Es war ein Rechtsstreit, der in der deutschen Telemedizinszene und auch darüber hinaus im Rest Europas aufmerksam verfolgt wurde: Braucht eine Teledermatologie-Plattform eine Medizinproduktezertifizierung Klasse IIa? Oder reicht Klasse I? Im Kern ging es bei dem Streit um die Interpretation der so genannten Regel 11 der Europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR), wonach für „Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden“, eine Medizinproduktezertifizierung Klasse IIa nötig ist.
Benannte Stellen: Es muss nicht immer ewig dauern
Nach alter Regulierung hatte für Teledermatologie-Plattformen eine Zertifizierung Klasse I ausgereicht. Der Unterschied ist relevant, weil ab Klasse IIa eine Auditierung durch Benannte Stellen nötig wird, was die Zertifizierung langwierig und teuer macht. Geklagt hatte damals der Konkurrent OnlineDoctor aus Hamburg. Das Pikante daran war, dass beide Plattformen nur eine Klasse I Zertifizierung hatten. OnlineDoctor, der früher im Markt war, konnte allerdings eine MDR-Übergangsregelung für sich geltend machen.
Schon im September 2023 sagte eine Sprecherin von OnlineDoctor gegenüber E-HEALTH-COM, dass der IIa-Zertifizierungsprozess unterwegs sei. Konkurrent Dermanostic wartete dagegen den Rechtsstreit ab, der über mehrere Instanzen ging und im Juni 2024 mit einer Niederlage von Dermanostic endete: Teledermatologie-Plattformen, die mehr machen als reine Bildübertragung, also etwa mit automatisierten Fragebögen arbeiten, brauchen eine IIa-Zertifizierung, das ist seither klar.
„Wir sind danach sofort aktiv geworden und haben mit den Vorbereitungen für die Zertifizierung Klasse IIa im Juni 2024 begonnen“, so eine Dermanostic-Sprecherin zu E-HEALTH-COM. Das Solinger Unternehmen setzte dabei auf den TÜV Süd als Benannte Stelle – und damit offenbar auf das richtige Pferd. Denn jetzt hat die Dermanostic Plattform ihre IIa-Zertifizierung bekommen – und damit den Konkurrenten aus Hamburg noch überholt. OnlineDoctor gibt auf Nachfrage von E-HEALTH-COM an, dass die entsprechende Zertifizierung jetzt für das zweite Quartal 2025 erwartet werde.
Diagnostische KI soll jetzt rasch folgen
Mit der IIa-Zertifizierung erfüllt Dermanostic zum einen die Anforderungen der MDR, zum anderen werden dadurch auch die Gespräche mit Krankenkassen über Kooperationen vereinfacht. Solche Selektivverträge sind ein zentrales Geschäftsmodell für Teledermatologie-Plattformen. Einer der Hintergründe des Rechtsstreits waren eben solche Selektivverträge großer Krankenkassen wie der Techniker Krankenkasse.
Die IIa-Zertifizierung ermöglicht es Dermanostic außerdem, seine KI-Angebote im Rahmen der Teledermatologie auszubauen. Der schon existierende Fragebogen soll jetzt intelligenter gestaltet werden: Je nach Patientenantwort werden dann unterschiedliche Fragen bzw. Antwortkombinationen angezeigt. Schon seit Anfang 2024 nutzt das Unternehmen eine Hauttypisierungs-KI, die neben der Hauttypisierung auch Erkenntnisse über Nutzerfahrung und Nutzerinteraktion liefert.
Aktuell arbeiten die Solinger zusätzlich an einer diagnostischen KI, die 75 verschiedene Hautdiagnosen erkennen können soll, einschließlich Hautkrebs. Diese KI soll künftig Teil der teledermatologischen Konsultationen werden und die Ärztinnen und Ärzte gezielt unterstützen. Ein offizielles Launch-Datum dafür gibt es noch nicht, aber vorgesehen ist eine Einführung im Laufe des Jahres 2026.