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„Telematikinfrastruktur kann genutzt werden“

Was ist der Stand bei der Telematikinfrastruktur? Der gematik-Geschäftsführer Alexander Beyer gibt im Interview einen Gesamtüberblick – und ruft dazu auf, die Services und Dienste der Telematikinfrastruktur jetzt auch aktiv zu nutzen.

 

Zum Jahreswechsel haben die elektronischen Gesundheitsakten einmal mehr Datenschutzschlagzeilen gemacht. Was folgt daraus für die Telematikinfrastruktur?

Alexander Beyer: Das Ganze bestätigt den Weg, den wir bei der Telematikinfrastruktur von Anfang an gegangen sind, nämlich den Weg einer möglichst hohen Sicherheit. Im Unterschied zu derzeitigen Gesundheitsakten erreichen die elektronischen Patientenakten nach §291a SGB V ein deutlich höheres Sicherheitsniveau. Auch die Diskussionen über den Datenklau bei Politikern zeigt, dass es schwierig ist, Datenschutz aufzurüsten, wenn man ihn nicht von Anfang an mitdenkt. Durch den Einsatz der Konnektoren, durch die elektronischen Gesundheitskarten und durch die Zertifizierung und Zulassung werden bei der Patientenakte nach § 291a viele potenzielle Angriffsszenarien verhindert. Es wird Zeit, dass wir diese Patientenakten nach § 291a  in Deutschland endlich in die Fläche bekommen.

 

Was ist der Stand bei der Anbindung der Ärzte und bei den medizinischen Anwendungen der eGK?

Alexander Beyer: Wir haben Stand Anfang Januar circa 50000 Anbindungen, wobei die konkreten Zahlen bei den jeweiligen Herstellern als Vertragspartner der Ärzte und Einrichtungen vorliegen. Mittlerweile stehen Konnektoren von vier Anbietern zur Auswahl, sodass wir davon ausgehen, dass die verbleibenden Praxen jetzt zügig angebunden werden können. Wir rechnen mit 10000 bis 15000 Installationen pro Monat. Bei den medizinischen Anwendungen gehen wir davon aus, dass ab Herbst 2019 elektronische Notfalldaten und E-Medikationsplan schrittweise in die Versorgung gebracht werden können.

 

„Bei Notfalldaten und Medikationsplänen sind die Konnektorhersteller am Zug“

 

Bisher hat die CompuGROUP angekündigt, dass sie im Spätsommer mit Feldtests für Notfalldaten und E-Medikation starten will. Wie kommen diese Anwendungen für alle in die Fläche? Wer ist zuständig?

Alexander Beyer: Hersteller von Produkten, die Notfalldaten und/oder E-Medikation umgesetzt haben, müssen ihre Produkte bei uns zulassen. Wenn die Komponente fehlerfrei ist, wird eine Zulassung für einen Feldtest erteilt. Nach einem erfolgreichen Abschluss wird eine Zulassung für den Produktivbetrieb, also für den realen Versorgungsbetrieb erteilt. Angesprochen sind bei Notfalldaten und Medikationsplan in erster Linie die Konnektor-Hersteller. Natürlich müssen auch die Hersteller der Praxis-IT-Systeme gewährleisten, dass Notfalldaten oder Medikationspläne angelegt oder ausgelesen werden können, aber unser Fokus als gematik liegt auf dem Konnektor, der diese Anwendungen bedienen können muss. Als gematik stellen wir der Industrie in diesem Zusammenhang auch den Konnektor-Simulator für Prüfzwecke zur Verfügung. Selbstverständlich bietet der Konnektor die notwendigen Funktionalitäten für die qualifizierte elektronische Signatur.

 

Stichwort elektronische Signatur: Sowohl die Notfalldaten als auch der Medikationsplan und künftig auch der im Koalitionsvertrag genannte elektronische Impfpass erfordern für die Erstellung und/oder Nutzung elektronische Arztausweise. Wie ist hier der Stand, und was ist die Aufgabe der gematik?

Alexander Beyer: Bei den elektronischen Arztausweisen lassen wir als gematik, ähnlich wie bei den elektronischen Institutionenkarten (SMC-B), die Hersteller technisch zu. Zusätzlich benötigen die ausgebenden Ärzte- oder künftig auch Apothekerkammern spezielle Zulassungen im Zusammenhang mit dem Ausgabeprozedere. Wir gehen momentan von drei Herstellern aus, die diesen Markt bedienen werden. Bisher zugelassen für den Produktivbetrieb ist ein Hersteller von HBA. Bei den SMC-B sind es drei.

 

Kommt jetzt der Rechenzentrumskonnektor?

 

Krankenhäuser binden im Moment teilweise ihre Ambulanzen und MVZs an die TI an und nutzen dafür die mittlerweile vier zugelassen Konnektoren. Wird es darüber hinaus gerade auch mit Blick auf die medizinischen Anwendungen den viel diskutierten Rechenzentrums-Konnektor geben?

Alexander Beyer: Seit Spätsommer gibt es für Krankenhäuser eine Finanzierungsvereinbarung, die auch medizinische Anwendungen umfasst. Aktuell sind wir mit der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft und den Konnektor-Herstellern in Gesprächen, wie eine Konnektor-Lösung und ihre Zulassung aussehen können. Funktional entspricht ein Rechenzentrums-Konnektor dem Einbox-Konnektor. Für Krankenhäuser sind einige Zusatzanforderungen zu berücksichtigen, die für einen Rechenzentrumsbetrieb erforderlich sind.

 

Viel Musik spielt ja im Bereich der E-Rezepte. Wann startet bei den Apothekern der Rollout?

Alexander Beyer: Schon wegen der E-Medikation müssen die Apotheken zeitnah angebunden werden. Technisch könnte der Apotheken-Rollout jederzeit starten. Auch eine Finanzierungsvereinbarung liegt jetzt vor. Damit sind die wesentlichen Hürden aus dem Weg geräumt. Was nötig ist, sind wie bei den Ärzten elektronische Heilberufsausweise und eine Ausgabeinfrastruktur für die SMC-B. Die gematik wird hier die entsprechenden Anbieter zulassen, aber die Apothekerverbände müssen das Ausgabeprozedere organisieren und die Verträge mit den Anbietern abschließen. Insgesamt ist der politische Druck bei den Apotheken etwas geringer, da es bisher keine gesetzlichen Fristen gibt.

 

Die Apotheker haben im Sommer ein Konzept für ein elektronisches Rezept vorgelegt. Gibt es schon eine konkrete Abstimmung mit Ihnen bezüglich der Ausgestaltung des elektronischen Rezepts?

Alexander Beyer: Beim elektronischen Rezept sind wir im Gespräch mit der ABDA und dem DAV, um zu eruieren, wie deren Überlegungen zum E-Rezept sind und wie die Apotheker sich das konkret vorstellen. Es gibt in diesem Bereich momentan viele Initiativen, auch die Industrie bemüht sich um einen einheitlichen Blick auf das Thema, und an diesen Diskussionen sind wir natürlich beteiligt.

 

Arbeitsgruppe für die Migration der Gesundheitsakten ist etabliert

 

Die gematik hat im Dezember die erste Version der Spezifikation für eine elektronische Patientenakte nach §291a SGB V veröffentlicht. Ziel bis 2021 ist es, die derzeitigen Gesundheitsakten in 291a-Akten umzuwandeln. Kann diese Migration jetzt starten, und reicht die Zeit bis Ende 2020 dafür aus?

Alexander Beyer: Für die Migration der Gesundheitsakten in Richtung 291a-Akten haben wir gemeinsam mit unter anderem den Krankenkassen eine Arbeitsgruppe etabliert, die derzeit im Dreiwochenrhythmus tagt und die einen Migrationspfad herausarbeiten will. Wir sind hier noch am Anfang, aber ich halte den Zeitraum bis Ende 2020 für realistisch. Natürlich haben solche Termine immer auch mit Ausschreibungsfristen zu tun, aber was die Entwicklung und Testung angeht, ist es möglich, bis Ende 2020 eine solche Akte zu entwickeln und in den Produktivbetrieb zu überführen.

 

Ist die Spezifikation in einem Stadium, das es den Herstellern erlaubt, mit dem Umbau zu beginnen?

Alexander Beyer: Absolut. Auf der Basis dessen, was jetzt vorliegt, können die Anbieter anfangen zu arbeiten. Die Grundarchitektur der Akte steht, auch der PC-gebundene und der mobile Zugang für Versicherte ist bereits Teil der Spezifikation. Was noch fehlt, sind zwei Bereiche, die mit dem TSVG kommen werden. Das sind zum einen die alternativen Authentisierungsverfahren, bei denen es darum geht, den mobilen Zugriff etwas unabhängiger von der eGK zu machen, zum anderen ist es die Option, dass die Krankenkassen Daten einstellen können. Beide Lücken werden bis Ende April gefüllt sein.

 

Ein wichtiges Sicherheitsfeature der gematik-Akte ist ja die Kopplung an die elektronische Gesundheitskarte. Hier hat das Bundesgesundheitsministerium für mobile Zugriffsszenarien die von Kreditkarten bekannte Near Field Communication (NFC) ins Spiel gebracht, mit der sich eine Kopplung von Smartphone und Gesundheitskarte ohne Kabel realisieren ließe. In wie weit ist Ihre Patientenaktenspezifikation und in wie weit ist die Telematikinfrastruktur darauf schon vorbereitet?

Alexander Beyer: Die Nutzung von NFC als Ersatz für ein Kartenlesegerät ist durch die vorliegende Spezifikation abgedeckt. Allerdings sind die derzeitigen Gesundheitskarten noch nicht NFC-fähig.

 

„Wer neue Anwendungen realisieren will, kann jetzt zu uns kommen“

 

Die gematik hat immer wieder betont, dass die Telematikinfrastruktur nicht nur für gesetzlich „verordnete“ Anwendungen, sondern für innovative digitale Versorgungskonzepte aller Art genutzt werden kann, auch für solche, die nicht im SGB V angelegt sind. Können Unternehmen, können Versorgungsakteure jetzt an Sie herantreten und Anwendungen bei Ihnen einreichen?

Alexander Beyer: Wer neue Anwendungen auf der Telematikinfrastruktur realisieren will, kann jetzt zu uns kommen, ja. Wir haben Ende letzten Jahres die Voraussetzungen dafür veröffentlicht. Wir stellen alle zentralen Funktionen offen, die für digitalen Versorgungsanwendungen interessant sein können, also zum Beispiel die Komponenten der Public Key-Infrastruktur und die Verzeichnisdienste. Welche Anforderungen im Einzelfall erfüllt werden müssen, hängt von der Art der Anwendung ab. Uns geht es dabei nicht um die Funktion der Anwendung, sondern darum, zu prüfen, dass die Telematikinfrastruktur nicht beeinträchtigt wird, was Datensicherheit, Datenschutz oder Verfügbarkeit angeht.

 

Wie könnten Anwendungen aussehen, die beim derzeitigen Rollout-Stand schon Sinn machen?

Alexander Beyer: Anfragen kommen im Moment zum Beispiel von Teleradiologieverbünden, die unser sicheres Netz nutzen wollen. Das wäre eine klassische Anwendung, die beim aktuellen Stand schon Sinn macht, weil es dabei darum geht, Ärzte miteinander zu vernetzen. Generell kann man sagen: Für jegliche Art von Befund- oder Formularübermittlung lässt sich die Telematikinfrastruktur bereits nutzen. Auch Videosprechstunden oder die Kommunikation im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens oder einer klinischen Studie sind Anwendungen, die gut für die Telematikinfrastruktur im derzeitigen Stadium geeignet sind. Ein sehr interessanter Use Case ist außerdem die Gesundheitsforschung, also Register wie das Implantateregister oder auch Register von Forschungseinrichtungen oder Rettungsdiensten. Wir bekommen auch Anfragen von KVen für unterschiedlichste Datenübermittlungen. Für die Telematikinfrastruktur sprechen dabei zwei Punkte: Zum einen sind die Ärzte zuverlässig online erreichbar. Zum anderen wird eine sichere Infrastruktur für digitale Anwendungen geboten, die auch von Datenschützern unterstützt wird.  

 

Plädoyer für zeitnahe Pilotprojekte mit anderen Leistungserbringern

 

Was müsste politisch getan werden, um den Plattformgedanken der TI zügiger mit Leben zu erfüllen?

Alexander Beyer: Ein wichtiger Punkt und ein Wunsch von uns an die Politik ist, dass die Telematikinfrastruktur und die Patientenakten für andere Akteure geöffnet werden. Wir wollen nicht nur SGB V/XI-Anwendungen machen. Digitale Versorgung ist mehr als die Kommunikation zwischen Ärzten und Krankenhäusern. Komplexe Prozesse, die Heilberufe einbinden, könnten auf unserer Plattform abgebildet werden. Dazu müssten Therapeuten, Sanitätshäuser oder auch Optiker/Akustiker Zugang erhalten. Bei den Registern wäre eine Anbindung von Forschungseinrichtungen interessant, auch Gesundheitsämter oder das Robert Koch-Institut könnten Sinn machen. Die Frage, die politisch beantwortet werden muss, lautet, wie das zu bewerkstelligen ist. Die Akteure bräuchten in der Telematikinfrastruktur eine digitale Identität. Das kann bei Heilberuflern über das elektronische Gesundheitsberuferegister geschehen, aber das ist ein langwieriges Projekt, und Gesundheitsämter oder Forschungszentren sind damit nicht abgedeckt. Unser Vorschlag wäre, sehr zeitnah Pilotprojekte mit medizinischen Einrichtungen zu ermöglichen, die nicht Ärzte oder Krankenhäuser sind. So könnten zum Beispiel Innovationsfondsprojekte die Telematikinfrastruktur nutzen, und es würde verhindert, dass wieder parallele Infrastrukturen aufgebaut werden, die am Ende mühsam mit der Telematikinfrastruktur zusammengeführt werden müssen.

 

Wie sehen Sie die wieder aufflammenden Diskussionen um die Governance-Struktur der Gematik? 

Alexander Beyer: Die gematik hat mit der Vorlage der Spezifikation für die elektronische Patientenakte gezeigt, dass sie in den bestehenden Governance-Strukturen sehr effektiv und vor allem auch sehr schnell arbeiten kann. Ich glaube daher nicht, dass grundsätzliche Änderungen an der Governance-Struktur nötig sind. Wir sind in den letzten Jahren ziemlich gut darin geworden, innerhalb des vielschichtigen deutschen Gesundheitswesens Konsensprozesse zu moderieren. Das wird auch weiterhin nötig sein, und es funktioniert auch. Wir haben bei der Patientenakte in ständiger Abstimmung mit den Gesellschaftern und anderen uns begleitenden Gremien alle Fristen eingehalten. In der Zukunft sehe ich eine wichtige Aufgabe der gematik – neben technischer Spezifizierung und Zulassung von Komponenten – in der Beratung bei künftigen Anwendungen auf der digitalen Plattform Telematikinfrastruktur.

 

„Ohne konsentierte Datensätze macht das Ganze nur begrenzt Sinn.“

 

Was wünschen Sie sich beim Stichwort Governance von der anstehenden Gesetzgebung im Jahr 2019?

Eine offene Flanke sind die medizinischen Inhalte. Die werden nicht von uns kommen. Was wir hier einbringen und anbieten können, sind einmal mehr unsere Fähigkeiten bei der Moderation von Konsensen. Die Expertise liegt bei Standardisierungsorganisationen und Fachgesellschaften, und da ist sie auch gut aufgehoben. Wünschen würden wir uns Regelungen dazu, wer die medizinisch-fachlichen Inhalte zu erstellen hat. Das könnte entscheidend dazu beitragen, digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen schneller umzusetzen. Das Interoperabilitätsverzeichnis vesta allein reicht da nicht. Damit können wir die Kompatibilität von Standards mit der Telematikinfrastruktur prüfen, aber am Ende muss jemand entscheiden, was gemacht wird. Wir begrüßen, dass die KBV an dieser Stelle Verantwortung übernehmen will. Wir haben jetzt die Plattform für medizinische Inhalte aller Art, aber wir brauchen natürlich auch konsentierte strukturierte Daten. Ohne solche konsentierten Datensätze macht das Ganze nur begrenzt Sinn, und ich glaube auch nicht, dass jeder einzelne Datensatz gesetzlich geregelt werden sollte.

 

Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz