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DiGA: Die unerschlossene Welt der IVD-Daten

von Dr. Martin Walger

Das im Dezember 2023 verabschiedete Digital-Gesetz (DigiG) signalisiert Aufbruch oder zumindest eine Aufholjagd bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dies ist gut so. Das Gesetz stößt jedoch in einem entscheidenden Bereich an seine Grenzen: die Einbindung von In-vitro-Diagnostik-(IVD)-Daten in digitale Gesundheits- (DiGA) und Pflegeanwendungen (DiPA).

 

Dieses Defizit wird auch deutlich angesichts des letzten DiGA-Reports des GKV-Spitzenverbandes, welcher die Effektivität vieler DiGA/DiPA hinterfragt. Statt den Fokus auf mögliche Unzulänglichkeiten zu richten, ist es an der Zeit, das unerschlossene Potenzial der DiGA und DiPA in der Versorgung nutzbar zu machen und diesen Bereich neu zu denken. Vielversprechend sind dabei die Perspektiven, die sich durch die Integration von IVD-Daten in digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen bieten.


DiGA und DiPA sind mehr als nur digitale Hilfen; sie sind Wegbereiter für eine personalisierte, datengestützte Gesundheitsversorgung. Sie ermöglichen Patient:innen und Pflegebedürftigen eine bessere Lebensqualität, indem sie die Chance bieten, Krankheitsverläufe besser zu managen und die Pflege zu erleichtern. Doch ihr volles Potenzial wird nach wie vor durch die gesetzlichen Einschränkungen im SGB V gebremst. Die momentane Gesetzeslage erlaubt Anwendungen, die nach der EU-Medizinprodukteverordnung zertifiziert sind, und schließt IVD-basierte Lösungen aus. Eine innere Logik für diese Limitierung ist nirgends bekannt. In der Folge bleiben damit wertvolle DiGA/DiPA-Ansätze, die Daten beispielsweise aus Kapillarblut, Atem oder Urin heranziehen, für die Versorgung der gesetzlich Versicherten gesperrt.


Ungleiche Patientenversorgung – nur aufgrund des Datenursprungs?
Im BfArM-Verzeichnis sind derzeit zahlreiche Medical Device-DiGA (MD-DiGA) gelistet, die schon jetzt Daten aus Zusatzgeräten verarbeiten. Sie nutzen zum Beispiel Blutdruckmessgeräte zur Überwachung von Herzinsuffizienz, Bewegungssensoren zur Behandlung von Gonarthrose oder Schlaftracker, die bei Ein- und Durchschlafstörungen helfen.


Glukosemessende Systeme für fortgeschrittenen Diabetes mellitus Typ II oder Typ I können künftig ebenfalls in Verbindung mit DiGA genutzt werden, jedoch nur dann, wenn es sich um eine sensorgestützte Technologie handelt, die rechtlich gesehen ein Medizinprodukt (Medical Device) darstellt. Das herkömmliche Messverfahren mit Teststreifen kann als Datenbasis für eine DiGA dagegen nicht herangezogen werden, da es rechtlich ein IVD ist.


Warum ist das so? Die Legaldefinition einer DiGA (und damit auch einer DiPA) findet sich in § 33a SGB V. Sie greift insofern leider zu kurz, als dort nur die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) Erwähnung findet, nach der die DiGA in Verkehr zu bringen ist. Entsprechende digitale Anwendungen, die nach der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) in Verkehr gebracht werden, sind im Gesetz nicht aufgeführt. Dies führt dazu, dass Anwendungen, die Daten aus dem (Inneren des) Körper(s) auswerten, nicht im DiGA- und DiPA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen und somit nicht erstattungsfähig werden können.


IVD-Anwendungen sind Teil der Lösung

Nutzenstiftende Beispiele für Anwendungen, die Daten aus IVD-Geräten analysieren, gibt es schon jetzt. Das prominenteste Beispiel ist das schon erwähnte klassische Blutzuckermessgerät, dessen Daten als Basis für eine „Diabetes-DiGA“ genutzt werden könnten. Hier wären in einem nächsten Schritt sogar Verknüpfungen mit anderen diagnostischen Daten machbar – Diabetes hat viele Begleit- und Folgeerkrankungen. Ein weiteres gutes Beispiel ist Asthma. Hier kann für Betroffene die Lungenfunktion mit einem handgroßen Atemgasmessgerät überwacht werden. In der Pflege könnten die Daten von Urintestgeräten zur Überwachung des Nährstoffhaushalts oder der Medikamenteneinnahme genutzt werden.


Der Einbezug von DiGA und DiPA, die auf IVD-Daten zurückgreifen, wird die Frage der Effektivität neu beantworten und die Vorteile einer digitalen Gesundheitsversorgung greifbar machen

 

Autor:

Dr. Martin Walger
Geschäftsführer Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH)

Kontakt: walger(at)vdgh.de