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Medizin |

Digitalisierung in der Altersmedizin: Sterberate bei älteren Menschen ließe sich um bis zu 30 Prozent senken

Mithilfe der Digitalisierung und moderner Technik kann die Sterblichkeit bei älteren Menschen und Patienten um 20 bis 30 Prozent gesenkt und viele andere Symptome verbessert werden – davon ist Professor Clemens Becker, Sturz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), überzeugt. „Mit Smartwatches und neuen Apps gelingt jetzt schon sehr viel. Weitere Entwicklungen können zu einer grundlegenden Verbesserung des geriatrischen Assessments führen und so Diagnostik, Therapie und Prävention in der Altersmedizin bereichern“, sagt der Mediziner und Leiter der Abteilung Digitale Geriatrie an der Universitätsklinik Heidelberg.

Professor Clemens Becker, Sturz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG); Foto: © Fotostudio M42

Mit welchen Entwicklungen in naher Zukunft zu rechnen ist, darüber informiert Becker im Rahmen seines Keynote-Vortrages beim Geriatrie-Kongress, der vom 14. bis 16. September auf dem Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfinden wird. „Klar ist: Mit digitalen Anwendungen können wir die Lebensqualität hochaltriger Menschen deutlich verbessern.“

Becker macht aber auch deutlich, dass es mit handelsüblichen Schrittmessern und Apps noch nicht getan ist. „Hier sind die Messgeräte mit hochsensiblen Sensoren in den geriatrischen Kliniken wesentlich genauer.“ Mit deren Hilfe können die aus seiner Sicht vier wichtigsten Paramater zur Mobilität noch besser vermessen und ausgewertet werden: das Gehtempo im Außenbereich, die Schrittlänge, die tägliche Gehstrecke und die möglichst lange Gehstrecke ohne anzuhalten. „Wenn wir das Gehvolumen im ambulanten und stationären Bereich genau auswerten, dann können wir älteren Menschen präventiv und den Patient:innen viel individuellere Empfehlungen geben“, erklärt Becker. Dabei würden schon leichte Anpassungen einen großen Effekt ausmachen: „Wer seine täglich absolvierten Schritte von 4.000 auf 6.000 steigert, profitiert von einer besseren Kondition, mehr Lebensqualität und einer gestärkten Resilienz.“ Mit diesem Vorgehen ließe sich laut Becker die Mortalitätsrate von Menschen ab dem 70. Lebensjahr im Verlauf weniger Jahre um bis zu 30 Prozent senken.

Geriatrisches Assessment: Zukünftig mehrdimensionales Patientenbild erstellen
„Als nächster Schritt sollten die digitalen Assistenten bald Einzug in das umfassende geriatrische Assessment finden“, sagt Becker. Als Beispiel nennt er den sogenannten „Up-and-Go“-Test, bei dem Geriater:innen bislang mit bloßem Auge beobachten, wie sich ältere Patient:innen beim Aufstehen, Hinsetzen und Gehen verhalten. „Was das menschliche Auge kaum erkennt, wohl aber technische Sensoren: die Kräfte, die beim Be- und Entschleunigen oder bei einer Richtungsänderung während des Gehens wirken. Und es wird erkannt, wie die aktivierten Körperbereiche genau zusammenwirken“, so Becker. Die hier gesammelten Daten lassen ein mehrdimensionales Bild des Patienten entstehen: „Dieses Gesamtbild ist viel wichtiger als die bisherige Bewertung von Einzelaspekten, wie zum Beispiel das Gehtempo.“ Im Rahmen seines Keynote-Vortrages in Frankfurt will Becker weitere Anwendungsbeispiele aufzeigen. Auch auf Risiken und Grenzen der künstlichen Intelligenz will er eingehen.


Mehr Daten, weniger Medikamente: Technik kann kognitive, physische und emotionale Gesundheit stärken
Bislang seien im geriatrischen Assessment keine digitalen Aspekte vorgesehen. „Es sind noch zwei parallele Welten, das muss sich nun schnellstmöglich ändern. Die technischen Möglichkeiten sind mittlerweile vorhanden“, sagt Clemens Becker. „In den vergangenen drei Jahren haben wir durch verschiedene Untersuchungen herausgefunden, dass die körperliche Aktivität von älteren Menschen entscheidend ist für die kognitive, physische und emotionale Gesundheit.“ Becker ruft dazu auf, dass in Zukunft digital erfasste Werte der körperlichen Aktivität genauso regelmäßig und selbstverständlich erfasst werden sollten wie Blut-, Nieren- oder Herzfunktionswerte. „Diese neue Art des geriatrischen Assessments und daraus resultierenden Maßnahmen können wirksamer sein als so manches Medikament“, ergänzt Becker.

 

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie