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Vernetzung |

Bis 2025 Plattformansätze in jeder zweiten Klinik

Telematikinfrastruktur, Krankenhauszukunftsgesetz, Ransomware-Attacken und jetzt Energiekrise: Quo vadis Krankenhaus-IT? Wir haben Hendrik Riedel gefragt, Managing Director Digital Avantgarde GmbH, die kommende Woche das 16. Meeting am Meer ausrichtet.

Bild: © Digital Avantgarde GmbH

Vor ziemlich genau zwei Jahren hat der Deutsche Bundestag das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) verabschiedet: Wie weit sind die deutschen Krankenhäuser mittlerweile mit der digitalen Zukunft?

Das KHZG ist die Initialzündung, die es dem deutschen Gesundheitswesen und speziell den Krankenhäusern endlich ermöglicht, sich flächendeckend dem internationalen Digitalisierungsstandard anzugleichen oder punktuell sogar Maßstäbe zu setzen – nicht nur in der Binnendigitalisierung, auch mit einem starken Fokus auf die Qualitätssteigerung von vernetzten bzw. regionalen Versorgungsstrukturen, die für den Patienten und das Gesundheitssystem den größten Mehrwert ausmachen. Durch die angespannte finanzielle Situation im Markt warten viele Kliniken aber mit dem Umsetzungsstart bis zum positiven Förderbescheid, zu wenige gingen in den vergangenen zwölf Monaten in die mögliche Vorleistung. Die komplexen Ziele des KHZG in den verfügbaren gut vier Jahren umzusetzen, war absolut realistisch. Aber dank und geringer „Risikoaffinität“ verringert sich der Umsetzungszeitraum jetzt für viele Kliniken de facto auf zwei Jahre oder weniger. Darunter wird die Qualität des Umsetzungsergebnisses leiden, und gewisse Projekte werden nicht mehr im beantragten Rahmen umsetzbar sein. In jedem Fall muss die Schlagzahl jetzt drastisch erhöht werden.

 

Welche Fördertatbestände (FTB) haben sich besonders bewährt und bringen die Einrichtungen voran?

Die FTB 2 bis 6 und 9 wurden durch die Malus-Regelungen und den § 19 Abs. 2 KHSFV nicht ohne Grund in Szene gesetzt und sind zusammen mit dem FTB 10 (IT-Sicherheit) die am häufigsten beantragten Fördertatbestände. Richtig orchestriert und umgesetzt ergeben diese sechs Fördertatbestände mit den einzuhaltenden Rahmenbedingungen ein belastbares eHealth-Ökosystem, das es den Kliniken ermöglicht, die aktuellen Anforderungen exzellent zu bedienen und auch künftigen Veränderungen entspannt entgegenzusehen, da eine zukunftsfähige Innovations- und Transformationsfähigkeit entsteht. Dies wird auch immer wichtiger, da es für die Bundesrepublik Deutschland kein klares „Big Picture“ für das Gesundheitswesen der Zukunft gibt und sich die Kliniken als Organisation resilient aufstellen müssen. Dabei geht es aber bei weiten nicht nur um den qualitativen und wirtschaftlichen Fortschritt, sondern auch um die mögliche Entlastung und Akzeptanzsteigerung bei den Prozessbeteiligten, allen voran den Patienten und Mitarbeitern.       

 

Eine fundamentale Rolle dabei spielen die Fördertatbestände 2 (Patientenportal), 3 (Behandlungsdokumentation) und 4 (Entscheidungsunterstützungssysteme), da diese aufeinander aufbauen und dabei fast alle Kliniken in Bezug auf die Komplexität, Datenqualität und Interoperabilität neues „Terrain“ betreten. Wenn das Klinik-Management die Digital-, Daten- und IT-Strategie sowie die daraus resultierende Projekt-Roadmap nicht erfolgreich orchestriert, können nach der Umsetzung mitunter nachhaltige Schäden entstehen, die wirtschaftlich und qualitativ sehr weh tun. Gleiches gilt oft auch für den Fördertatbestand 9 in Bezug auf die telemedizinischen Prozesse, die bei der aktuellen Marktentwicklung eine immer systemrelevantere Rolle einnehmen.

 

Wo sehen Sie aktuell die größten digitalen Herausforderungen auf Krankenhausseite?

Ob es genug Kliniken in Deutschland gibt, deren interne Organisation den Reifegrad aufweist, der für eine zielführende Planung und Umsetzung des KHZG notwendig wären, Stichwort „Digital Governance“, werden wir in den kommenden zwei Jahren sehen. Es besteht die Gefahr, dass das KHZG zu stark als IT-Thema eingeordnet wird und die entsprechenden Fachbereiche es gewohnt applikationsorientiert angehen. Wichtig ist aber, dass ein Teil der Investitionen in eine zukunftsfähige Architektur investiert wird, die auch den Rahmenbedingungen im Bereich systemübergreifendes Prozess- und Datenmanagement sowie der Interoperabilität ganzheitlich und herstellerunabhängig standhält. Denn Daten müssen dem Patienten institutions- und herstellerunabhängig in der richtigen Qualität folgen können. Wenn Kliniken diese Investitionsblöcke in der Projektierung ausgeklammert haben, besteht die Gefahr teurer, korrektiver Anpassungen, die für die Kliniken dann schwer finanzierbar sein werden.

 

Welche Fortschritte machen denn grundsätzlich diese Datenplattformen und die digitale intersektorale Kommunikation?

Im Markt sind entsprechende Systeme und Technologien ausreichend vorhanden. Welche für den jeweiligen Klinikträger die richtigen sind, hängt enorm von der technischen und organisatorischen Ausgangslage und den strategischen Zielen ab. Allein die Digital Avantgarde GmbH begleitet momentan circa achtzig Kliniken in Deutschland bei der Projektierung und Einführung einer Datenmanagement – und Interoperabilitätsplattform. Insgesamt dürfte es circa die Hälfte aller Kliniken in Deutschland sein, die bis 2025 solche Plattformansätze operativ eingeführt haben werden. Wir werden unsere Erfahrungen in den kommenden zwei Jahren so aufbereiten, dass diese dem ganzen Markt zur Verfügung stehen.  

 

Projektmanagement und Projektsteuerung sind übergreifende Themen für die Krankenhaus-IT, die auch Mitte September, bei dem von der Digital Avantgarde GmbH veranstalteten 16. Meeting am Meer, einen Schwerpunkt bilden. Was lehrt der KHZG-Marathon in Sachen Projektmanagement?

Das ist einer der erfolgskritischsten Punkte überhaupt, weit über die IT hinaus. Der Reifegrad des Projekt- und Programmmanagements ist in deutschen Kliniken aktuell sehr unterschiedlich. Durch das KHZG werden in den Krankenhäusern mehrere miteinander in Beziehung stehende Projekte ins Leben gerufen, die die zur Erlangung dieses Ziels erforderlichen Produkte bzw. Ergebnisse liefern sollen. Gleichzeitig werden im Programm die organisatorischen Veränderungen festgelegt, welche die strategischen Änderungen ermöglichen sollen. Wir merken jetzt in den deutschen Projekten, dass die meisten Krankenhäuser von der Organisation und Projektmanagementkultur noch nicht den dafür nötigen Reifegrad haben. Methoden- und Fachkenntnisse müssen oft parallel aufgebaut und wegen dem zeitlichen Druck erfahrene Berater hinzugenommen werden. Dennoch rechnen wir aktuell damit, dass viele Kliniken nicht dort ankommen werden, wo sie nach der Zieldefinition des KHZG ankommen sollten, zumindest nicht nachhaltig. Dass dieses Thema von den Kliniken erkannt wurde, merken wir an den Buchungen unserer Digital Avantgarde Akademie. Dabei hilft es, dass diese Unterstützung und die Fortbildungen auch über die Fördergelder finanziert werden können.

 

Die DKG hat aktuell einen Hilferuf in Sachen Energiekrise gestartet und fordert ein Entlastungspaket für Krankenhäuser. Wie wird sich die angespannte Versorgungslage bei Gas und Strom auf die Krankenhausdigitalisierung auswirken?

Das ist noch mal eine sehr große Belastung für das System und wir hoffen, dass entsprechende Hilfsprogramme schnell greifen. Durch die Inflation und die Gasumlage in Verbindung mit den Belastungen durch die Coronapandemie ergeben sich Rahmenbedingungen, welche die Kliniken in eine so unkomfortable Situation bringen, dass u.U. für den herausfordernden digitalen Transformationsprozess nicht mehr die notwendigen Budgets und Management-Ressourcen verfügbar sind. Das könnte dazu führen, dass Themen der strategischen und operativen Digitalisierung zu oft und zu schnell in Fachbereiche wie z.B. die IT verlagert – was dann die oben aufgeführten Herausforderungen vergrößert. Wir sehen aber an unseren gut 180 Klinikkunden in Deutschland, dass man diese Herausforderungen gemeinsam als Team meistern kann.

 

Das Interview führte Philipp Grätzel.

 

Weitere Informationen:

Programm des 16. Meeting am Meer

https://www.digital-avantgarde.de/meeting-am-meer/#programm