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„Es fehlen transparente Ziele“

DVG und beyond: Maria Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen zu den Defiziten der deutschen E-Health-Politik und zur Rolle von gematik und BfArM in einem digitalen Gesundheitswesen.

Maria Klein-Schmeink, Bundestagsabgeordnete, WK Münster. Gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Foto: © Maria Klein-Schmeink

Am heutigen Mittwoch geht das Digitale Versorgung Gesetz (DVG) in die Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags. Dort ist außerdem ein eigener Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Thema, der bereits über das DVG hinausweist. E-HEALTH-COM sprach mit Maria Klein-Schmeink, als gesundheitspolitische Sprecherin der Partei treibende Kraft hinter dem Antrag.

 

Frau Klein-Schmeink, das Bundesgesundheitsministerium startet bei der Digitalisierung eine Initiative nach der anderen. Viele sind davon geradezu begeistert. Warum sehen Bündnis 90/Die Grünen das kritisch?

Unserer Auffassung nach ist das in weiten Teilen Aktionismus. Es gibt keinen übergeordneten Plan, und die eigentlichen Aufgaben werden nicht angegangen. Ins Gesetz zu schreiben, dass Ärzte Gesundheits-Apps zur Verfügung stellen sollen, ersetzt keine Strategie; ein bisschen Wirtschaftsförderung durch die GKV ersetzt auch keine Strategie. Es fehlen transparente Ziele. Es fehlt eine Instanz, die glaubwürdig Normen wie etwa inhaltliche Standards setzen kann. Und es fehlt vor allem an Koordination. Nehmen Sie einerseits die Medizininformatikinitiative, wo insbesondere die Universitätsklinika sehr aktiv sind, andererseits den Versorgungsbereich mit der gematik als maßgeblicher Instanz: Das ist absolut nicht aufeinander abgestimmt.

 

Wie ließe sich das ändern?

Es muss jemanden geben, der den Hut aufhat und der in der Lage ist, Prozesse zu koordinieren und anzustoßen. Das betrifft zum einen inhaltliche Standards. Die könnten zum Beispiel vom DIMDI koordiniert werden, aber ich würde mich da gar nicht so sehr festlegen wollen, das kann auch eine andere Instanz sein, die die nötige Fachkompetenz aufbaut. Was die digitale Gesamtstrategie angeht, plädieren wir für eine Bundesagentur, die den gesetzlichen Auftrag hat, alle an einen Tisch zu holen, Ziele zu formulieren und diese dann im Wechselspiel mit den relevanten Akteuren umsetzt.

 

Das Bundesgesundheitsministerium scheint sich ja selbst als diese Agentur zu sehen, und es will das BfArM als wichtige Instanz speziell für digitale Medizinprodukte ausgebauen. Wie stehen Bündnis 90/Die Grünen zu dem so genannten Fast-Track-Verfahren, bei dem das BfArM eine Liste digitaler Medizinprodukte kuratiert, die dann in der GKV erstattungsfähig sind?

Dieses Verfahren wird, so wie es im Moment angelegt ist, allenfalls Datensicherheit und Funktionalität überprüfen können. Wir werden keine sinnvollen Aussagen zum Versorgungsnutzen bekommen. Und genau das halte ich für ein großes Problem. Wir können nicht einfach irgendwelche Anwendungen nur auf Basis von Plausibilität in die Versorgung bringen, ohne dass Nutzen und Patientensicherheit angemessen nachgewiesen wurden. Wenn wir von Apps reden, die zum Beispiel in irgendeiner Weise Diagnosen vornehmen, dann können die nicht einfach ohne ärztliche Verordnung bzw. ohne Einbindung in ein Behandlungskonzept eingesetzt oder von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden.

 

Dass medizinische Qualität im Zusammenhang mit Gesundheits-Apps politisch nicht thematisiert wird, ist ja auch ein wichtiger Kritikpunkt vieler ärztlicher Berufsverbände und Fachgesellschaften. Bündnis 90/Die Grünen schlagen nach britischem Vorbild vor, den G-BA mit der Erstellung eines Evidenzkonzepts für digitale Gesundheitsanwendung zu beauftragen. Nun hat G-BA-Chef Hecken gesagt, „Spaß-Apps“ bis Medizinproduktklasse IIa interessierten ihn eigentlich gar nicht. Das klingt nicht sehr motiviert. Ist der GBA die richtige Adresse für das Thema Evidenzkonzept?

Wir haben genau das Problem, dass es keine Trennschärfe zwischen den Medizinprodukteklassen gibt. Nehmen Sie Anwendungen, die auf Basis von auch anderweitig in der Medizin eingesetzter Fragebögen einen Diagnoseabgleich machen, zum Beispiel bei Depression. Da stellt sich die Frage, wann so eine Anwendung beginnt, diagnostisch zu sein bzw. wie lang es noch eine rein verhaltensbezogene Anwendung ist, die die Betroffenen unterstützt. Diese Abgrenzung ist sehr wichtig, um die Frage zu beantworten, ab wann der G-BA zuständig ist. Deswegen brauchen wir so dringend ein Evidenzkonzept, und außerdem auch ein transparentes Verzeichnis, aus dem hervorgeht welche Apps qualitätsgesichert sind und welche Studiengrundlage es jeweils gibt.


Und dieses Evidenzkonzept sollte der G-BA erstellen?

Ob das der G-BA macht oder jemand Unabhängiges oder eine eigene Abteilung oder Arbeitsgruppe beim BfArM, darüber kann man streiten. Grundsätzlich halte ich es aber für schwierig, wenn wir uns bei einem Teil der digitalen Anwendungen bei der Nutzenbewertung und der Evidenzfeststellung völlig loslösen von dem Vorgehen, das wir bei anderen Behandlungsmethoden nutzen.

 

Was wünschen Sie sich in Sachen Patienteneinbindung von weiteren Spahn’schen Gesetzen?

Die Patienteneinbindung ist im Moment die ganz große Leerstelle, und das muss sich unbedingt ändern. Patienten müssen unter anderem in den Gremien, in denen es darum geht, die Features einer elektronischen Patientenakte festzulegen, permanent eingebunden werden. Es reicht nicht, gelegentlich Patienten in den Beirat einzuladen und anderthalb Stunden lang vorzutragen, was man vorhat. Wie wenig ernst es das derzeitige Bundesgesundheitsministerium mit der Patienteneinbindung nimmt, zeigt ja schon der Versuch, eine EPA ohne detailliertes Rechte- und Zustimmungskonzept einzuführen. Das ist Jens Spahn zu Recht um die Ohren geflogen, aber ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich etwas daraus gelernt hat.

 

Bündnis 90/Die Grünen bringen einen Antrag, der viele der Punkte enthält, die wir hier diskutiert haben, in die derzeit laufenden Lesungen des DVG ein. Was erhoffen Sie sich?

Wir würden es als Erfolg betrachten, wenn unsere Vorschläge in den zu erwartenden Entwurf des „DVG 2.0“, oder wie auch immer es genannt wird, eingehen. Dass das noch im laufenden DVG-Gesetzgebungsprozess passiert, diese Hoffnung haben wir nicht. Aber wir wollen auf jeden Fall schon einmal deutlich machen, was passieren muss. Das kann so nicht weitergehen. Bei der EPA ist jetzt schon ein großer Schaden und Vertrauensverlust entstanden, weil in dem ursprünglichen DVG-Entwurf Datenschutz, Patientensouveränität und informationelle Selbstbestimmung nicht in dem Maße ernstgenommen wurde, wie das immer versprochen worden war. Dieser Schaden muss dringend geheilt werden.