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Gesundheits-Apps: Wie wird die Rechtsverordnung lebendig?

Die Zeit drängt: Erste „Apps auf Rezept“ sollen noch in diesem Jahr in den Praxen auftauchen. In Heidelberg trafen sich jetzt alle, die dabei sein wollen.

Quelle: © PureSolution

Ende 2019 wurde das Digitale Versorgung Gesetz (DVG) verabschiedet. Es ermöglicht Ärzten erstmalig, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zu verschreiben, deren Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen im ersten Jahr übernommen werden. Wie die DiGAs konkret mittels des Fast-Tracks in die Versorgung gelangen, regelt die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).

 

Fahrplan des „DiGA Fast-Tracks“

Am 20. Januar veröffentlichte das BMG den Referentenentwurf der DiGAV, die voraussichtlich am 31.März 2020 in Kraft tritt. Zur gleichen Zeit, am 31.3.2020, wird das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Leitfaden veröffentlichen, der die Verordnung konkretisiert und detaillierte Erläuterungen zu den notwendigen Nachweisen enthält: „Eigentlich soll der Leitfaden alle Infos bereitstellen“, hofft Dr. Wolfgang Lauer, BfArM. Er hofft auf wenig Beratungsbedarf, aber das BfArM bietet DiGA-Herstellern dennoch ab April 2020 optionale Beratungen kostenpflichtig an, um potenzielle Fragen bezüglich ihres Aufnahmeantrags in das DiGA-Verzeichnis nach §139e SGB V zu klären. Im Mai 2020 wird das Antragsportal beim BfArM aufgebaut sein und die ersten Anträge entgegennehmen können, über deren Annahme beziehungsweise Ablehnung die Behörde jeweils innerhalb von drei Monaten entscheidet.

 

Sofern eine DiGA die „Allgemeinen Anforderungen“ an Sicherheit, Qualität, Funktionstauglichkeit, Datenschutz und -sicherheit erfüllt und ein Erprobungskonzept zum Nachweis eines positiven Versorgungseffekts vorliegt, wird sie vorläufig ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Lauer denkt, dass dies im Juli/August geschehen wird. Danach wird eine DiGA für ein Jahr in der Regelversorgung eingesetzt und es obliegt dem Hersteller, für diesen Zeitraum einen Preis für seine Anwendung festzusetzen.

 

Sollten sich in diesem ersten Jahr „positive Versorgungseffekte“ hinsichtlich des medizinischen Nutzens oder patientenrelevante Verfahrens- und Strukturverbesserungen in der Versorgung mittels einer vergleichenden Studie belegen lassen, beschließt das BfArM die endgültige Aufnahme in das Verzeichnis. Dann ist es an dem Hersteller, mit dem GKV Spitzenverband in Preisverhandlungen zu treten. Für den Fall, dass sich beide Seiten auch nach einem Jahr der Verhandlungen nicht auf einen Erstattungspreis einigen konnten, kann eine Schiedsstelle eingeschaltet werden.

 

Testlauf in Heidelberg

Bis Ärzte dieses Jahr DiGAs verschreiben können, müssen noch viele Fragen beantwortet werden. Die Praxistauglichkeit des DVG hängt ganz wesentlich von der Umsetzung der DiGAV ab. Ungewöhnlicher und ehrgeiziger Zweck der „XXL-Sprechstunde“ des vom Bundesministerium für Gesundheit gegründeten und diesem zuarbeitenden health innovation hubs (hih), die am 27. Februar in den Räumlichkeiten des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg stattfand, war es deswegen, Feedback und Anregungen von rund 350 teilnehmenden Entwicklern und Wissenschaftlern aufzugreifen und in die endgültige Fassung der DiGAV, die bislang nur als Entwurf vorliegt, einzubringen.

 

Die Veranstaltung beschäftigte sich insbesondere mit der Frage, auf welche Art und Weise der geforderte Nutzennachweis in der Praxis ablaufen könne. Gleichzeitig wurde im Rahmen eines „Researchathons“ erprobt, wie Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen anhand fiktiver DiGA-Beispiele Evidenzdesigns entwerfen, die die positive Nutzenhypothese im ersten Jahr der Regelversorgung valide evaluieren können.

 

Das war ein echtes Debut: „Wir betreten mit diesem Veranstaltungsformat des Researchathons absolutes Neuland. Bisher hat noch kein europäisches Land einen strukturierten Weg entwickelt, um digitale Innovationen in die Regelversorgung zu lassen. Entsprechend hoch ist nicht nur der nationale, sondern auch internationale Bedarf an den heutigen Ergebnissen unserer 100 Wissenschaftler“, kommentiert Dr. Henrik Matthies, Managing Director des health innovation hubs (hih).

 

Gegenwärtige Anforderungen an DiGas

Noch ist nichts in Stein gemeißelt, aber nach gegenwärtigem Stand soll eine DiGA die Daten nur zu den angegeben Zwecken verarbeiten und muss dauerhaft die technische Funktionsfähigkeit sowie Nutzerfreundichkeit gewährleisten. Der hih betont, dass viele Aspekte der DiGAV schon in der DSGVO und im SGB V geregelt sind. In puncto Datensicherheit betont Martin Tschirsich, Chaos Computer Club, dass es keine absolute Datensicherheit gibt: „Sie ist nicht zu erreichen, wir könnten nur versuchen, einen Mindeststandard einzubringen,“ ist sein Verdikt.

 

Tschirsich regt an, von Informationssicherheit zu sprechen, die er als Gesamtprozessbetrachtung versteht. Er macht auf die Relevanz der sicheren Anwendungsumgebung aufmerksam, denn selbst, wenn eine DiGA sicher betrieben werden kann, bedeute das nicht, dass die Anwendung selber sicher sei, da diese in einer Umgebung läuft, die sich der Kontrolle des Herstellers entzieht. Er appelliert: „DiGA-Verordnung ist keine Checkliste, sondern eine Stichprobe, die aktuelle Probleme anzeigt. Nur ein sicherer Entwicklungsprozess gibt größere Chancen, eine sichere App zu entwickeln. Man darf Sicherheit nicht erst am Ende denken und Mängel mit Penetrationstests zu vertuschen versuchen.“

 

Was fällt unter „positive Versorgungseffekte“?

Beim Nachweis positiver Versorgungseffekte durch eine DiGA sind die Abgrenzung medizinischer Nutzen versus struktureller Nutzen und die sich daraus möglicherweise ergebenden Unterschiede bei der Evidenzgenerierung eines der ganz großen Themen in der DiGA-Branche: „Der Nachweis positiver Versorgungseffekte durch verbesserte Verfahren und Strukturen ist auch Neuland für uns, medizinischer Nutzen ist für uns viel greifbarer“, sagt Julia Hagen, Director Regulatory & Politics, hih. Aber auch derjenige medizinische Nutzen, der auf eine nachhaltige Verhaltensänderung bzw. auf eine Verbesserung der Abläufe abzielt, werde oft als unbekanntes Terrain angesehen, ergänzt Matthies.

 

Hier eine Zusammenstellung möglicher positiver Versorgungseffekte, die mithilfe einer beispielhaften DiGA illustriert werden:

 

Verbesserte Verfahren und Strukturen:

  • Reduktion krankheitsbedingter Belastungen: DiGA, die logopädische Übungen für zu Hause inkludiert und die Belastung von Vor-Ort-Terminen reduziert
  • Koordination Therapie: Lotsen-DiGA, die jugendlichen Diabetikern (Typ 1) spielerisch hilft, in Erwachsenenmedizin überzugehen
  • Versorgungszugang: DiGA, die die Diagnose von stigmatisierenden Krankheiten außerhalb einer Praxis ermöglicht
  • Gesundheitskompetenz: DiGA, die Diabetikern Auskunft über die Auswirkungen von Nahrungsmitteln auf den Insulinspiegel gibt
  • Adhärenz: Bewegungstagebuch-DiGA, die spielerisch Bewegungsanreize setzt
  • Patientensicherheit: Sensorik-DiGA, die Feedback bezüglich der korrekten Ausführung physiotherapeutischer Übungen gibt.

 

Medizinischer Nutzen:

  • Verbesserung des Gesundheitszustands: DiGA; die die Diabetesremissionsrate bei Adipositaspatienten im Vergleich zu Nichtanwendern steigert
  • Verbesserung der Lebensqualität: DiGA, die Schmerzpatienten coacht, weniger auf Schmerzen zu fokussieren
  • Verkürzung der Krankheitsdauer: Aufmerksamkeitstraining-DiGA, die die Dauer von Migräneattacken verkürzt.

 

Wie gelangt eine DiGA zu einem verordnenden Arzt?

Die meiste Aussicht, auf den Radar eines Arztes zu gelangen, verspricht der Weg qua Kontakt über die mehr als fünfzig ärztlichen Berufsverbände und einhundert medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland. Aber auch eine Zusammenarbeit mit dem Pharmasektor, insbesondere dem Außendienst, bietet sich an sowie der Schulterschluss mit Apotheken, die Patienten über den zu ihrer Diagnose passende DiGA aufklären könnten. Außerdem wird der Austausch mit wichtigen Meinungsführern in der ärztlichen Profession empfohlen. Dr Felix Cornelius, MVZ, Berlin, regt an, DiGAs so zu konzipieren, dass sie so wenig wie möglich in etablierte Prozesse einer Praxis eingreifen.

 

Preis-Empfehlungen an DiGA-Entwickler

Das BfArM rät mit Hinblick auf eine Preisfindungsstrategie, für die ersten zwölf Monate einen Basispreis für eine DiGA mit entsprechender Basisfunktion festzusetzen, erst später sollten Funktionalitäten sowie die Preisskala erweitert werden. Der hih geht davon aus, dass kein Hersteller anfangs profitabel sein wird und findet eine Maximalpreisstrategie wenig hilfreich: „Hersteller, Ihr habt es in der Verantwortung. Achtet auf Eure Mitbegleiter, dass Ihr Euch Vertrauen verdient“, fordert Matthies. „Wir müssen in den 18 Monaten allen zeigen, dass es funktioniert“ gibt er mit auf den Weg. Das wird sich zeigen.