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Digitale Medikation: Nochmal kurz nachdenken

Die erste Anwendung der neuen „ePA für alle“ soll der elektronische Medikationsplan werden. Aber kann der halten, was er verspricht? Oder braucht es vielleicht einen größeren Wurf?

Bild: © gematik

Noch gibt es in Sachen Medikation in der neuen elektronischen Patientenakte (ePA) nicht viel mehr als die Ankündigung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), diese Anwendung zu priorisieren. Wie das genau aussehen wird, dazu gibt es noch nichts Offizielles. Allerdings deutet sich bereits einiges an. Die eMedikation in der ePA soll offenbar als Medizinisches Informationsobjekt (MIO) umgesetzt werden. Nach allem, was zu hören ist, ist geplant, den bisherigen, auf dem Bundesmedikationsplan (BMP) basierenden elektronischen Medikationsplan (eMP) zwar in neuer FHIR-Struktur, aber sonst weitgehend unverändert, in die ePA zu heben.

 

Der eMP als Datei: Ein Konzept von gestern?

Das hätte einige offensichtliche Vorteile: Der eMP existiert, und er ist im Gesundheitswesen konsentiert. In Verbindung mit der OptOut-ePA bekäme er einen Hebel, um besser in der Versorgung anzukommen. Dass der vom Minister und seiner Digitalstrategie anvisierte Zeitplan – 80 % aller GKV-Versicherten mit Medikationsverordnungen haben bis 2025 einen ePA-basierten Medikationsplan – gehalten werden könnte, wäre zumindest im Bereich des Denkbaren. Allerdings würden mit einem solchen Vorgehen auch viele der Probleme in der Versorgung und bei der IT-Umsetzung fortgeschrieben, an denen BMP und eMP bisher ganz gewaltig krankten.

 

Der Grund: Auch in der neuen Version wäre der eMP in letzter Konsequenz ein dateibasiertes Dokument, das von Arztpraxen und Apotheken kontinuierlich fortgeschrieben wird – gegebenenfalls ein Leben lang. Dahinter steht das in Deutschland vor zwanzig Jahren formulierte Konzept einer ePA als hochsicherem Safe für patientenseitig verschlüsselte Dokumente. So wie die deutsche ePA (derzeit) konzipiert ist, werden ePA-Inhalte als Dateien Ende-zu-Ende-verschlüsselt, unter Nutzung von patienteneigenen Schlüsseln. Das funktioniert für unveränderliche Dokumente wie Arztbrief oder Laborbefund. Es wird aber schwierig beim eMP, der dynamisch ist.

 

Auch ein eMP als MIO hätte in der Anwendung Grenzen

Jemand, der sich darüber intensiv Gedanken gemacht hat, ist Mark Langguth, der zwölf Jahre lang bei der gematik tätig war und dort unter anderem die derzeitige erste Version der ePA als Produktmanager betreut hat, bevor er sich vor einigen Jahren als Berater selbständig machte. „Ein dateibasierter eMP bedeutet, dass jede Arztpraxis und jede Apotheke, die den lebenslangen eMP fortschreiben möchte, diesen herunterladen, entschlüsseln, verändern, verschlüsseln und wieder hochladen muss“, so Langguth.

 

Im Rahmen einer einzelnen Datei funktioniert das bei einem dynamischen, einrichtungsübergreifend zu erstellenden Dokument wie dem eMP nicht, schon deswegen nicht, weil der Medikationsplan bei Beschädigung der Datei komplett verloren wäre. Bei einem eMP, der als MIO umgesetzt wird, wird daher mit vielen kleinen Teildateien gearbeitet. Im Extremfall wird jede Verordnung, jede Dispensierung und jede weitere Information als eigene Datei gespeichert, und das jeweilige Primärsystem baut daraus dann ein virtuelles Gesamtdokument auf.

 

Auch ein solcher Ansatz macht aber Probleme. MIOs gelten bei Primärsystemherstellern als enorm komplexe Systeme, die sich kaum praktikabel implementieren lassen. Sie sind wegen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auch nur sehr eingeschränkt für Prozessautomatisierungen nutzbar. Auch Tools, mit denen sich die Datenqualität erhöhen bzw. kontrollieren lässt, sind bei einer Medikation als MIO nicht ohne Weiteres möglich. „Wenn dann eine Dosierung angepasst werden soll, müssen erst einmal alle Dateien heruntergeladen, entschlüsselt und verarbeitet werden, nur um die eine Dosierung zu finden, die angepasst und wieder hochgeladen werden soll. Und das ist nur ein Problem von vielen mit virtuellen MIO-Dokumenten. Das wird niemals produktiv nutzbar sein“, so Langguth.

 

Viele Vorteile: Digitale Medikation als datenbankbasierte Anwendung

Was wäre die Alternative? Wie könnte ein eMP in der ePA gelingen, der schlanker ist, der auch Patient:innen einen schreibenden Zugriff erlaubt, der gut Pflegepersonen oder Angehörige integrieren lässt und der überhaupt medikationsbezogene Prozesse besser unterstützt als der derzeitige BMP bzw. eMP? Die Antwort ist in den Konzepten für eine künftige ePA im Prinzip angelegt: Statt als kontinuierlich fortgeschriebenes Dokument könnte der eMP als Datenbankanwendung konzipiert werden. Und diese Datenbank könnte, entsprechend dem im digitalen Gesundheitswesen bevorzugt genutzten Standard, als so genannter FHIR-Server umgesetzt werden.

 

Bei einem solchen Konzept würden keine Dokumente mehr hin- und hergeschoben, sondern es würde ein für alle Berechtigten über die Telematikinfrastruktur sicher zugänglicher Medikationsplan mit allen weiteren medikationstherapiebezogenen Daten in einem „eMP-Backend“ angelegt und dort bei Bedarf ergänzt und verändert. Dieses eMP-Backend könnte in einem neu zu schaffenden Datenbankanteil des ePA-Backends angesiedelt werden, alternativ zum Beispiel auf dem existierenden eRezept-Server. In beiden Fällen könnte die Medikation in einem ePA-Frontend, also zum Beispiel der ePA-App einer Krankenkasse, angezeigt werden.

 

Aktionsbündnis Patientensicherheit ist ein Fan

Das Konzept eines eMP als digital unterstützte Medikationstherapie in einer Datenbank auf einem FHIR-Server wird unterstützt von Fachvertretern, Organisationen und Unternehmen, darunter das Aktionsbündnis Patientensicherheit, der Verband FINSOZ sowie dem C&S Pflegesoftwarehersteller und dem Portalanbieter m.Doc. Umstritten ist letztlich weniger das Ziel als die Frage von Geschwindigkeit und Reihenfolge. Sollte nicht jetzt, wo in Sachen gematik und in Sachen ePA dank Digitalstrategie und Opt-out-Einführung ohnehin einiges umgebaut werden muss, gleich der große Wurf gewagt werden? Oder landen wir – danach sieht es im Moment eher aus – zunächst einmal bei einem weiteren Zwischenschritt, der am Ende nicht das halten kann, was sich viele versprechen.

 

Klar ist, dass sich das deutsche Gesundheitswesen mit einem „Datenbank-eMP“ auch gedanklich weiterentwickeln müsste. Eine konsequente Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mit patienteneigenem Schlüssel ist mit einem nicht dokumentenbasierten Datenbank-eMP, der vielfältige Unterstützung beim Medikationsprozess bietet, nicht sinnvoll kombinierbar. Dafür erhält man das, was eigentlich alle immer wollten: Nicht einfach einen elektrifizierten Papierzettel, sondern eine digitale Medikation, die sich in die Versorgungsprozesse einfügt und allen Beteiligten im Alltag hilft.