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Apple und Gesundheitswesen: „Privatsphäre ist ein Menschenrecht“

Apple hat das Gesundheitswesen zu einem seiner Top-Themen erklärt. Doch wie geht es weiter? E-HEALTH-COM hat Apples Healthcare-Chefin getroffen und ihr auf den Zahn gefühlt.

Apples Healthcare-Chefin Dr. Sumbul Desai in London, Foto: © Apple Inc.

Sumbul Desai ist seit 2017 für die Healthcare-Aktivitäten von Apple verantwortlich. Sie wurde einem breiteren Publikum dadurch bekannt, dass sie auf Apple-Veranstaltungen in den vergangenen Jahren über neue klinische Studien und Anwendungen der Apple Watch und über die Patientenakte Health Record berichtete. Dass das Unternehmen aus Cupertino dem Gesundheitswesen hohe Priorität einräumt, betont Apple-Chef Tim Cook derzeit bei jeder Gelegenheit.

 

Sumbul Desai gehört zu jenen, die Cooks Vision praktisch umsetzen. Sie ist kein IT-Nerd, sondern eine Ärztin, eine Internistin, und tatsächlich arbeitet sie auch noch in Teilzeit an der Stanford University in Kalifornien. Die Stanford University ist quasi die Geburtsklinik für das Unternehmen Apple als Medizinproduktehersteller. Dort wurde jene Apple Heart-Studie erdacht und koordiniert, im Rahmen derer ein Photoplethysmographie- (PPG)-basiertes Screening auf Vorhofflimmern bei 400 000 Trägern der Apple Watch ziemlich erfolgreich evaluiert wurde – ohne physische Studienzentren und in einem Tempo, das für Screening-Studien geradezu außerirdisch wirkte. Mittlerweile hat Apple FDA-Zulassungen und CE-Zertifizierungen für mehrere Apps seiner Smartwatch erhalten, darunter die PPG-basierte Überwachung des Herzrhythmus und die Ein-Kanal-EKG-Funktion der Smartwatch, die in der Apple Heart-Studie noch nicht getestet wurde.


„Wir wachsen gezielt und sehr organisch“
Gab es einen Masterplan für Apples Weg in das Gesundheitswesen? „Tatsächlich haben wir uns nie hingesetzt und gesagt: Jetzt gehen wir ins Gesundheitswesen“, so Desai zu E-HEALTH-COM. „Es war eher eine natürliche Evolution.“ So sei der Hauptgrund für den PPG-Sensor die Kalorienberechnung gewesen, also eine Fitnessanwendung. Es gab dann positive Rückmeldungen von Kunden hinsichtlich der PPG-basierten Herzfrequenzmessung, sodass irgendwann die Alarmfunktionen für hohe und niedrige Herzfrequenz entwickelt wurden. Daraus habe sich der PPG-basierte Vorhofflimmer-Alarm entwickelt, und letztlich dann das EKG mit seinem elektrischen Sensor, den mittlerweile andere Smartwatch-Hersteller kopiert haben.


Konkrete Angaben zur Zahl der Mitarbeiter, die bei Apple an Gesundheitsthemen arbeiten, lässt sich Sumbul Desai nicht entlocken. Apple fährt eine sehr restriktive Informationspolitik. Bekannt ist, dass seit Jahren in größerem Umfang FHIR-Entwickler eingestellt wurden. Auch im Projektmanagement dürfte es Neueinstellungen geben. Immerhin wurden gerade drei neue klinische Studien gestartet, die ähnlich ambitioniert sind wie die Apple Heart-Studie. „Wir wachsen ganz gezielt in Bereichen, in denen wir einen Investitionsbedarf sehen“, so Desai. „Auch das ist wieder sehr organisch, aber das Gesundheitswesen ist definitiv einer der Bereiche, denen sich Apple sehr verpflichtet fühlt.“ Wie sehr, das zeigte sich im Herbst, als drei neue klinische Studien angekündigt wurden, die mittlerweile alle laufen.


Drei neue Studien, und eine vierte steht kurz bevor
Die Studien sind alle im Bereich Prävention / Früherkennung angesiedelt. Aus Apple-Sicht ist das attraktiv, weil die normale Bevölkerung angesprochen werden kann, während klassische klinische Studien meist über die behandelnden Einrichtungen rekrutieren müssen. Die Apple Women’s Health Study ist ein Kooperationsprojekt mit der Harvard T.H. Chan School of Public Health und dem NIH-Institut NIEHS. Es handelt sich um eine prospektive, epidemiologische Kohorte mit angestrebt 500 000 Teilnehmerinnen, die – sehr ehrgeizig – bis zu zehn Jahre begleitet werden sollen. Die Studie nutzt unter anderem das digitale Menstruationstagebuch, das die Apple Watch seit Herbst anbietet. Ziel sind unter anderem Prädiktions-Tools im Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit, Schwangerschaft und Menopause. Außerdem sollen die Möglichkeiten einer Risikoabschätzung für Erkrankungen wie das polyzystische Ovarialsyndrom und Osteoporose eruiert werden.


Studie Nummer zwei ist die Apple Hearing-Studie, eine randomisierte Studie mit angestrebt 150 000 Teilnehmern, die bis Ende 2021 laufen soll. Sie untersucht die Effektivität eines User Interfaces, das vor zu großem Lärm warnt, sowohl auf Ebene der Kopfhörer als auch – unter Einsatz des neuen Apple Watch Lärmsensors – auf Ebene der Umgebungsgeräusche. Am vielleicht anspruchsvollsten ist schließlich die Apple Heart & Movement Study, eine prospektive Kohorte mit 500 000 Teilnehmern über fünf Jahre. Sie will körperliche Aktivität und Herzgesundheit in Beziehung setzen. „Unser Ziel ist, besser zu verstehen, wie Mobilität die Herzgesundheit beeinflusst, indem wir Messungen zum Herz und zur Aktivität zusammenbringen“, so Desai. Dadurch könnte die Diskussion um die Einbeziehung körperlicher Aktivitäten in ­Risiko-Scores vorangebracht werden. Apple will auch sehen, ob es innovative Möglichkeiten geben könnte, Menschen zu benachrichtigen oder ihnen zu helfen, sich aktiver mit ihrer Herzgesundheit auseinanderzusetzen.: „Es ist noch recht früh, wir werden im Laufe der Studie mehr Klarheit darüber haben, welche Richtung wir letztlich einschlagen.“ Dass speziell die Heart & Movement Study in Sachen Mitarbeit der Probanden kein Selbstläufer wird, ist Desai bewusst: „Wir setzen darauf, dass es die Menschen spannend finden, Bürger-Wissenschaftler zu werden und zum Fortschritt der Wissenschaft beizu­tragen.“


Neben diesen präventiven Studien ist eine vierte, diagnostisch-therapeutisch ausgerichtete Studie noch in Vorbereitung. Die Rede ist von der Heartline Study, die Apple mit dem Unternehmen Johnson & Johnson plant. Dazu werde es sehr bald mehr Informationen geben, so Desai. Die (randomisierte) Heartline Study ist quasi die Fortsetzung der Apple Heart Study. Untersucht werden soll bei bis zu 180 000 Menschen ab 65 Jahren, ob der Vorhofflimmer-Alarm mit gege­benenfalls sukzessiver Therapie zu ­einem nachweislichen Vorteil bei klinischen Endpunkten führt. Zum anderen wird bei den Patienten, die behandelt werden, eine App zur Verbesserung der Therapieadhärenz getestet. Das ist der J & J-Part.

 

Elektronische Patientenakte: Plädoyer für Dateneigentum des Patienten
Klinische und präventivmedizinische Studien sind nur ein Baustein in Apples Healthcare-Universum. Das zweite große Thema ist Health Record, die elektronische Patientenakte, die in den USA Teil der Apple Health App ist. Gegenüber E-HEALTH-COM sagte Desai, dass mittlerweile mehr als 450 Institutionen mit über 10 000 Einrichtungen an Projekten teilnehmen, bei denen medizinische Daten in Health Record übertragen und damit auf den Smartphones der Bürger verfügbar gemacht werden. Dabei handele es sich um zahlreiche verschiedene Arten von Information, nicht nur Arztbriefe und Befunde, sondern auch Labordaten, Impfungen und Medikationsdaten.


Die Frage, inwieweit Health Record auch außerhalb Nordamerikas und spezifisch in Deutschland verfügbar gemacht werden könnte, beantwortete Desai nur ausweichend. Es gebe Gespräche mit Stakeholdern in vielen Gesundheitssystemen weltweit: „Das Gebiet entwickelt sich sehr schnell, und wir sind definitiv daran interessiert, unsere Angebote global zur Verfügung zu stellen.“ Das lässt sich so und so interpretieren, aber nach einer unmittelbar bevorstehenden Bewerbung um eine gematik-Zertifizierung als ePA klingt es nicht.


Interessant sind im ePA-Kontext die Diskussionen, die derzeit in den USA laufen. Dort will das Office of the National Coordinator of Health IT (ONC) die Anbieter medizinischer Primärsysteme zwingen, Patientendaten besser verfügbar zu machen. Mittlerweile liegt ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, der die Geschäftsführerin des US-KIS-Herstellers EPIC  dazu bewogen hat, ihre Kunden per
E-Mail anzuschreiben mit dem Vorschlag, sich dem ONC und seinen vorgeschlagenen Regularien zu widersetzen. Das wiederum zog, wenig überraschend, einen Sturm der Entrüstung nach sich.

 

Desai wollte sich dazu nicht direkt äußern und verwies darauf, die ONC-Vorschläge nicht im Detail zu kennen. Sie machte aber doch deutlich, dass sie eine sehr starke Rolle des Patienten befürworte, und dass sich dies nicht nur auf selbsterzeugte Daten beziehe: „Grundsätzlich sind wir dafür, dass unsere Kunden Zugang zu ihren Gesundheitsdaten haben, und zwar in einer Art und Weise, die es ihnen erlaubt, die Daten zu nutzen und informierte Entscheidungen zu treffen. Sie sollten Zugang zu allen Daten haben, die sie brauchen, und sie sollten die Eigentümer dieser Daten sein.“


„Wir sehen keine Daten“
Die Apple Healthcare-Chefin äußerte sich auch zum Datenschutz, ein Thema, das das Unternehmen weit über die Healthcare-Anwendungen hinaus versucht, zu einer Art Markenzeichen auszubauen. Für Deutschland ist das sehr relevant. Zum einen ist durchaus denkbar, dass Apple mit Health Record in den deutschen Markt kommen möchte. Zum anderen gibt es Datenschutzdiskussion im Zusammenhang mit der BfArM-Liste der erstattungsfähigen digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Hier wird von einigen die Frage gestellt, inwieweit es aus Datenschutzgründen zu rechtfertigen ist, solche Anwendungen über kommerzielle App-Stores herunterzuladen. Es gibt Stimmen, die am liebsten nur WebApps und gar keine nativen Apps auf der BfArM-Liste sähen.


Desai bezog hier gegenüber E-HEALTH-COM sehr klar Stellung: „Datenschutz ist fundamental. Wir glauben, dass es ein Menschenrecht ist. Wir sehen keine Daten. Die Daten sind sicher verschlüsselt auf dem Mobilgerät, und nur Sie als Kunde entscheiden, mit wem und wann Sie die Daten teilen.“ Auf Nachfrage versicherte die Managerin, dass dies nicht nur für medizinische Daten wie etwa die EKGs, sondern auch für Informationen darüber gelte, welche Apps ein Kunde herunterlädt. Apple erfährt demnach nicht, ob ein Kunde zum Beispiel die Diabetes-App mySugr heruntergeladen hat. Auch diese Art von Informationen befinde sich ausschließlich auf den Mobilgeräten, so Desai.