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Medizin |

GKV-Verband bleibt DiGA-skeptisch

Zwischenbilanz zu Digitalen Gesundheitsanwendungen aus Sicht der Krankenkassen: Suboptimale Nutzerquoten, unklare Evidenz, beliebig hohe Preise?

Abbildung 1: Gelistete DiGA im DiGA-Verzeichnis und Zahl der monatlichen Inanspruchnahmen (Ärztliche Verordnung plus Genehmigung durch Krankenkasse)

Der GKV-Spitzenverband hat einen weiteren Bericht zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) vorgelegt, der die Zeit bis Ende September 2022 abdeckt. Der Krankenkassenverband bleibt bei seiner kritischen Haltung zu dieser Versorgungsinnovation, sieht aber Spielräume für Verbesserungen. „Wir sehen durchaus großes Potenzial, wie DiGA die Patientinnen und Patienten beim Erkennen oder Überwachen von Krankheiten unterstützen können. Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt aber, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstandsmitglied beim GKV-Spitzenverband.

 

Zahl der Verordnungen stagniert derzeit

Ein paar Zahlen aus dem Bericht: Monatlich würden derzeit zwischen 10.000 und 12.000 DiGA verordnet, so der GKV-Verband. Diese Zahl sei seit Anfang 2022 nahezu konstant. Sie liegt allerdings deutlich höher als 2021, als die monatlichen Quoten eher in der Größenordnung von 5000 bis 6000 Inanspruchnahmen lagen. Wer genauer hinsieht, erkennt, dass es insbesondere im Herbst 2021 zu einem deutlichen Sprung bei den in Anspruch genommenen DiGA kam, was im Zusammenhang stehen dürfte mit relativ vielen DiGA-Neuzulassungen im zweiten Halbjahr 2021. (s. Abbildung 1)

Was die Verteilung der Verordnungen innerhalb des DiGA-Spektrums angeht, so machen die fünf am häufigsten genutzten DiGA den GKV-Daten zufolge 66 % aller DiGA-Verordnungen aus. Konkret sind bzw. waren das zanadio, Vivira, Kalmeda, somnio und M-sense. Einen Gesamtüberblick über die DiGA-Verordnungen gibt Abbildung 2. Insgesamt wurden demnach seit Einführung im Herbst 2020 rund 164.000 DiGA in Anspruch genommen. Zu Ende September 2022 gelistet waren 33 DiGA. Derzeit sind es 40.

 

Fünf DiGA wurden bisher wieder gestrichen

Insgesamt fünf DiGA wurden wieder aus dem Verzeichnis gestrichen, weil sie vorläufig gelistet waren und letztlich die Anforderungen des BfArM nicht erfüllen konnten. Die in der Krebsversorgung angesiedelte Mika-App sowie die Migräne-App M-Sense verließen das Verzeichnis Ende März 2022 bzw. Anfang April 2022. Die Streichung von M-Sense dürfte den in Abbildung 1 sichtbaren Inanspruchnahme-Knick im April 2022 mit erklären. Gestrichen wurden außerdem die App ESYSTA für insulinpflichtige Diabetes-Patient:innen Anfang Oktober 2022 und die Schlaganfallnachsorge-App Rehappy Ende September 2022, außerdem der Selfapy-Onlinekurs Panikstörung Mitte November 2022.

Abbildung 2: DiGA-Verordnungen (auf Basis eingelöster Freischaltcodes) bis Ende September 2022 im Detail. Quelle: GKV-Spitzenverband

 

Krankenkassen kritisieren Preispolitik

Dass sich der GKV-Spitzenverband auch zum Thema DiGA-Preise äußert, versteht sich bei einem Kostenträgerverband von selbst. Stoff-Ahnis wird hier relativ deutlich: „Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt aber, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen. Trotz dieser unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden. Hier sollte der Gesetzgeber schleunigst einen Riegel vorschieben.“

 

Die Auswertung der GKV zeige insbesondere, dass es bei den Herstellerpreisen Unterschiede zwischen dauerhaft aufgenommenen und vorläufig im Rahmen des so genannten Fast-Track gelisteten DiGA gebe, so die GKV. Während die Herstellerpreise für dauerhaft gelistete DiGA im Durchschnitt bei 500 Euro für in der Regel ein Quartal lägen und konstant bis leicht rückläufig seien, habe es bei den Erprobungs-DiGA im Vergleich zum ersten Berichtsjahr einen Anstieg um rund 20 % gegeben. (Abbildung 3). Die zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen Höchstbeträge begrenzten das Preisniveau „nicht nennenswert“, so die GKV.

 

„Es gibt augenscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen. Ganz im Gegenteil: Selbst bei DiGA, die ihren Patientennutzen nicht innerhalb eines Jahres belegen konnten und deren Erprobungszeitraum deshalb verlängert wurde, kam es zu deutlichen Preiserhöhungen“, so Stoff-Ahnis. Als Beispiel nennt der Verband eine Panik-App, bei der im ersten Jahr der Erprobungs-Listung kein Nutzennachweis gelang und der Preis für die Verlängerung der Erprobungsphase dann von 428 Euro auf 620 Euro angehoben worden sei.

Abbildung 3: Tendenz nach oben: Entwicklung der Herstellerpreise für DiGA, getrennt nach endgültig in DiGA-Verzeichnis aufgenommenen (schwarz) versus noch in Erprobung befindlichen DiGA (weiß). Quelle: GKV Spitzenverband

 

Forderungen der einen, Kritik der anderen

Der GKV-Spitzenverband leitet aus den aktuellen Zahlen mehrere Forderungen an die Politik ab. Gefordert werden „zentrale Anpassungen“ der gesetzlichen Rahmenbedingungen, konkret eine Abschaffung des Fast-Track, sodass nur noch DiGA mit bereits erfolgtem Nutzennachweis aufgenommen werden können. Verhandelte Preise sollten außerdem vom ersten Tag der Aufnahme in die Regelversorgung gelten, und Leistungserbringer und GKV-Spitzenverband sollten in den Zulassungsprozess einbezogen werden. Dies, findet der Verband, werde Vertrauen und Akzeptanz bei Ärzteschaft und Patient:innen steigern.

 

Das alles freilich hätte mit dem, was Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn und sein Team bei der DiGA-Einführung im Sinne hatten, nur noch wenig zu tun. Der Fast-Track war gerade deswegen geschaffen worden, um die Hürden für digitale Anwendungen zu senken und dazu beizutragen, dass sie schneller in der Versorgung ankommen – notfalls um den Preis, dass nicht immer der Nutzennachweis gelingt und die DiGA dann wieder zurückgezogen werden muss. So gesehen ist das, was die GKV kritisiert, letztlich ein Zeichen dafür, dass die Saat des DVG-Gesetzes aufgeht und der politisch intendierte Effekt erreicht wird.

 

Interessant ist die Kritik an der Phase der freien Preisbildung sowie der Vorschlag, die GKV in den Zulassungsprozess einzubeziehen. Bisher hatten die GKV und auch Frau Stoff-Ahnis selbst meist kommuniziert, dass sie sich eine Einbeziehung der DiGA in den normalen AMNOG-Prozess vorstellen. Dieser kennt die freie Preisbildung, und die Krankenkassen sind beim AMNOG-Prozess zwar bei der Nutzenbewertung, nicht dagegen bei der vorgelagerten Zulassung eingebunden. Was die GKV jetzt fordert, klingt jetzt etwas anders; tatsächlich wäre eine Einbindung der Krankenkassen in die eigentliche Zulassung – eines Arzneimittels oder, in diesem Fall, eines Medizinprodukts – absolutes Neuland und für viele sicherlich ein ziemlich rotes Tuch.

 

„Politisch motivierte Interpretation von Daten“

Wenig überraschend übt die Herstellerseite scharfe Kritik an dem DiGA-Report der GKV. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung betont, dass der Report „auch dieses Mal“ die wachsende Bedeutung des noch jungen Versorgungsbereichs nicht neutral darstelle. Weder sei es richtig, dass der Zugang zur Versorgung für DiGA nicht an Evidenz gekoppelt sei, noch werde bei der Kritik an den Regelungen zur Preisfreiheit und zu Höchstbeträgen transparent darauf hingewiesen, dass der GKV-Spitzenverband an den entsprechenden Verhandlungen immer beteiligt sei.

 

„Der aktuelle DiGA-Report des GKV-SV weist eine politisch motivierte Interpretation von Daten auf und dient dem Ziel, enger in den Zulassungsprozess von DiGA eingebunden zu werden“, betont Dr. Anne Sophie Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverbandes Digitale Gesundheitsversorgung. „Die pauschale Kritik ist unbegründet und DiGA sind heute eine zunehmend wichtige Säule der Versorgung: So haben sich die Verordnungs- und Genehmigungszahlen von DiGA im letzten Jahr verdreifacht und die Rückmeldungen von Behandlerinnen und Behandlern sowie von Patientinnen und Patienten sind überaus positiv.“

 

Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass es die Herstellerseite der GKV in den ersten zwei DiGA-Jahren durch endlose interne Streitigkeiten relativ leicht gemacht hat, in der Öffentlichkeit zu punkten. Die Machtpolitik, die die Herstellerverbände dem GKV-Spitzenverband vorwerfen, und wohl zu Recht vorwerfen, findet durchaus auch innerhalb der Herstellerverbände statt. Den Patientinnen und Patienten hilft diese Machtpolitik nicht, egal an welcher Stelle sie stattfindet.

 

Philipp Grätzel, Chefredakteur E-HEALTH-COM

 

Weitere Informationen

DiGA-Bericht des GKV-Spitzenverbands Zeitraum 1.9.2020-30.9.2022

https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf