Braucht das deutsche Gesundheitswesen für Ärzt:innen eine Zusatzweiterbildung (ZWB) Medizinische Informatik? Oder lassen sich die entsprechenden Kompetenzen auch anderweitig erwerben und vermitteln? Darum ging es in den letzten Monaten bei Diskussionen in den Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer. Dort wurde nämlich über die Weiterentwicklung der im Moment gültigen Musterweiterbildungsordnung (MWBO) 2018 debattiert.
In diesem Zusammenhang haben sich die ärztlichen Standesvertreter:innen unter anderem mit der ZWB Medizinische Informatik befasst. Ergebnis: Die Weiterbildungsgremien sprechen sich dafür aus, die ZWB Medizinische Informatik künftig nicht mehr als Weiterbildungsqualifikation vorzusehen. Das hat die Bundesärztekammer gegenüber E-HEALTH-COM auf Nachfrage bestätigt.
Kleine Zahlen, keine Flächendeckung
Was ist der Hintergrund für diese Entscheidung? Wer sich die Ärztestatistiken 2023 ansieht, der findet insgesamt 785 Ärzt:innen mit ZWB Medizinische Informatik. Das ist nicht viel, aber auch nicht extrem wenig. Medizinische Genetiker:innen etwa gibt es nur 306, Kinder- und Jugend-Orthopäd:innen lediglich acht. Besonders groß war die Nachfrage in den letzten Jahren allerdings nicht. Nach Auskunft der Bundesärztekammern haben im Jahr 2021 nur 15, im Jahr 2022 nur 4 und im Jahr 2023 nur 13 Ärzt:innen diese ZWB anerkannt bekommen.
Derzeit ist für die ZWB Medizinische Informatik keine vorgegebene Weiterbildungszeit erforderlich. Das will die zuständige Fachgruppe ändern, sie strebt eine zwölfmonatige Weiterbildungszeit für alle Weiterzubildenden an. Doch dazu wird es jetzt möglicherweise nicht kommen. Ein Problem, so die Bundesärztekammer, sei die fehlende Flächendeckung. Aktuell gebe es lediglich 15 für die Medizinische Informatik nach neuer Weiterbildungsordnung zur Weiterbildung befugte Ärzt:innen, und diese verteilten sich auf nur sieben der 17 Kammerbereiche. Es sei daher nicht flächendeckend gewährleistet, dass die ZWB Medizinische Informatik auch absolviert werden könne.
Gleichzeitig betonte die Bundesärztekammer gegenüber E-HEALTH-COM, dass es an der besonderen Bedeutung der Medizinischen Informatik in der Kammer und auch in der breiteren Ärzteschaft keinen Zweifel gebe: „Es bestand in den Gremien Konsens, die Medizinische Informatik auch zukünftig zu fördern und zu unterstützen. Einigkeit bestand aber auch, dass die Weiterentwicklung der Medizinischen Informatik außerhalb der formellen Anforderungen an die ärztliche Weiterbildung sachgerechter sei.“ Damit, so die Bundesärztekammer, bestehe dann auch eher die Möglichkeit, die Kompetenzvermittlung schnell und adäquat an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen.
GMDS ist nicht amüsiert
Andere sehen das völlig anders. Insbesondere die zuständige Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), wendet sich kategorisch gegen eine Abschaffung, wie sie in einem Offenen Brief an die Landesärztekammern betont. Medizinische Informatiker:innen spielten unter anderem bei der Entwicklung von Software für Kliniken und Arztpraxen, beim Aufbau und beim Betrieb medizinischer Datenbanken, bei der Gestaltung von Patientenakten und bei der Einführung KI-basierter Entscheidungsunterstützungssysteme eine Schlüsselrolle: „Ohne diese ärztlichen Expertinnen und Experten, die sowohl Medizin als auch IT verstehen, könnten neue digitale Lösungen weniger sicher und nicht ausreichend an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet sein. Daher fordern viele beteiligte Fachgesellschaften: Die Zusatz-Weiterbildung Medizinische Informatik darf nicht abgeschafft werden!“
Die Begründung der fehlenden Flächendeckung lässt die GMDS nicht gelten. Statt die ZWB Medizinische Informatik deswegen einzustampfen, solle sie lieber entsprechend ausgebaut werden, um eine Flächendeckung zu erreichen. Es bestehe die Gefahr, dass Deutschland durch die Abschaffung der ZWB Medizinische Informatik bei der Digitalisierung der Medizin noch weiter ins Hintertreffen gerate; zumindest würde die Abschaffung den Einfluss der Ärzteschaft auf die Digitalisierung weiter schmälern.
Landesärztekammern sind am Zug
Am Zug sind jetzt erstmal die Landesärztekammern, der Abschaffungsbeschluss ist noch nicht endgültig. Im föderalen deutschen Gesundheitswesen kann die Bundesärztekammer bei Weiterbildungsthemen nur Vorschläge und Empfehlungen unterbreiten. Entsprechend wurde der Entwurf des neuen Abschnitt C der Musterweiterbildungsordnung (MWBO), der die Zusatzweiterbildungen beinhaltet, an die Landesärztekammern zur Beratung weitergeleitet. Das von dort einlaufende Feedback wird dann, genauso wie die Stellungnahme der Fachgruppe, für den endgültigen Vorschlag des neuen Abschnitt C MWBO berücksichtigt. Das letzte Wort hat bei solchen Fragen dann der Deutsche Ärztetag. Die Sache kann sich also noch etwas hinziehen, und noch scheint es Spielräume zu geben, die Entscheidung durch gute Argumente und konstruktive Vorschläge zu beeinflussen.
Weitere Informationen:
Ärztestatistik der Bundesärztekammer Stand 31.12.2023
Offener Brief der GMDS an die Landesärztekammern