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Patientenakten: Von Fakten und Fake-News

Ist das deutsche Gesundheitswesen bei der Patientenakte auf dem richtigen Weg? Die Positionen und Meinungen dazu sind sehr unterschiedlich. Das Wissen auch.

 

Wer den Vorstandsvorsitzenden des AOK Bundesverbands, Martin Litsch, zu einer Keynote ruft, der weiß, was er bekommt. Auch bei dem von HL7, IHE, dem BVITG und dem ZTG ausgerichteten, 2. Deutschen Interoperabilitätstag in Dortmund enttäuschte Litsch seine Zuhörer nicht. Er sehe im deutschen Gesundheitswesen das Interoperabilitätsproblem nicht so sehr auf technischer denn auf kommunikativer Seite, so der Chef-Lobbyist der AOK-Welt.

 

Noch immer viele Missverständnisse

Anschauungsmaterial lieferte Litsch dann gleich selbst. Das „medial propagierte“ elektronische Patientenaktenkonzept der KBV diene seines Erachtens primär dem Ziel, Kosten abzuwälzen und gleichzeitig die vollständige Kontrolle über die Daten in den eigenen Reihen zu behalten. Wer so antritt, macht kommunikative Interoperabilität jedenfalls nicht einfacher. Litsch wiederholte in Dortmund seine Forderung, die Entscheidungshoheit der Selbstverwaltung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu schleifen. Nötig sei eine unabhängige Struktur ähnlich einer Bundesnetzagentur, die dafür sorge, dass die Akten unterschiedlicher Anbieter kompatibel seien.

 

Litsch lehnte für die AOK auch die Kopplung des Patientenzugriffs auf die eigenen Daten an den elektronischen Heilberufsausweis – üblicherweise unter dem Stichwort „Zwei-Schlüssel-Prinzip“ diskutiert – ab. Der Patient müsse auch unabhängig vom Arzt auf seine Daten zugreifen können. Das sagt freilich auch die KBV, und auch die aktuellen Konzepte der Gematik sehen diesen „Heim-Zugriff“ explizit vor. Ohnehin zeigte sich in Dortmund einmal mehr, dass es ein Problem ist, wenn einige wenige genau wissen, was in der Gematik läuft, andere dagegen auf Mutmaßungen angewiesen sind.

 

Das geht bis in die hohe Politik. Der in Sachen E-Health sonst gut informierte Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut (SPD) gab zu Protokoll, nicht sicher zu sein, ob die Trennung von Patientenakte und Patientenfach eine gute Entscheidung gewesen sei, da die Konsistenz der Dokumente sichergestellt werden müsse. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde. Denn die Gematik-Pläne sehen zwar unabhängige Anwendungen für Patientenfach und Patientenakte vor, für deren Nutzung sich der Patient auch unabhängig voneinander entscheiden können soll. Es handelt sich dabei aber nur um zwei Sichten auf denselben Datenpool, nämlich den §291a-EPA-Datenpool, der von den Leistungserbringern befüttert wird.

 

Patientenfach mit Auto-Sync

Nur für die Aktivierung beider Anwendungen ist anfangs der elektronische Heilberufsausweis zusätzlich erforderlich. Das Patientenfach verschafft dabei selektiv den Blick auf bestimmte, vom Patienten gewünschte, Dokumente aus der §291a-EPA und ermöglicht deren Export. Dieser Zugriff ist auch von zu Hause aus möglich. Das Patientenfach ist außerdem der Weg, auf dem der Patient selbst Dokumente einstellen kann, für das er Stellvertreterzugriffe benennen kann und das er auch mobil nutzen können soll.

 

Die davon separierte EPA-Anwendung wiederum erlaubt unter anderem das Zugriffsmanagement auf den Gesamt-Pool der Daten. Dass beides nur unterschiedliche Sichten auf denselben Datenpool sind, wird am deutlichsten daran, dass der Patient die Möglichkeit erhalten soll, die Anwendungen „elektronische Patientenakte“ und „elektronisches Patientenfach“ so einzustellen, dass sie automatisch synchronisiert werden. Heißt: Er kann dann via Patientenfach auf den kompletten Datenbestand der §291a-EPA lesend zugreifen.

 

Anders ausgedrückt: „Konsistenzprobleme“ zwischen Patientenfach und §291a-EPA, verstanden als unterschiedliche Versionen des gleichen Dokuments, kann es eigentlich nicht geben. Konsistenzprobleme könnten höchstens zwischen ärztlicher Primärdokumentation und §291a-EPA auftreten, die in ihrer Gesamtheit ja eine Sekundärdokumentation ist, oder zwischen §291a-EPA und einer via Patientenfach-Export befüllten, webbasierten Gesundheitsakte, wie das beispielsweise bei der elektronischen Gesundheitsakte der Techniker Krankenkasse geplant ist.

 

Aufregung um Patiententerminals

Vor dem Hintergrund dieser Missverständnisse ist wohl auch die jüngste Aufreger-Sau zu sehen, die in der deutschen Healthcare-IT-Szene allerorten durchs Dorf getrieben wird. Litsch berichtete, dass die Sondergesellschafterversammlung der Gematik im September neben anderen, bei E-HEALTH-COM schon thematisierten Beschlüssen auch entschieden habe, die Pläne für Patiententerminals für einen Zugriff auf die §291a-EPA in medizinischen Einrichtungen vorerst nicht weiterzuverfolgen. Hier scheint nun aber das Bundesgesundheitsministerium quer zu schießen. In einem Brief an die Gematik von Mitte Oktober wurde Litsch zufolge mitgeteilt, dass das Ministerium die Septemberbeschlüsse in diesem Punkt beanstanden wolle. Die Politik will also die Terminals haben.

 

In der Healthcare-IT-Szene wird das im Moment zumindest teilweise so diskutiert als gehe es hier um ein Entweder-oder. Das ist aber nicht der Fall. Der Terminalzugriff in medizinischen Einrichtungen und der Heimzugriff ohne Arzt sind zwei Optionen, die unabhängig voneinander existieren. Nicht nur das Ministerium, auch viele Verbraucherschützer sind der Auffassung, dass es neben der Online-Variante auch eine „Geldautomaten-Variante“ des Patientenzugriffs geben sollte. Die Frage wäre dann eher, in welchem Umfang diese – sicher nicht billigen – Terminals dann auf wessen Kosten wo aufgestellt werden. Das freilich ist zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keine einzige Arztpraxis regulär an eine deutsche Telematikinfrastruktur angeschlossen ist, eine ziemlich hypothetische Diskussion.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM