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Vernetzung |

KBV: Patientenhoheit sichern, Gesundheitsaktenparagraphen streichen

Foto: © WrightStudio

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat zwei lesenswerte Positionspapiere zu Digitalisierung und elektronischer Patientenakte vorgelegt. Sie bringt sich damit auch für das „E-Health-Gesetz 2.0“ in Stellung, das vom BMG jetzt offiziell angekündigt wurde.

 

Wenn sich die KBV in der Vergangenheit programmatisch zur Digitalisierung geäußert hat, war häufig Machtpolitik der Treiber. Gleichzeitig hat die Körperschaft aber auch sehr pragmatisch die Digitalisierung dort vorangebracht, wo sie es kann, innerhalb der niedergelassenen Ärzteschaft. Mit Gründung der KV Telematik wurde zudem eine schlagkräftige Institution geschaffen, die von anderen Spitzenverbänden, namentlich dem der Apotheker, mittlerweile imitiert wird.

 

Neu: Ein KBV-Vorstand, der Gesundheits-IT kann

Was bisher fehlte, war eine konkrete KBV-Vision für die Gesamtstruktur eines digital integrierten Gesundheitswesens in Deutschland. Während sich Krankenkassen und auch Krankenhäuser in den letzten Monaten und Jahren zunehmend forsch mit eigenen, durchaus kontroversen Vorstellungen einer integrierten Aktenlandschaft hervorgetan hatten, war es auf Seiten der niedergelassenen Ärzteschaft diesbezüglich relativ ruhig, was auch damit zu tun gehabt haben mag, dass die KBV dermaßen mit sich selbst beschäftigt war, dass sie beinahe auseinandergeflogen wäre.

 

Doch politisch haben sich die Wasser zuletzt etwas beruhigt. Und mit dem vom Bundesministerium für Gesundheit erzwungenen dritten Vorstand hat sich die KBV in Person von Thomas Kriedel nicht nur jemanden geholt, der dem Dauerkrieg zwischen Haus- und Fachärzten zumindest ein wenig den Saft abgraben kann. Er versteht außerdem etwas von Gesundheits-IT. Zeit für eine Positionierung also, die mit den jetzt vorgelegten Positionspapieren zur Digitalisierung und zu Patientenakte auch erfolgt. Und darin finden sich dann auch ein paar sehr klare Vorschläge, die zumindest teilweise von dem abweichen, was andere Akteure sich so vorstellen.

 

Zertifizierung für Gesundheits-Apps in der vertragsärztlichen Versorgung?

Thema Gesundheits-Apps: Die KBV schlägt hier eine unabhängige Institution vor, die unter verbindlicher Mitwirkung der Selbstverwaltung IT-Anwendungen für die vertragsärztliche Versorgung zulässt. Diese Zulassung wäre Grundlage für sowohl die Anwendung durch Vertragsärzte als auch für die Kostenerstattung. Einen so weitgehenden Vorschlag zur Regulierung der App-Welt hat bisher noch niemand gemacht. Wollte man das verwirklich, bräuchte es eine gesetzliche Grundlage. Das wird dem einen oder nicht gefallen, aber es ist ein Vorschlag, der konkreter ist, als vieles andere, was zu diesem Thema bisher gesagt wurde.

 

Thema Telemedizin: Die Videosprechstunde, die der Hausärzteverband als „Rohrkrepierer“ bezeichnet, hat die in sie gesetzten Erwartungen bekanntlich bisher nicht erfüllt, auch weil sich KBV und GKV nur auf eine sehr enge und sehr knapp kalkulierte Minimallösung haben einigen können. Hier will die KBV nachjustieren und plädiert unter dem Stichwort „Ausbau der audiovisuellen Kommunikation“ unter anderem für eine assistierte Videosprechstunde unter Einbeziehung nicht-ärztlicher Praxisassistenten zur Sicherstellung der Versorgung auf dem Land. Das ist konzeptionell nicht neu, Stichwort Schwester AGNeS und Co, aber für die „AGNeS-Videosprechstunde“ eine eigene Vergütungsgrundlage zu schaffen, könnte durchaus helfen, solche Szenarien stärker zu verbreiten.

 

Plädoyer für Änderung der Musterberufsordnungen

Die KBV will außerdem die Videosprechstunde zur Entlastung der Notfall- und Bereitschaftsdienste genutzt wissen. Das klingt auf Anhieb erst einmal harmlos, ist es aber nicht. Tatsächliche ist es eine ziemlich deutliche politische Ansage an die Bundesärztekammer dahingehend, das Verbot des telemedizinischen Erstkontakts in den Berufsordnungen der Ärzte aufzugeben. Damit ist jetzt auch offiziell, was unter der Decke ohnehin schon klar war: Eine einheitliche Phalanx der Ärzteschaft zur Aufrechterhaltung des Fernbehandlungsverbots in Erstkontaktszenarien gibt es nicht mehr.

 

Bei der Telematik finden sich ebenfalls sehr konkrete Punkte. Die KBV hätte gerne, dass die Selbstverwaltung Standards sowohl für die vertragsärztliche als auch für die sektorübergreifende  Versorgung verpflichtend vorgeben kann. Die Forderung nach einer solchen Verschärfung des Interoperabilitätsverzeichnisses ist nicht zuletzt mit Blick auf jenes „E-Health-Gesetz 2.0“ zu sehen, das Stefan Bales vom Bundesministerium für Gesundheit jetzt bei der Fachtagung eHealth.nrw zum ersten Mal explizit angekündigt hat. Bales zufolge soll sich das neue Gesetz schwerpunktmäßig mit der elektronischen Patientenakte befassen.

 

„Gesundheitsaktenparagraphen abschaffen“

Die elektronische Patientenakte ist auch der KBV so wichtig, dass sie ein eigenes Positionspapier bekommt. Stand der breiteren politischen Diskussion ist derzeit, dass es zwei Umsetzungsmodelle gibt, die konkurrieren. Im einen Modell liegen primär ärztlich geführte und kontrollierte Akten innerhalb der TI. Diese Akten könnten über das Patientenfach der TI elektronische Gesundheitsakten außerhalb der Infrastruktur befüllen, die dann vollständig in der Hoheit des Patienten lägen. Das zweite, komplexere Modell geht von patientengeführten Akten innerhalb der TI aus.

 

Die KBV positioniert sich hier klar auf Seiten des zweiten Modells und möchte eine Patientenakte unter der Hoheit der Patienten/Versicherten innerhalb der TI. Parallellösungen mit elektronischen Gesundheitsakten werden nicht nur abgelehnt, der Gesetzgeber wird sogar aufgefordert, das SGB V zu bereinigen und den Gesundheitsaktenparagraphen §68 abzuschaffen. Ziel der KBV ist ein Modell, bei dem unterschiedliche Anbieter mit Aktensystemen innerhalb der TI konkurrieren, zwischen denen der Patient frei wählen kann. Diese Akten müssten „hinsichtlich der in [ihnen] enthaltenen Daten und auch beim Zugriff interoperabel sein“. Sie bräuchten zudem eine „anbieterübergreifende einheitliche Struktur, eine einheitliche Bedienung und effiziente Sortier- und Suchfunktionen.“

 

Bemerkenswert an dem KBV-Konzept ist, dass es die Patientensouveränität ausdrücklich betont. Das ist auch 2017 noch nicht selbstverständlich in der deutschen Ärzteschaft. Konkret fordert die KBV eine Abkehr vom Zwei-Schlüssel-Prinzip, damit der Patient auch ohne Arzt jederzeit seine Dokumente einsehen kann. Umgekehrt soll auch der Arzt entsprechend der erteilten Zugriffsrechte Dokumente in Abwesenheit des Patienten einstellen und einsehen können – inklusive Delegation an Praxismitarbeiter.

 

Positionen der KBV zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung http://www.kbv.de/html/31187.php

Positionen der KBV zur elektronischen Patientenakte http://www.kbv.de/html/31190.php

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM