Besonders betroffen sind sogenannte „unbekannte“ Patient:innen – also Menschen, die 4 Quartale nicht in der Praxis waren. Für diese Gruppe wird der Zugang zur Videosprechstunde künftig stark limitiert.
Ursprünglich galt eine 30 %-Grenze bezogen auf alle Behandlungsfälle – nun bezieht sich die neue Obergrenze ausschließlich auf „unbekannte“ Patient:innen. Diese Neudefinition führt faktisch zu einer drastischen Einschränkung der telemedizinischen Versorgung für genau jene Gruppen, die sie dringend benötigen.
„Was hier als Verbesserung verkauft wird, ist in Wirklichkeit eine strukturelle Ausgrenzung“, erklärt Dr. Paul Hadrossek, Vorstand des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV). „Gerade gesetzlich Versicherte ohne Hausarzt in unterversorgten Regionen werden so von digitaler Versorgung ausgeschlossen.“
Zwar wurde die Obergrenze für bekannte Patient:innen auf 50 % angehoben und die Vergütung hier verbessert – doch auch diese Grenze ist medizinisch nicht begründbar. Warum Ärzt:innen nicht selbst entscheiden dürfen, welchen Anteil ihrer Patient:innen sie telemedizinisch versorgen, erschließt sich nicht. Statt Vertrauen in die ärztliche Einschätzung zu setzen, wird hier pauschal reglementiert.
Ärzt:innen sind künftig verpflichtet, die Zahl der „unbekannten“ Patient:innen laufend zu monitoren – ein bürokratischer Mehraufwand für Praxen. Zusätzlich tritt am 1. September 2025 ein weiteres Hindernis in Kraft: Dann wird für „unbekannte“ Patient:innen ein aufwendiges Ersteinschätzungsverfahren verpflichtend – beschlossen von denselben Verhandlungspartnern (KBV und GKV-Spitzenverband), die auch die neuen Mengenbegrenzungen festgelegt haben.
„Kombiniert mit den weiterhin bestehenden Honorarkürzungen von bis zu 30 % wird Telemedizin damit systematisch bei unbekannten Patient:innen für Ärzt:innen unattraktiv gemacht“, sagt Tim Schneider, AK Leiter Telemedizin im SVDGV. „Diese Regelungen dienen keiner besseren Versorgung – es ist lediglich ein Versuch, den Markt zu steuern. Für gesetzlich Versicherte bedeutet das konkret: Viele von ihnen werden künftig keinen Zugang mehr zu telemedizinischen Angeboten haben – denn bei zahlreichen Anbietern wird das Behandlungskontingent voraussichtlich um eine hohe zweistellige Prozentzahl zurückgehen. Wer heute noch per Videosprechstunde versorgt wird, könnte morgen bereits abgewiesen werden.
Dabei wäre der Bedarf enorm: Schon heute finden viele Menschen keinen Hausarzt mehr. Eine Studie der Robert Bosch Stiftung zeigt, dass bis 2035 rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt bleiben könnten. Fast 40 % der Landkreise wären dann unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht. Erschwerend kommt hinzu: Der überholte §9 des Heilmittelwerbegesetzes verhindert weiterhin eine sachliche und patientenfreundliche Kommunikation über digitale Angebote – ein unzeitgemäßes Relikt, das dringend reformiert werden muss, um den Zugang zu moderner Versorgung nicht weiter zu blockieren.
Es ist jetzt an der Zeit, dass die neue Bundesregierung handelt. Telemedizin braucht endlich den Stellenwert, den sie in vielen anderen Ländern längst hat – nicht als Nischenlösung, sondern als tragende Säule der Regelversorgung. Nur so kann eine flächendeckende, überregionale und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung in Deutschland auch künftig gewährleistet werden. Die aktuellen Regelungen stehen dem diametral entgegen – hier muss dringend nachgebessert werden.
Quelle: SVDGV