In den letzten Monaten ist mir oft die Frage der Zuständigkeit begegnet: Wer ist eigentlich dafür zuständig, dass eine vom Bund bereitgestellte Software in den Kommunen läuft? Der Bund? Nein, der hat bereitgestellt. Die Kommunen? Nein, die haben ja eine in ihrer Zuständigkeit funktionierende Lösung, die sie in der Krise selbst entwickelt haben. Die Länder? Nein, dafür gibts ja die Kommunen. Am Ende fühlt sich niemand zuständig. Viele bemühen sich.
Das gleiche Spiel gab es bei der Etablierung von Verhaltensregeln und gibt es jetzt beim Impfstoff. Niemand will schuld sein – aber alle wollen den Lorbeerkranz. Doch wer ist eigentlich zuständig dafür, dass es nicht plötzlich zu wenig Klopapier im Supermarkt gibt? Richtig: wir alle. Das gilt auch für die Anzahl an Kontakten, die wir haben. Eine Limitierung der Kontakte ist nach wie vor die beste Möglichkeit, den Pandemieverlauf zu beeinflussen. Trotzdem: „Der Mensch ist ein Herdentier“, und er hat (teilweise mehr) Kontakte (als erlaubt). Manchen fällt es leichter und manchen schwerer, die eigenen Kontakte selbst zu dokumentieren. Es geht im Alltag schnell unter oder auf die Nerven, auch bei denen, die den Nutzen verstehen.
Wenn wir jetzt wieder mehr öffentliches Leben genießen, werden die Kontaktzahlen pro Infektionsfall zwangsläufig steigen. Das wird spätestens dann ein Problem, wenn Einzelne nicht genug Auskunft geben können oder wollen, wenn Gesundheitsämter an Landkreisgrenzen stoßen und unsichtbare Mauern mit viel personellem Aufwand telefonisch überwunden werden müssen. Ein Virus schert sich nicht um Kreis-, Landes- oder Staatsgrenzen. Am Ende sind wir alle zuständig.
Was hilft, ist Information. Wäre die Pandemie ein Brand, dann ist Information das Löschwasser. Der Umgang mit Information hängt dabei von der jeweiligen Lage vor Ort ab. Das lässt sich nicht pauschal aus Berlin verordnen. Doch wer liefert die Informationen? Wir alle! Wir alle müssen mitmachen, sonst klappt es nicht, und digitale Werkzeuge können, nein müssen helfen. Sie tragen dazu bei, die verborgene Kraft der Zivilbevölkerung zu nutzen. Wenn eine Möglichkeit gegeben ist, Kontakte unkompliziert zu dokumentieren und im Bedarfsfall schnell zur Verfügung zu stellen, dann werden die allermeisten bereit sein, das zu tun.
Wenn es aber keine Schnittstelle zwischen Kontakttagebuch und Gesundheitsamt gibt, wenn Gaststätten die eingesammelten Anwesenheitslisten aus ihren etablierten Lösungen nicht übermitteln können, dann sinkt die Motivation bei allen Beteiligten. Wenn ich fürchten muss, dass mein Engagement dazu genutzt wird, mir bei Regelübertretungen einen Strick zu drehen, dann überlege ich mir dreimal, was ich sage. Wenn ich aber das Gefühl bekomme, dass ich etwas tun kann, das sinnvolle Konsequenzen hat, und ich mich gleichzeitig fair behandelt fühle, dann werde ich Teil des Steuerungsprozesses dieser Pandemie. Endlich kann ich einen Beitrag leisten! Das motiviert. Das Beispiel zeigt auch, dass wirklich alle zuständig sind: Es gibt eine individuelle Dimension, eine technische Dimension, eine regulatorische Dimension.
Wenn Informationen das Löschwasser sind, sind die digitalen Tools und ihre Schnittstellen die Hydranten. Für eine pluralistische, föderale Gesellschaft brauchen wir genau das: Klug regulierten Zugriff auf Information. Leider sind wir noch nicht am Ziel, obwohl die Pandemie vieles auf den Weg gebracht hat. Die Bereitschaft zum Ausprobieren müssen wir fortsetzen. Diese Art zu denken darf sich gerne ausbreiten.
Autor:
Dr. Tobias Opialla
Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (InÖG). Der InÖG ist ein Zusammenschluss von Projekten zur Digitalisierung des ÖGD, der aus dem #WirVsVirus Hackathon des Bundeskanzleramts im Frühjahr 2020 hervorgegangen ist.