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Vernetzung |

Soziale Roboter als Teil der Lösung

Angesichts immer größerer Herausforderungen im Gesundheitswesen wie Personalmangel und Arbeitsdruck stellt sich die Frage nach geeigneten Strategien. Attraktive Perspektiven bieten hier vor allem die Digitalisierung und Automatisierung in Gestalt von Assistenzrobotern.

Bild: © United Robotics Group

Gerade in vielen Krankenhäusern ist die Lage prekär: Das Personal fehlt, die Kosten drücken, und das Arbeitsvolumen steigt kontinuierlich. In der Pflege ist es kaum besser. Der Bundesgesundheitsminister sieht hier einen eklatanten Anstieg der Pflegebedürftigen, während Pflegekräfte an allen Ecken und Enden fehlen. Angesichts der demografischen Entwicklung, laut derer bis 2060 schätzungsweise ein Drittel weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter sein werden, ist mit einer Verbesserung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Davon geht auch das Statistische Bundesamt aus: Bis 2049 sollen laut Schätzung mindestens 280.000 Pflegekräfte fehlen – selbst wenn es bis dahin gelingt, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen.1


Robotik bietet zahlreiche Lösungsansätze
Die Prognosen machen deutlich: Im Gesundheitswesen wird jede Arbeitskraft dringend gebraucht – und zwar für den direkten Dienst am Menschen. Dabei erweist sich die Bürokratie als echtes Hemmnis, denn sie nimmt erhebliche Kapazitäten in Anspruch: Deutlich mehr als die Hälfte der Arbeitszeit des Pflegepersonals entfällt auf Büro- und Verwaltungstätigkeiten. Hierdurch steht weniger Zeit für die Patient:innen zur Verfügung.


Ein Lösungsansatz ist der verstärkte Einsatz von Robotik. In manchen Bereichen wie etwa in Operationssälen sind Serviceroboter schon keine Seltenheit mehr – aber auch in anderen Einsatzfeldern schreitet die Entwicklung voran. Tatsächlich können Serviceroboter im Zusammenspiel mit einer immer leistungsfähigeren KI viele Probleme lösen. Sie sind in der Lage, Krankenhaus- und auch Pflegepersonal entscheidend zu entlasten und damit Kapazitäten für andere Aufgaben freizusetzen. Zudem können sie auch zu einer besseren Arbeitsorganisation beitragen. 


Dass Robotik künftig eine immer größere Rolle im täglichen Leben spielen wird, steht außer Frage: Gartner schätzt, dass bis 2030 rund 80 Prozent der Menschen in irgendeinem Kontext mit Robotern interagieren werden.2  

 

Social- und Serviceroboter im Einsatz 
Angesichts der aktuellen Situation im Gesundheitswesen ist das gewohnte Niveau nur zu halten, wenn Automation und Robotik intelligent genutzt werden. Dabei finden vor allem zwei Robotertypen Verwendung: soziale Roboter und Serviceroboter. Beide können in ihren spezifischen Fachgebieten wertvolle Dienste leisten, die Beschäftigten vielseitig entlasten – und auch für Patient:innen und Heimbewohner:innen eine Bereicherung darstellen.  Serviceroboter – von der United Robotics Group (URG) auch als CobiotX bezeichnet – sind ausschließlich dafür konzipiert, Hand in Hand mit der Belegschaft zu arbeiten und damit neue Freiräume zu schaffen für Tätigkeiten und Interaktionen, die besondere Kreativität, Fürsorge und Sozialkompetenz erfordern. 


Reha-Assistent und Ansprechpartner 
Gerade im Reha-Bereich, also der unmittelbaren Arbeit am Menschen, wird der Einsatz von Robotern von einigen durchaus mit Skepsis gesehen. Zu Unrecht, denn gerade für dieses Segment gibt es hochentwickelte Lösungen, die auch von den Patient:innen gut angenommen werden. Humanoide Roboter wie etwa NAO sind in der Lage, diese eigenständig zu mehr Aktivität zu animieren. Dabei können sie die entsprechenden Bewegungen auch selbst ausführen. Prinzipiell sind humanoide Roboter in der Lage, mit entsprechender Software therapeutische Behandlungen bei funktionellen oder neurologischen Einschränkungen zu unterstützen. Damit ist ihr Einsatz bei nahezu jeder Erkrankung bzw. Therapie sinnvoll, die wiederholte passive oder aktive Bewegungen erfordert. 


Entlastung für Physiotherapeut:innen in der (Neuro-)Rehabilitation 
Das Leistungs- und Anwendungsspektrum ist breit gefächert – und reicht weit. So können Menschen mit einer erworbenen oder traumatischen Hirnverletzung, nach einem Schlaganfall, aber auch bei Zerebralparese, Rückenmarksverletzung, Multipler Sklerose sowie orthopädischen Verletzungen die Dienste von Rehabilitationsrobotern wie Robert in Anspruch nehmen. Solche Ausführungen sind in der Lage, die therapeutischen Bewegungen des Personals zu erkennen und zu speichern, damit er sie im Anschluss selbstständig mit den Patient:innen ausführen kann. Das bringt angesichts der körperlich anspruchsvollen Arbeit für das medizinische Personal eine echte Entlastung. 


Sympathischer Ansprechpartner und Begleiter 
Auch als Ansprechpartner leisten humanoide Roboter wertvolle Dienste. Wie der inzwischen bekannte Pepper verfügen sie in der Regel über ein freundlich-kindlich wirkendes Gesicht, sollten dabei aber weder zu menschlich noch zu maschinell wirken, um keine Ängste aufkommen zu lassen. Solche Roboter können sowohl Informationen als auch Zuspruch geben, sie können ein Gespräch führen und die Menschen als helfende Hand in vielerlei Hinsicht unterstützen. Aus gutem Grund werden sie auch als „Social Robots“, also soziale Roboter bezeichnet. 


Soziale Roboter können durch maschinelles Lernen und Mustererkennung gezielt daraufhin trainiert werden, Mimik, Körperhaltung und Tonfall zu erkennen. Ist etwa das menschliche Gegenüber traurig, einsam oder schmerzgeplagt, kann der Roboter Trost spenden, für Ablenkung sorgen oder im Zweifel auch fachliche Hilfe anfordern. Wichtiger noch: Durch regelmäßige Interaktion lässt sich sogar eine gewisse Bindung aufbauen.


Soziale Roboter als Begleiter für Alzheimer- und Demenz-Patient:innen
Insbesondere bei Patient:innen mit Alzheimer oder Demenz kann das für die Lebensqualität entscheidend sein – zumal die menschlichen Ressourcen auch hier ausgesprochen knapp sind. So sind soziale Roboter inzwischen nicht nur in der Lage, Gesichter und einfache Emotionen zu erkennen, sondern sie können auch beispielsweise zum Tanzen animieren und einfache spielerische Aktivitäten durchführen. Die Interaktion erfolgt dabei über einen Touchscreen, der niedrigschwellig zu bedienen ist.


So lässt sich die Gefahr einer sozialen Isolation reduzieren und es werden große Potenziale für neue Wege der Kommunikation mit Patient:innen mit speziellen Bedürfnissen erschlossen.


Serviceroboter unterstützen das Personal – und sparen Zeit

Serviceroboter hingegen übernehmen andere wichtige Aufgaben. Gerade das viele Hin- und Herlaufen beim Transport von Material und Medikamenten, aber auch das Austeilen von Mahlzeiten ist oft mühsam und zeitaufwendig. Übernimmt ein Transportroboter diese Aufgabe, ist das für die Mitarbeitenden nicht nur komfortabler. Sie haben auch mehr Zeit für die Arbeit an den Patient:innen zur Verfügung – während der Roboter beispielsweise nach dem Mittagessen das Geschirr aus den Zimmern abräumt. 


Was bringt das konkret? Im Rahmen einer Studie in einer Pariser Zahnklinik mit einem Transportroboter hat sich gezeigt, dass der Roboter den Mitarbeitenden zwischen 65 und 80 Prozent der sonst typischen Bewegungen beim Materialtransport abgenommen hat, was sich in einer effektiven Zeitersparnis von 38 Minuten pro Mitarbeitendem und Tag niederschlug. 


Hilfe auch bei der Datenerhebung
Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten des Robotik-Einsatzes. Zum Beispiel mit Blick auf PROM (Patient-Reported Outcome Measures), der Messungs- bzw. Erfassungsmethode zur Unterstützung einer patientenzentrierten Transformation des Gesundheitswesens. Die Datengenerierung hat sich als problematisch erwiesen: Manche Erhebungen liefern kaum valide Ergebnisse, weil die Befragten ablehnend oder unsicher reagieren. Hier kommt die Robotik ins Spiel: Übernimmt ein Roboter die Befragung vor allem älterer Patient:innen, fällt das „Gespräch“ oft deutlich leichter und die Datenqualität steigt. In der kommenden Zeit soll diese Methode weiter verfeinert werden, sodass eine optimierte Datenlage auch zu noch besseren Maßnahmen führen kann. 


Ein zentrales Problem unserer Zeit ist die fortschreitende Einsamkeit, von der immer mehr vor allem ältere oder erkrankte Menschen betroffen sind – gerade in Pflegeheimen. Eine Versuchsreihe, in deren Rahmen verstärkt robotische Lösungen beim Kontakt mit den Betroffenen zum Einsatz kamen, brachte ein bemerkenswertes Ergebnis: Im Krankenhaus sank die Zahl derer, die sich einsam fühlten. In einem ebenfalls am Versuch beteiligten Pflegeheim war ein solcher Effekt zwar nicht messbar, die Menschen äußerten sich dennoch sehr positiv zur robotischen Unterstützung.3

 

Erfolgsbeispiele aus der Praxis
Obwohl bereits zahlreiche Robotik-Lösungen im Markt verfügbar sind, steht die flächendeckende Verwendung von humanoiden und Service­robotern im Gesundheitswesen noch weitgehend am Anfang. Umso ­wichtiger sind ­daher konkrete Anwendungsfälle, denn sie geben Aufschluss über Eignung, Effizienz und Verbesserungsbedarf. So hat im Seniorenzentrum des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im hessischen Fulda der humanoide Roboter Pepper die Gelegenheit, seine Potenziale im Praxistest unter Beweis zu stellen. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die etwas kindlich wirkende Optik des Roboters sehr gut bei den Bewohner:innen ankommt. Ob individuelle oder gruppenweise Betreuung: Gerade jene, die sich bislang als eher unzugänglich gegenüber konventionellen Aktivierungsversuchen gezeigt haben, sprechen bei Gedächtnis- und Bewegungsübungen positiv auf den humanoiden Roboter an.   


Ergänzung zur menschlichen Arbeitsleistung 
Der Pflegenotstand ist weder neu noch unausweichlich. Um ihn zu beheben, braucht es engagierte Menschen – auch künftig. Serviceroboter können zwar viel, aber immer noch sind menschliche Qualitäten gefragt, um spezifischen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Die dafür nötige Zeit lässt sich gewinnen, wenn Routineaufgaben automatisiert erledigt werden. Es geht um sinnvolle Ergänzung, nicht um Ersatz. 
Und noch ein Aspekt sollte hier betrachtet werden: Dadurch, dass Roboter die Mitarbeitenden von teilweise sehr anstrengenden Routinearbeiten entlasten, machen sie den Beruf insgesamt attraktiver. Das gilt erst recht mit Blick auf die hohe Affinität junger Menschen zu digitalen Lösungen. So lässt sich als willkommener Kollateralnutzen auch der Fachkräftemangel gezielt angehen – mit einem Arbeitsumfeld, das Inklusion, Innovation und intensive Betreuung gleichermaßen zulässt.   


Akzeptanz hängt von Kontrollmöglichkeiten ab 
Der Einsatz von Servicerobotern im Gesundheitswesen bietet zahlreiche Vorteile. Dabei gelten jedoch stets, dass für die erforderliche Akzeptanz alle Entwicklungs- und Implementierungsprozesse so partizipativ wie möglich gestaltet werden. Das signalisiert von Beginn an, dass die Technologie nicht über die Köpfe des Personals hinweg ausschließlich zur Effizienzsteigerung eingesetzt wird, sondern allen Beteiligten das Leben leichter machen soll. Ebenfalls wichtig: Wie Studien zeigen, tritt immer genau dann Unbehagen ein, wenn Menschen den Eindruck haben, sie könnten nicht mehr entscheiden, ob eine Handlung von einer Maschine ausgeführt wird. Das Gefühl der Kontrolle entscheidet also darüber, ob die Maschine akzeptiert wird oder nicht. 


Für das Gesundheitswesen im Allgemeinen und die Seniorenbetreuung im Besonderen ist der Einsatz von Robotik elementar. Nur wenn Technologie und menschliche Qualitäten Hand in Hand gehen, können die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft wirklich bewältigt werden. 


Referenzen

1 Bis 2049 werden voraussichtlich mindestens 280 000 zusätzliche Pflegekräfte
benötigt – Statistisches Bundesamt;

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_033_23_12.html

 

2 Künstliche Intelligenz: Was der Robotik zu ihrem ChatGPT-Moment fehlt;

https://www.handelsblatt.com/technik/ki/kuenstliche-intelligenz-was-der-robotik-zu-ihrem-chatgpt-moment-fehlt/100040480.html

 

3 Reducing Loneliness in Stationary Geriatric Care with Robots and Virtual Encounters—A Contribution to the COVID-19 Pandemic – PMC;

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8124278/