Im internationalen Vergleich verharrt Deutschland bei der Digitalisierung trotzig im Mittelfeld, und auch da eher in dessen unteren Etagen. Gezeigt haben das erst kürzlich wieder Zahlen, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zusammengetragen hat. Wissenschaftlich agiert Deutschland demnach mit vielen anderen westlichen Ländern auf Augenhöhe. Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen auf dem Gebiet digitaler Technologien etwa hat seit der Jahrtausendwende in Deutschland in ähnlichem Umfang zugelegt wie in den USA, Großbritannien oder Frankreich.
IT-Investitionen müssten deutlich steigen
Bei den Patentanmeldungen in digitale Technologien liegt Deutschland zumindest im vorderen Mittelfeld. Japan, China und die USA bewegen sich zwar in einer anderen Größenordnung. Aber mit im Mittel 2754 transnationalen Patentanmeldungen in den Jahren 2016 bis 2018 agiert Deutschland auf Augenhöhe mit Südkorea und liegt deutlich vor Frankreich und Großbritannien. Klare Defizite gibt es dagegen bei der praktischen Umsetzung der Digitalisierung in den unterschiedlichsten Bereichen – und vor allem bei den IT-Investitionen.
Bei Letzteren bezieht sich die KfW auf OECD-Daten, wonach Deutschland im Jahr 2022 rund 54,5 Milliarden Euro in IT investiert hat. Das sind 1,4 % des Bruttoinlandprodukts. Diese Quote ist seit Jahren relativ konstant, wohingegen sie in vielen anderen Ländern zuletzt deutlich gestiegen ist. Frankreich etwas erreicht 4,6 %, Österreich 4,1 %, die Niederlande 3,6 %, Israel ebenfalls, und Spanien und Großbritannien landen bei 2,6 %. „Um hinsichtlich der IT-Investitionen zu anderen großen, hoch entwickelten Ländern aufzuschließen, müssten die IT-Investitionen in Deutschland auf das gut Doppelte bis Dreifache und somit auf rund 140 bis 180 Milliarden Euro ansteigen“, bilanziert die KfW.
Forschung stärken, BundID erweitern
Angenommen, die – staatlichen und privatwirtschaftlichen – IT-Investitionen würden in Deutschland in den nächsten Jahren steigen: Wo sieht die E-Health-Branche besonderen Handlungsbedarf? Die Agentur The Medical Network hat vier Gründer:innen und Geschäftsführer:innen aufstrebender E-HEALTH-Unternehmen gefragt, was sie tun würden, wenn sie die Verantwortung für Digitalpolitik in Deutschland hätten.
Daniel Kämmerer, Chief Product Officer bei Mediform, wendet sich gegen kurzfristige Pflaster-Investitionen. Er plädiert eher für eine langfristige Stärkung des IT-Standorts Deutschland: „Konkret sehe ich die Stärkung der Grundlagen- und Hochschulforschung als Schlüssel, um die Basis für digitale Innovationen zu schaffen. Entscheidend ist auch die Förderung von IT-Start-ups. Hier müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit ausgewählte Technologien in Deutschland bleiben und damit wiederum den Wirtschaftsstandort stärken.“
Andrea Buzzi, Gründerin von The Medical Network und Host des E-Health Pioneers Podcast, sähe gerne mehr praktische IT-Expertise in der Politik. Sie wünscht sich eine bessere Verzahnung von Politik und Wirtschaft und mehr Fördermittel für digitale Innovationen. Ein Thema liegt Buzzi dabei besonders am Herzen: „Ein entscheidender Schritt für die digitale Transformation Deutschlands ist aus meiner Sicht die Erweiterung der BundID zu einem umfassenden digitalen Identifikationssystem. So entsteht eine einheitliche und sektorenübergreifende Lösung, die zum Beispiel auch die elektronische Patientenakte integriert. Wir sollten uns ein Beispiel an Estland nehmen, wo das schon lange funktioniert.“
Skalieren, skalieren, skalieren
Konkret im Gesundheitswesen wünscht sich Markus C. Müller, Mitgründer und CEO von Nui Care, dass existierende digitale Anwendungen viel konsequenter und schneller skaliert werden. Dies gelte ohne Ausnahme überall im Gesundheitswesen, von den Krankenversicherungen über die medizinischen Einrichtungen bis hin zu Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten: „Projekte wie die elektronische Patientenakte oder die digitalen Pflegeanwendungen zeigen, wie langsam Digitalisierungsvorhaben im komplexen Geflecht von Zuständigkeiten und Regularien umgesetzt werden. Wir müssen Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Priorität machen und alle Beteiligten für eine beschleunigte Umsetzung gewinnen.“
Wie aber könnte das gelingen? Eine nicht unradikale Idee für einen Innovationsturbo kommt von Dirk Wolters, Geschäftsführer von NeTec: „Mein konkreter Vorschlag: verbindliche IT-Mindestbudgets für Unternehmen einführen und Informationssicherheit zur Pflichtaufgabe machen.“ Wolters sähe es außerdem gerne, wenn in jeder Unternehmensführung ein Digitalisierungsverantwortlicher etabliert würde, er nimmt also ganz klar nicht nur den Staat, sondern auch die Wirtschaft in die Pflicht: „Es liegt also in unserer Verantwortung, die Weichen für eine zukunftsfähige Wirtschaft zu stellen und dadurch langfristig Wohlstand und Innovationskraft zu sichern.“