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Medizin |

„Die 116117 muss mittelfristig auch Telemedizin leisten können“

Fotos: © Lopata/axentis.de

Die Musterberufsordnung ist geändert, der Weg für Telemedizin im Erstkontakt ist frei. Doch was heißt das für Versorgung und Erstattung? Die KBV-Vorstände Thomas Kriedel und Stephan Hofmeister machen sich Gedanken.

 

Es sieht im Moment so aus, als ob die meisten Landesärztekammern die Änderung der Musterberufsordnung auf die eine oder andere Weise übernehmen werden. Sehen Sie hier Bedarf für eine Anpassung der Vergütungsstrukturen, damit telemedizinische Erstkontakte in der GKV-Versorgung ankommen?

Hofmeister: Ich denke, der Ärztetagsbeschluss wird überbewertet. Ich konnte als Arzt im Rahmen meiner persönlichen Verantwortung bei Patienten, die mir persönlich bekannt sind, schon immer Fernbehandlungen durchführen. Das macht jeder Hausarzt, und das ist auch abrechenbar. Bei vielen EBM-Ziffern gibt es überhaupt keinen Unterschied, ob ich telefoniere oder den Patienten sehe. Klar gibt es ein Problem mit der Pauschale, meistens ist die aber eh schon ausgelöst. Als Arzt gewinne ich auch keine Zeit, wenn ich eine Videokonsultation mache, beziehungsweise höchstens dann, wenn mir das einen Hausbesuch erspart.

 

Schleswig-Holstein hat die Berufsordnung schon geändert. Wenn Sie sich dort mit Ärzten unterhalten, die videosprechstundenaffin sind, dann sagen die ihnen, dass sie das für Privatpatienten anbieten und dass es von denen auch gerne in Anspruch genommen wird. GKV-Patienten bleiben aber außen vor, was unter anderem daran liegt, dass für eine telemedizinische Konsultation keine Quartalspauschale ausgelöst werden kann. Das kann es doch irgendwie nicht sein, oder?

Hofmeister: In dieser allerdings sehr speziellen Konstellation ist das tatsächlich ein EBM-Problem. Hier könnten wir uns als KBV problemlos vorstellen, dass ein Tele-Kontakt eine Quartalspauschale auslöst. Wir sind der Auffassung, dass es bei allen EBM-Ziffern, die Arzt-Patienten-Kontakt erfordern, ein Reset geben sollte in die Richtung, dass ein Arzt-Patienten-Kontakt auch fernmündlich oder videoskopisch erfolgen kann. An uns scheitert das nicht, aber das wird die GKV nicht mitmachen aus Sorge vor einer Mengenausweitung. Es ist uns ja nicht einmal gelungen, die telemedizinische Schrittmacherabfrage durchzusetzen, obwohl deren Nutzen nun wirklich evident ist. Alles was Kardiologen abrechnen können, ist die telemedizinische Abfrage der viel seltener genutzten implantierbaren Defibrillatoren. Als Arzt muss ich allerdings auch sagen: Ich sollte es mir im Einzelfall schon aus Haftungsgründen sehr gut überlegen, ob ich auf den direkten Arzt-Patienten-Kontakt verzichten kann. Ich habe eine wesentlich höhere Nachweislast mit Beweislastumkehr, wenn ich den Patienten nicht angefasst und gesehen habe.

 

Wie sieht es bei Patienten aus, die nicht in der Praxis bekannt sind? Wie könnte der kassenärztliche Notdienst durch telemedizinische (Video-)Beratung optimiert werden?

Kriedel: Uns schwebt im Zusammenhang mit der Neuorganisation der Notfallversorgung vor, die 116117, die bisher eine reine Telefonnummer für die ambulante medizinische Versorgung außerhalb der Praxis-Öffnungszeiten ist, zu einer rund um die Uhr erreichbaren Plattform auszubauen, die die für lebensbedrohliche Notfälle gedachte 112 ergänzt bzw. eng mit ihr verzahnt ist. Bei einer solchen Plattform können telemedizinische (Video-)Beratungen und auch Triage-Algorithmen, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, wichtige Teilkomponenten sein.

 

Wie könnte so etwas konkret aussehen?

Hofmeister: Die Anfragen, die bei der 116117 eingehen, reichen von „Mein-Kind-hat-36,5-Fieber-ist-das-schlimm?“ bis hin zu „Opa-liegt-im-Garten-und-ist-blau“. Das ist so in etwa das Spektrum, mit dem der entgegennehmende Telefonist arbeiten können muss. In einer ersten, sehr schnellen Triagierung müssen lebensbedrohliche Notfälle erkannt und an die 112-Infrastruktur weitergeleitet werden. Wenn es sich nicht um einen lebensbedrohlichen Notfall handelt, dann hat der Dispatcher Zeit für einen standardisierten Abfragebogen. Da stellen wir uns einen Fragebogen wie den Schweizer SMASS-Fragebogen vor, der vom ZI im Moment flächendeckend erprobt wird. Ungefähr einem Drittel der Anrufer kann hier bereits geholfen werden. Das zeigen alle internationalen Erfahrungen. Bei den anderen wird es einige geben, die rasche ärztliche Beratung brauchen. Das kann ein zeitnaher Arzttermin sein, aber auch eine sofortige telemedizinische Beratung. Die 116117-Plattform müsste demnach künftig auch Ärzte aufweisen, die direkt telemedizinisch beraten und bei Bedarf auch die vorhandenen Kräfte allozieren können. Das alles muss die 116117 mittelfristig leisten. Dazu braucht die KBV die Richtlinienkompetenz.

 

Wie genau würden Sie die Rolle der KVen sehen? Bei der KV Baden-Württemberg gibt es ja beispielsweise ein Modellprojekt zum telemedizinischen Notfallkontakt, bei dem die Dispatcherzentrale direkt bei der KV angesiedelt ist.

Kriedel: Da sollte man nicht zu viele Vorgaben machen. Wie das im Einzelnen umgesetzt wird, auch ob sich zum Beispiel KVen zusammentun, das wird regional unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass der Plattformgedanke überall gewährleistet ist und dass mittelfristig, wohlgemerkt mittelfristig, die Verknüpfung mit der 112-Infrastruktur und letztlich auch die Anbindung der Terminservicestellen gewährleistet wird. Ein Drittel bis zur Hälfte der Patienten in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser haben medizinisch gesehen dort nichts zu suchen, wie verlässliche Analysen zeigen.

 

Klingt erstmal überzeugend, aber der Teufel liegt vermutlich in den Details.

Hofmeister: Grundsätzlich ist das Entscheidende, dass den Patienten geholfen wird, und zwar idealerweise preiswert. Natürlich gibt es Themen, die noch zu diskutieren sind.  Bei der AU sind wir als KBV sehr sperrig. Wir sind der Auffassung, dass wir die AU auch ganz abschaffen können, wenn wir anfangen, sie fernmündlich zu machen. Denn dann wird sie komplett wertlos. Bei Rezepten sehe ich das persönlich ähnlich. Wenn Sie so krank sind, dass Sie verschreibungspflichtige Medikamente brauchen, dann würde ich mir Ihre Lunge schon ganz gern vorher nochmal anhören.

Interview: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM