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Medizin |

Braucht Telemedizin eine IIa-Zertifizierung?

Wichtiger Eil-Beschluss zur Telemedizin: Ein Oberlandesgericht fordert in einem Präzedenzfall für die asynchrone Telemedizin eine Medizinprodukte-Zertifizierung Klasse IIa.

Bild: © ipoba, AdobeStock, 298001390, Stand.-Liz.

Der ohne mündliche Verhandlung erlassene Beschluss wurde am 22. September vom Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg gefällt. Das Gericht befasst sich mit der Thematik im Rahmen eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens. Geklagt hat die OnlineDoctor 24 GmbH aus Hamburg, eine 100-Prozent-Tocher der OnlineDoctor AG in St. Gallen. OnlineDoctor 24 bietet über die Plattform OnlineDoctor.de telemedizinische Dienstleistungen in der Dermatologie an. Die Plattform ist dank einer Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen BVDD relativ bekannt.

 

Neue MDR: Die Regel 11 lässt grüßen

Der OLG-Beschluss folgt auf einen anderslautenden Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 14. August 2023, gegen den die OnlineDoctor 24 GmbH Beschwerde eingelegt hatte. Dieser Beschwerde hat das OLG jetzt stattgegeben. Im Wege einer Einstweiligen Verfügung wird es dem Beklagten – einer anderen teledermatologischen Plattform – untersagt, eine Software mit der Zweckbestimmung einer asynchronen Untersuchung von Hautveränderungen anhand von Bildmaterial, Anamnesebogen und Chat mit Fachärzt:innen in Verkehr zu bringen, solange keine Zertifizierung als Medizinprodukt Klasse IIa oder höher vorliegt.

 

Hintergrund der Auseinandersetzung ist die neue europäische Medical Device Regulation (MDR), die seit dem 26. Mai 2021 gilt. Sie enthält die vielzitierte Regel 11, die dazu führt, dass sehr viele der nach „alter“ MDR noch als Medizinprodukt Klasse I zertifizierten, digitalen Medizinprodukte künftig mindestens Klasse IIa zertifiziert werden müssen. Grob gesagt, fällt das meiste, das in irgendeiner Weise unmittelbar diagnostisch oder therapeutisch genutzt wird, nach neuer MDR in die Klasse IIa. Die genaue Formulierung der Regel 11 lautet:

„Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, [gehört] zur Klasse IIa“,

bzw. auf Englisch:

„Software intended to provide information which is used to take decisions with diagnosis or therapeutic purposes is classified as class IIa.“

 

Es gibt allerdings eine noch laufende und kürzlich noch einmal verlängerte Übergangsregelung. Sie gibt jenen digitalen Medizinprodukten bzw. Plattformen, die vor dem 26. Mai 2021 schon ein Klasse I Medizinprodukt waren, Zeit für die Umstellung auf Klasse IIa. Neue Plattformen, die vorher nicht Medizinprodukt Klasse I waren, können diese Übergangsphase aber nicht für sich in Anspruch nehmen.

 

OLG: Formulierung ist nicht „missglückt“

In seiner Beschlussbegründung verweist das OLG Hamburg auf die aus der Gebrauchsanweisung der beklagten Plattform eindeutig ablesbare Zweckbestimmung einer asynchronen Untersuchung von Hautarealen auf Basis digitaler Bilder. Dies sei „ausweislich des klaren Wortlauts von Anhang VIII, Regel 11 Medizinprodukte-VO als Medizinprodukt der Klasse IIa zu qualifizieren“. Die beklagte Partei hatte u.a. argumentiert, dass die MDR-Formulierung missglückt sei, das OLG sieht sie aber als „klar und eindeutig.“

 

Die Tatsache, dass die allermeisten digitalen Medizinprodukte durch die neue MDR höherklassifiziert werden müssten, sei per se kein Grund, die Verordnung gegen ihren Wortlaut auszulegen, so die Richter in den Gründen für den Beschluss, der E-HEALTH-COM vorliegt. Es finde sich in der MDR auch kein Anhalt dafür, dass es intendiert sei, digitale Medizinprodukte nur dann in Klasse IIa oder höher einzuordnen, wenn die Risiken für die Patient:innen gegenüber Standardbehandlung relevant erhöht seien. Vielmehr gehe aus der Begründung für die Verordnung hervor, dass es der EU um hohe Standards für Qualität und Sicherheit von digitalen Medizinprodukten gehe.

 

Was bedeutet das Urteil für den Markt?

Gerade diese sehr eindeutige Begründung könnte dazu beitragen, dass das Hamburger Verfahren über den Einzelfall hinausweist. Letztlich passt die Begründung zu jeder Art bildbasierter Telemedizin, sodass sich auch für einige andere Anbieter im Markt eine, wenn auch nicht unmittelbare, Relevanz ergeben könnte. Tatsächlich laufen zu dieser Thematik noch weitere Verfahren, die noch nicht abgeschlossen sind. Die Frage, ab wann Telemedizinangebote IIa-zertifiziert werden müssen, gilt in der Branche derzeit als eine absolute Schlüsselfrage. Auch große Telemedizinangebote von einigen Krankenkassen können bisher keine IIa-Zertifizierung aufweisen.

 

Insgesamt sind die Formulierungen in dem OLG-Beschluss sehr streng, und sie bieten wenig Interpretationsspielräume. Es wird darauf hingewiesen, dass die beklagte Plattform nach Eingang der Abmahnung Ende Juli ein Konformitätsbewertungsverfahren nach Klasse IIa hätte einleiten können. Und weiter:

„Die Untersagung des Vertriebs einer App bis das hierfür gesetzlich erforderliche Konformitätsverfahren durchgeführt ist, kommt auch keinem Berufsverbot gleich. Dabei ist schließlich auch zu bewerten, dass es um Belange des Gesundheitsschutzes geht.“

 

Zertifizierungsprozess für Klasse IIa ist aufwändig

OnlineDoctor 24 Geschäftsführer Tobias Wolf ist wenig überraschend zufrieden: „Das Urteil des OLG gibt für die asynchrone Teledermatologie jetzt eine klare Vorgabe, das ist gut! Als Plattform für Teledermatologie sind wir diesen Regelungen verpflichtet. Das Urteil steht für ein Ja zu hoher Qualität und stellt die Gesundheit und Sicherheit in den Mittelpunkt“, so Wolf in einer Stellungnahme des Unternehmens, die E-HEALTH-COM ebenfalls vorliegt.

 

Die Plattform OnlineDoctor selbst ist derzeit noch ein Medizinprodukt der Klasse I. Da sie das im Mai 2021 bereits war, gilt hier die Übergangsfrist der MDR. Aktuell durchläuft das Unternehmen den Zertifizierungsprozess für die Klasse IIa. Hierfür reicht, anders als bei der Zertifizierung für Klasse I, eine Selbstbewertung nicht aus, sondern es ist die Einbindung einer Benannten Stelle erforderlich. Der Zertifizierungsprozess für Klasse IIa ist wegen der umfangreichen Auflagen und der immer noch (viel zu) wenigen Benannten Stellen relativ zeitaufwändig. Voraussetzung für die IIa-Kennzeichnung ist u.a. ein hochwertiges Qualitätsmanagement und hohe Sicherheitsstandards nach ISO 13485. Dies führt für die Kennzeichnung als Klasse IIa zu einer Konformitätsvermutung.