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Green Health: Je digitaler, desto grüner?

Nachhaltigkeit ist ein Megathema. Auch das Gesundheitswesen darf nicht einfach weitermachen wie bisher. Digitalisierung kann bei der Transformation helfen – und dazu beitragen, dass sie nicht auf Kosten der Versorgung geht. Außerdem hilft sie, dringend notwendige Business-Modelle zu entwickeln.

Bild: © metamorworks – stock.adobe.com, 184371705, Stand.-Liz.

Green is the new digital“ – die Branche hat die Nachhaltigkeit für sich entdeckt. Auf der diesjährigen DMEA war es schon zu spüren: Das Thema bewegt vor allem die Jüngeren. Dass sich die  ganze Community damit beschäftigt, wird aber höchste Zeit, denn immerhin ist das Gesundheitswesen für mehr Emissionen verantwortlich als Schifffahrt und Flugverkehr zusammen! In Deutschland kommt der Gesundheitssektor auf 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Das entspricht 5,2 Prozent der Gesamtemissionen (Lancet Policy Brief 2019). Ein kleiner Trost: Das liegt auch daran, dass das deutsche Gesundheitswesen so ausgeprägt und die Versorgung damit gut ist. Dennoch müssen sich die Akteur:innen die Frage gefallen lassen, was sie für den Erhalt des Planeten tun und welchen sinnvollen Beitrag die Digitalisierung dazu leisten kann.


In Bezug auf den Gesundheitssektor gibt es zahlreiche Gründe, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Die Folgen der klimatischen Veränderungen sind schon jetzt spürbar. Hitzewellen und Extremwetterereignisse haben in den letzten Jahren mehr Tote gefordert. Allein im Zusammenhang mit Hitze ermittelten Forscher für das Jahr 2018 rund 20 200 Todesfälle bei den über 65-Jährigen (Lancet 2020). Dabei wird es nicht bleiben. Das Pro­blem: „Wir sind auf solche Szenarien nicht vorbereitet“, mahnte Sylvia Hartmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)in ihrer Keynote auf der DMEA an. Krankenhäuser brauchen eine andere Bauplanung, um den klimatischen Veränderungen gerecht zu werden, die Wirkung von Medikamenten in überhitzten Körpern müsse besser erforscht, die Zunahme von Erkrankungen durch Luftverschmutzung stärker in Betracht gezogen werden.


Dies sind nur ein paar der Beispiele, die Hartmann in ihrem Vortrag nannte. Sie wünscht sich eine neue, holistische Sicht auf Gesundheit und mahnt mehr Tempo bei der Umsetzung von nachhaltigen Strategien für den Gesundheitsbereich an. Einer ihrer Vorschläge: Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen sollten Incentives gesetzt werden, damit diese motiviert werden, ihre Einrichtung nachhaltig zu machen.Das Thema ist auch in der Selbstverwaltung angekommen. Auf dem 125. Deutschen Ärztetag hatten die Anwesenden an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen appelliert, die notwendigen Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um bis zum Jahr 2030 eine Klimaneutralität für das deutsche Gesundheitswesen zu erreichen. Die Ärzteschaft will außerdem einen eigenen Beitrag leisten und die Geschäftsstelle inklusive der Gremiensitzungen sowie das Verwaltungshandeln der Bundesärztekammer bis 2030 klimaneutral gestalten. Gleichzeitig sandten die Delegierten einen Appell an alle Ärzt:innen, sich Gedanken zu machen, das eigene Verhalten in Bezug auf mehr Klimaschutz zu überprüfen und anzupassen.


Einzelne Krankenhäuser gehen voran
Viele Mediziner:innen engagieren sich für den Klimaschutz, haben Vereine und Verbände gegründet. Nicht selten sind es die Beschäftigten in den Krankenhäusern, die das Thema in die Kliniken tragen und etwas bewegen. Einige Kliniken sind in Sachen Nachhaltigkeit schon auf einem guten Weg. So hat sich das Krankenhaus Havelhöhe in Berlin vorgenommen, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden. Entscheidende Schritte dafür haben die Verantwortlichen bereits gemacht: Das Krankenhaus emittiert nach eigenen Angaben 2 000 Tonnen CO2 pro Jahr – vor 20 Jahren waren es noch 7 000 Tonnen. 70 Prozent der CO2-Emissionen wurden schon eingespart.


Der dickste Brocken in Sachen CO2-Emissionen ist in der Regel der Energieverbrauch. In Havelhöhe wurden durch die Installation von Photovoltaik, die Nutzung von Windenergie und die Umstellung auf Kraft-Wärme-Kopplungssysteme Erfolge erzielt. Doch damit nicht genug – in zehn Jahren soll die Bilanz der Klinik mit einer Null abschließen. Um das zu erreichen, wurden zusammen mit den Mitarbeitenden 14 Arbeitsgruppen (Führung, Chemikalien, Abfall, Energie, Wasser, Mobilität, Ernährung, Medikamente, Gebäude, Einkauf, Schulungen, Aktivitäten, Öffentlichkeitsarbeit und Luft) gebildet. Diese haben weitere gemeinsame Handlungsziele erarbeitet.


Um auf die Null zu kommen, hat sich die Klinikleitung in Havelhöhe auch auf die Fahne geschrieben, nicht bei den eigenen Emissionen haltzumachen. Daher hat man sich mit Partnern und Dienstleistern zusammengeschlossen. Ziel ist eine dezentrale und quartiersbezogene (lokale) hundertprozentig fossilfreie Energiegewinnung für das gesamte medizinische Handeln. Alle internen Arbeitsprozesse sowie alle externen Dienstleister, mit denen zusammengearbeitet wird, sollen auf den Weg zum emissionslosen Krankenhaus mitgenommen werden.


Das Beispiel zeigt, die Felder, auf denen die eigene Ökobilanz verbessert werden kann, sind umfassend und betrifft nahezu jeden Bereich des Krankenhauses. Doch wer sich wirklich ernsthaft mit dem Thema befasst, muss sich auch mit seinen Lieferketten befassen. Viele Medizinprodukte und Arzneimittel werden in weit entfernten Ländern hergestellt und erreichen Deutschland über komplizierte Lieferwege. In Zukunft wird nicht nur eine Rolle spielen, dass die Arzneimittel sicher sind, sondern dass diese auch den Standards des Umweltschutzes entsprechen.


Inzwischen gibt es zahlreiche Richtlinien, Zertifizierungsmöglichkeiten und Behörden, die Grenzwerte und Bauvorschriften entwickelten, an denen sich Krankenhäuser auf dem Weg zum „Green Hospital“ orientieren können. In Deutschland hat sich der größte Umweltschutzverband, der Bund für Umwelt und Naturschutz  Deutschland e. V. (BUND), des Themas angenommen und beteiligt sich deutschlandweit an Projekten zum Klimaschutz in Krankenhäusern. Seit 2001 vergibt er das Gütesiegel „Energiesparendes Krankenhaus“.


Wie viel Digitalisierung braucht Nachhaltigkeit?
Um Kliniken nachhaltig zu machen, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Doch welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Ist sie ein Enabler oder doch eher Hindernis? Immerhin fordert sie selbst ihren ökologischen Preis: Der große Energiehunger heutiger Krankenhäuser liegt nicht zuletzt an der modernen Informationstechnologie. Laut Statista liegt die prognostizierte Verteilung der erzeugten CO2-Emissionen durch Telekommunikations- und Informationstechnologie im Jahr 2020 bei 14,3 Prozent – Tendenz steigend. Die sich schnell entwickelnde Technik erfordert immer wieder den Austausch von Altgeräten, was wiederum Elektromüll produziert – auf der anderen Seite sind die neuen Geräte in der Regel energiesparender. Experten sagen voraus, dass die Technik das Potenzial hat, die Emissionen bis 2030 um rund 15 Prozent zu senken.


Eine konsequente Digitalisierung führt zu optimierten Prozessen und weniger Reibungsverlusten. Allerdings muss dazu vorher investiert werden. Die digitale Transformation erfordert nicht unerhebliche finanzielle Investitionen, und auch personelle Kapazitäten müssen freigesetzt werden, um den Wandel herbeizuführen. Sind diese Hürden erst einmal genommen, kann die Digitalisierung ihr Einsparpotenzial entfalten: Angefangen bei der Reduktion des Papierverbrauchs über die Verbesserung der klinikinternen Logistik durch etwa ein digitales Geräte- und Bettenmanagement bis hin zum Austausch älterer Geräte gegen neue, effizientere. Moderne Rechenzentren mit baulichen Optimierungen, etwa solche mit Kühlgängen, die warme Luft abführen, erfordern weniger Kühlung. Wo es sich anbietet, können Kliniken klinische Rechenleistungen in Cloud-Betriebe überführen. Professionell betriebene Rechenzentren haben in der Regel wesentlich effizientere Kühlmaßnahmen und Systeme.


Doch nicht immer muss Neues angeschafft werden, um Ressourcen zu sparen – manchmal geht es auch da­rum, nicht immer das Neueste vom Neuen zu haben. Wer angeschaffte Geräte länger nutzt, spart Geld und schont Ressourcen. Und manchmal ist eine genaue Kosten-Nutzen-Rechnung nicht verkehrt. So verweist Hartmann in ihrem Vortrag auf eine Untersuchung, bei der der Einsatz von roboterassistierter Technik in Bezug auf die Anzahl der dadurch geretteten Menschenleben und ihre Nachhaltigkeitsbilanz verglichen wurde. Das Ergebnis: Im Gegensatz zur telemedizinischen Videokonferenz schneidet sie so schlecht ab, dass sie am besten gar nicht eingesetzt wird.


Die Digitalisierung ist eng mit mehr Nachhaltigkeit verbunden. Faktisch teilen beide Felder eine ähnliche Historie: Zunächst stiefmütterlich als Nischenthema behandelt, haben sie sich in den letzten Jahren zu den wichtigsten Trends entwickelt. Der Digitalisierungs- bzw. der Nachhaltigkeitsgrad einer medizinischen Einrichtung ist entscheidend für deren wirtschaftlichen Erfolg und ihr Fortbestehen. Die Zielrichtung ist klar: Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein Thema für Greta-Thunberg-Fans, sondern muss in der Business-Logik des Gesundheitswesens einen festen Platz bekommen.

 

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Interview »Wir brauchen ein Nachhaltigkeitscontrolling«


Dr. med. Markus Müschenich ist Managing Partner von Eternity.Health und gilt als Spezialist für die Medizin der Zukunft. Er findet, Nachhaltigkeit und Digitalisierung haben viel gemeinsam.

 

Green Health ist ein Thema, das vor allem die junge Generation beschäftigt. Welche Verbindungen gibt es hier zur Digitalisierung?
Zum einen ist für die „born digitals“ Nachhaltigkeit eine Art Lebensthema. Außerdem ist das Thema
ohne die Digitalisierung nicht realisierbar. Das liegt daran, dass wir viele Daten brauchen, um festzustellen, wo wir bei der Nachhaltigkeit stehen und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Auf Deutschland bezogen gibt es so gut wie keine Daten zu Green Health. Das meiste stammt aus dem Vereinigten
Königreich, aber deren Gesundheitswesen ist anders als unseres. Und schließlich geht es um den Wett-
bewerb von Allokationen von Ressourcen.

Was ist bei Letzterem damit gemeint?
Wenn man heute Verantwortliche für die Finanzen im Krankenhaus fragt, welche Investments künftig die höchste Priorität haben, war das kürzlich noch die Digitalisierung, aber ab 2024 kommt auf die Unternehmensleitungen eine nichtfinanzielle Berichterstattung zu. Das bedeutet, dass der von den Wirtschaftsprüfern freigegebene Jahresabschluss sich um viele Seiten mit Informationen zum Thema Nachhaltigkeit vergrößern wird. Immer dann, wenn ein:e Wirtschaftsprüfer:in hinzukommt, erhält das Thema eine viel höhere Wertigkeit. Dann geht Green Health in Bezug auf die Ressourcenallokation in den Wettbewerb mit der Digitalisierung.

Die zunehmende Digitalisierung der Krankenhäuser braucht auch Energie und wirkt sich somit negativ auf die Bilanz aus. Wieso wiegen die Vorteile die Nachteile auf?
Ja, aber das heißt ja nicht, dass man über die Nachteile hinwegschaut. Die Vorteile sind klar: Die Patientenversorgung wird qualitativ verbessert. Sie ist gut, um Prozesse zu optimieren. Dadurch werden wiederum die Mitarbeitenden zufriedener und man kann damit Kosten senken. Außerdem ist sie nützlich für das Monitoring und Controlling. Das medizinische Controlling eines Krankenhauses präsentiert wirtschaftliche Zahlen, die in einem gut digitalisierten Haus tagesaktuell vorliegen. Das wird auch für die Nachhaltigkeit kommen. Der Gesetzgeber verlangt dann Nachweise darüber, was man innerhalb eines Jahres in Bezug auf Nachhaltigkeit gemacht hat.


Was heißt das für die Zukunft?

Das heißt, dass wir ein Nachhaltigkeitscontrolling benötigen, das nicht erst nach 365 Tagen aufzeigt, was passiert ist, sondern genauso tagesaktuelle Daten liefert wie das wirtschaftliche oder medizinische Con­trolling. Den Krankenhäusern wird das nicht als freiwillige Aufgabe überlassen. Es wird zu einer Gesetzesauflage. Aber auch andere Einrichtungen verlangen solche Nachweise, zum Beispiel Banken, wenn sie Kredite vergeben oder Investoren, die bewiesen haben wollen, dass Unternehmen Nachhaltigkeit ernst nehmen.

Nachhaltigkeit ist also nicht nur etwas für die idealistische Jugend, die auf Fridays-for-Future-Demos geht, um sich vor der Schule zu drücken?
Nein, es ist ein knallhart betriebswirtschaftliches Thema und sollte auch entsprechend angegangen werden – alle knallhart betriebswirtschaftlichen Themen brauchen vernünftige Planung, ein Controlling und eine ernst zu nehmende Strategie.

Worum müssen sich Krankenhäuser jetzt kümmern, damit sie das Thema nicht verschlafen?
Nachhaltigkeit muss zur Chefsache gemacht werden – ähnlich wie wir es bei der Digitalisierung gesehen haben. Das bedeutet, es muss in der Krankenhausleitung angesiedelt sein. Am besten durch die Schaffung einer Position für einen Nachhaltigkeitsspezialisten oder eine -spezialistin, der oder die direkt an die Unternehmensführung berichtet. Darüber hinaus braucht ein Krankenhaus eine Bestandsaufnahme und ein Benchmark. Zunächst geht es um Grundlegendes, also zum Beispiel, wie viel Energie die Heizanlage verbraucht und wie ein Wechsel zu „grünem Strom“ möglich gemacht werden kann. Dabei geht es ja noch nicht um Medizinisches. Diese Informationen werden nämlich in einem zweiten Schritt erhoben. Hier stellt man etwa fest, wie viel Müll auf einer Intensivstation entsteht. Die Bestandsaufnahme zeigt Stellschrauben auf, an denen gedreht werden kann, um Ressourcen einzusparen. Wenn man sehr tief in solche Analysen geht, kommt man schnell auf den indirekten Ressourcenverbrauch, wie er beispielsweise entlang von Lieferketten oder durch für die Krankenhäuser arbeitende Dienstleister entsteht. Echte Nachhaltigkeit ist ein weites Feld.

Heißt das, wir sind an dem Punkt, an dem Gretas Staffelstab übernommen werden und in die
Business-Logik übertragen werden muss?

Genau. Wir müssen uns nicht nur mit Nachhaltigkeit beschäftigen, weil wir kein Recht haben, unsere Erde kaputtzumachen. Es geht im nächsten Schritt darum, Business-Modelle zu entwickeln, die tragen. Wenn wir Green Health ernst nehmen, werden wir auch Ressourcen einsparen und da, wo das nicht geht, muss man entweder woanders einsparen oder kostenpflichtig kompensieren und damit auch der Politik klarmachen, dass das Gesundheitswesen teurer wird. Außerdem müssen wir Nachhaltigkeit aus dem Verzichtkontext herausnehmen. Es geht hier nämlich nicht darum, auf etwas zu verzichten. Es geht um intelligente Lösungen. Wir können dabei doch viel mehr gewinnen. Im Idealfall sollte es Freude machen, darüber nachzudenken, wie unser Gesundheitswesen nachhaltiger werden kann.