Sie haben im März bei T-Systems als Chef der Gesundheitssparte angeheuert. Die 100 Tage Schonfrist sind schon etwas vorbei: Wo sehen Sie die Rolle Ihres Unternehmens im digitalen deutschen Gesundheitswesen? Welche Impulse konnten Sie schon geben?
Gottfried Ludewig: Wir sind ein zentraler Anbieter von IT-Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Die Telekom ist eines der führenden deutschen Digitalunternehmen. Unsere Kundinnen und Kunden erleben jeden Tag: Wir sind ein vertrauenswürdiger und leistungsfähiger Partner. Das trifft insbesondere auf die Verarbeitung von sensiblen Gesundheits- und Sozialdaten zu. Von Krankenhaus-Informationssystemen, Rechenzentren und Cloud-Anwendungen für Krankenversicherungen, über Software-Anwendungen für klinische Studien, der Corona-Warn-App bis hin zur Telematik-Infrastruktur: Wir sind wir ein starker Partner. Jüngstes Beispiel ist der Auftrag der Barmer für die digitale Identität der Versicherten. Gemeinsam mit der Barmer sind wir damit Frontrunner der Branche. Zudem bieten wir eine leistungsfähige und sichere Lösung bei der elektronischen Patientenakte (ePA) an. Hier setzen wir auf unseren ePA-Partner x-tention und dessen Know-how in Deutschland oder in Österreich mit der ELGA-Akte. Auch das ist ein starkes Signal in den Markt.
Zu den „strategischen“ IT-Themen des deutschen Gesundheitswesens gehört der Übergang in eine hardwarearme Telematikinfrastruktur, die „TI 2.0“. Wie sehen Sie da die Rolle Ihres Unternehmens?
Gottfried Ludewig: Die Verschlüsselung und der Zugang zur sicheren Infrastruktur muss softwarebasiert sein. Wir haben die entsprechenden Lösungen für die TI 2.0 im Portfolio. Sichere Software entwickeln: Das gehört zur DNA der Telekom. Wir sind gespannt auf die Spezifikationen der Gematik. Sobald die vorliegen und der Zertifizierungsprozess klar geregelt ist, werden wir dem Markt zeitnah ein Angebot präsentieren. Neben digitalen Identitäten und einer neuen ePA ist das ein Eckpfeiler unseres Angebots mit plattformbasierten Softwarelösungen.
Was die ePA angeht: In der Version 1.0 ist die ePA nicht mehr als ein Pdf-Safe. Über dieses Stadium müssen wir dringend hinauskommen. Wir müssen mit den Daten arbeiten, um Patientinnen und Patienten konkret in ihrem Alltag zu unterstützen. Wir können vor gefährlichen Kombinationen von Medikamenten warnen oder an Vorsorgetermine erinnern. Oder auf Basis der Patientendaten Rat für passende Präventionsangebote geben. Es gibt eine ganze Menge von Mehrwerten, mit denen wir die Versicherten unterstützen oder auch sehr kundennah aufzeigen können, wie ihre Krankenkasse ihnen im Alltag helfen kann. Eine neue ePA macht den Nutzen der Digitalisierung unmittelbar spürbar. Wir wollen die datenbasierten Mehrwertanwendungen einer ePA ermöglichen und damit zur Verbesserung des Gesundheitssystems in Deutschland maßgeblich beitragen. Und die Kundinnen und Kunden können sich dabei immer zu hundert Prozent sicher sein: Die Daten liegen sicher in Deutschland.
Lassen Sie uns noch einmal kurz zu den digitalen Identitäten zurückspringen. Eines der Probleme des bisher nur rudimentär digitalisierten deutschen Gesundheitswesens ist die uneinheitliche und oft genug sehr mühsame „Anmelderei“. Wie könnte bei den digitalen Identitäten ein funktionierendes Gesamtszenario aussehen? Und welche Rolle spielen die Krankenkassen in einem solchen Szenario?
Gottfried Ludewig: Das Ziel muss sein, eine ‚Wallet‘ zu schaffen - eine sichere Brieftasche auf dem Smartphone. Mit der digitalen Identität habe ich einen sicheren Zugang zur Gesundheitskarte oder meinem elektronischen Personalausweis. Damit muss ich nicht mehr für jede Anwendung einzelne Passwörter eingeben oder mich sogar mehrfach identifizieren. Das ist lästig und auch nicht immer die sicherste Lösung. Die Ideallösung wäre, dass jeder Bürger Gesundheitsdienste und Behördendienstleistungen mit einer digitalen Identität nutzen kann. Daran arbeiten wir mit auf europäischer Ebene. In der heutigen Welt der multiplen Nutzernamen und Passwörter sind digitale Identitäten kein Schritt in eine unsicherere, sondern in eine sicherere Zukunft. Unser Barmer-Projekt ist wirklich ein Schritt nach vorne auf diesem Weg: Versicherte werden künftig alle relevanten Anwendungen wie die ePA oder andere Service-Leistungen der Krankenkasse sicherer nutzen und vor allem einfacher auf diese zuzugreifen können, als das heute allein mit Nutzername und Passwort der Fall ist. Daher freuen wir uns auf die technische Spezifikation der gematik, die in Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationstechnik (BfDI) und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erstellt wird.
Zur ePA: Sie hat in Deutschland rund 560.000 Nutzer:innen, und das werden derzeit auch nicht mehr. Es fühlt sich an, wie eine Art De-facto-Moratorium. Wie kommen wir da wieder raus?
Gottfried Ludewig: Wir müssen das Vertrauen der Versicherten gewinnen. Deshalb legen wir so einen Wert darauf, dass unser Angebot Datenspeicherung in Deutschland garantiert. Auf der anderen Seite ist es unser aller Aufgabe, dass der Nutzen der ePA nicht in wolkigen Versprechungen zur Datenverfügbarkeit besteht, sondern echten Mehrwert bringt. Wir müssen den Menschen weiterhin weniger Hürden bei der Nutzung in den Weg stellen. Eine ePA-App herunterzuladen, ist leicht. Sie frei schalten? Zu kompliziert. Und: Patientinnen und Patienten müssen mehr Souveränität bekommen. Wer darf lesen? Wer darf Daten in die ePA schreiben? Wer darf die Daten nutzen? Lassen wir die Patientinnen und Patienten mehr selbst bestimmen! Und fragen wir sie bereits bei der Entwicklung, was sie vorschlagen. Diesen klaren Fokus auf die digitalen Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer haben wir als Telekom zu einem Markenkern gemacht. Und das wird auch bei der ePA funktionieren.
Beim Stichwort „mehr Souveränität bekommen“ fällt mir die aktuelle Diskussion um das E-Rezept ein.
Gottfried Ludewig: Das ist ein Beispiel, an dem sich die Entwicklung gut festmachen lässt. Das lässt sich auch auf andere Anwendungen übertragen. Ich bin 40 Jahre alt, habe eine kleine Tochter, darf den Bundestag wählen und Auto fahren. Kurz: Ich bin mündig und möchte mich als Patient entsprechend selbstbestimmt durchs Gesundheitswesen bewegen. Und dazu gehört für mich auch, dass ich entscheiden darf, auf welchem sicheren Weg ich mein eRezept erhalten möchte.
Zurück zur ePA: Der Spagat dabei besteht ja darin, einerseits eine Plattform zu schaffen, die Raum für Mehrwertdienste – auch der Krankenkassen – bietet, andererseits ein Tool, dass so versorgungsnah ist, dass Leistungserbringer es auch wirklich nutzen. Wie schaffen wir diesen Spagat?
Gottfried Ludewig: Das ist eigentlich nicht schwer. Die simple Formel lautet: Höre mehr auf die Patientinnen und Patienten und baue ihnen eine echte Mehrwert-ePA. Lass sie selbst entscheiden, wie und mit wem sie Daten teilen. Es ist ihre Gesundheit. Biete ihnen die Bedienungsfreundlichkeit vom Fax und jeder erfolgreichen App auf dem Smartphone. Aber biete ihnen auch die Sicherheit und die Selbstbestimmung über ihre Daten, die manch eine App nicht bietet – und Mehrwerte, die ein Fax nie liefern kann. Kurz und knapp: Bring eine digitale Anwendung dazu, das Leben der Patientinnen und Patienten einfacher und besser zu machen.
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen ihrer Digitalstrategie unter Druck gesetzt: Bis 2025 sollen 80 Prozent der Bevölkerung über eine ePA verfügen. Realistisch?
Gottfried Ludewig: Ich finde die Ambition, die sich in dieser Zielsetzung ausdrückt, absolut richtig und voll unterstützenswert. Gerne leisten wir unseren Beitrag als IT-Dienstleister, damit dieses Ziel erreicht werden kann.
Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz