für Videosprechstunden von Hausärzten genutzt wurde. Zum Angebot gehören außerdem eine digitale Terminbuchung, ein Chat sowie eine virtuelle Lernplattform: Hier finden die Eltern multimediales Informationsmaterial und Entscheidungshilfen, zum Beispiel Video-Anleitungen zum Stillen oder zur Pflege einer Sonde. Durch einen integrierten Dolmetscherdienst kann der Service auch mehrsprachig angeboten werden.
Eine nachhaltige Lösung für die Nachsorge
Derzeit ist das Projekt in der Vorbereitungsphase; im zweiten Halbjahr 2025 werden bereits die ersten Kinder und ihre Eltern am LMU Klinikum München und an der Berliner Charité in die Studie eingeschlossen; insgesamt sollen es 160 teilnehmende Familien werden. Das Welcome-Projekt soll die Eltern in ihrer Gesundheitskompetenz schulen, damit sie einzelne Versorgungsschritte übernehmen und mehr Zeit zu Hause mit ihren Frühgeborenen verbringen können – stressfrei und ohne unnötige Klinikbesuche. Langfristig möchten die Projektpartner erreichen, dass weniger Frühgeborene in Notfallambulanzen kommen müssen oder wieder in die Klinik eingewiesen werden.
Modell für weitere telemedizinische Nachsorgeangebote
Vier Jahre lang läuft das Projekt und wird dabei einer wissenschaftlichen Begleitevaluation unterzogen. Die Evaluationsergebnisse bilden die Grundlage für die Weiterentwicklung und den Ausbau weiterer telemedizinischer Nachsorgeangebote, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die zunehmende Ambulantisierung durch das neue Krankenhausreformgesetz: „Die digitale Überleitung von der Klinik in die nachstationäre Versorgung lässt sich auch für andere Zielgruppen adaptieren, zum Beispiel für pflegebedürftige Kinder und Erwachsene mit seltenen Erkrankungen, Krebs- oder Stoffwechselerkrankungen, aber auch für Seniorinnen und Senioren oder Menschen mit Behinderungen“, sagt Prof. Fischer.
Über das Welcome-Projekt
Das Projekt Welcome ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt von Pflege, Medizin und sozialmedizinischer Nachsorge. Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses fördert das vierjährige Projekt im Bereich Technologieentwicklung bei der pflegerischen und medizinischen Versorgung von Früh-/Reifgeborenen mit insgesamt über 5,8 Millionen Euro. Die Konsortialführung liegt beim LMU Klinikum; zu den Projektpartnern gehören die Neonatologie des LMU Klinikums und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Techniker Krankenkasse, das Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU, sowie der Technikpartner MedKitDoc - BDS Digital Health Solutions GmbH. Mehrere Nachsorgeeinrichtungen und Elternvertretungen beraten die Projektpartner im Critical Advisory Board, unter anderem der Bundesverband "Das Frühgeborene Kind" e.V.
Quelle: LMU Klinikum