„Wir werden dieses Land digitalisieren“, der Satz des wahrscheinlichen künftigen Finanzministers Christian Lindner (FDP) wurde gestern viel zitiert. Und tatsächlich zieht sich die Digitalisierung gewissermaßen von vorne bis hinten durch den gestern vorgestellten Koalitionsvertrag. Da ist es schon fast erstaunlich, dass das digitale Gesundheitswesen vergleichsweise knapp abgehandelt wird.
Der Reihe nach: Die Ampelkoalitionäre von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben einige ehrgeizige digitale Ziele in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Flächendeckend Glasfaser und neuer Mobilfunkstandard, gezielte Investitionen in die „weißen Flecken“ der digitalen Landkarte, damit geht es los. Unter dem Stichwort „digitale Bürgerrechte und IT-Sicherheit“ wird ein Recht auf Verschlüsselung angekündigt, das ausdrücklich auch die Kommunikation mit dem Staat einbezieht. Die Herstellerhaftung in Sachen IT-Sicherheit soll verschärft werden, die digitale Souveränität der Bürger soll durch das „Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme“ gesichert werden.
Gesundheitsdatennutzungsgesetz und Registergesetz
Strukturell soll das BSI gestärkt und vor allem unabhängiger werden. Staatliche Stellen werden verpflichtet, bekannt gewordene Sicherheitslücken zu melden und extern überprüfen zu lassen. In Sachen Daten wird etwas vage ein „Dateninstitut“ angekündigt, das Datenverfügbarkeit und Datenstandardisierung vorantreiben soll. Rechtliche Grundlage dafür soll ein „Datengesetz“ bilden. Die Datenschutzkonferenz soll im Bundesdatenschutzgesetz institutionalisiert werden, und es sollen ihr, „wo rechtlich möglich“, verbindliche Beschlüsse ermöglicht werden.
Daten sind wenig überraschend dann auch ein wichtiges Thema in den Seiten des Koalitionsvertrags, die sich um Pflege und um Gesundheit kümmern. Angekündigt werden hier konkret ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz und ein Registergesetz mit dem Ziel einer besseren wissenschaftlichen Nutzung von Gesundheitsdaten. Dazu soll „eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur“ aufgebaut werden. Wie das mit der Medizininformatik-Initiative (MI-I), dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) und Jens Spahns Forschungsdatenzentrum am BfArM zusammengeht, bleibt abzuwarten. So konkret sind Koalitionsverträge bekanntlich nicht.
Telemedizin soll weiter gestärkt werden
Eine langjährige Forderung von Bündnis 90/Die Grünen und auch von Teilen der IT-Industrie greift der Koalitionsvertrag auf: Das deutsche Gesundheitswesen soll eine regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie erhalten. Das SGB V als Strategiekommunikations-Tool hat damit wohl ausgedient. Inhaltlich soll die Digitalisierung eine „Entlastung bei der Dokumentation“ und eine „Förderung sozialer Teilhabe“ bringen und außerdem therapeutisch genutzt werden: „Wir ermöglichen regelhaft telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung.“
Gesundheitsinfrastrukturen und Telematikanwendungen
Der eigentliche Knaller der Gesundheitsseiten des Koalitionsvertrags hat mit Digitalisierung zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar zu tun. Das Robert-Koch-Institut in der derzeitigen Form soll aufgespalten werden. Künftig wird es ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesgesundheitsministerium geben. In ihm wird zum einen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aufgehen, zum anderen soll es zuständig sein für Public Health Aktivitäten aller Art inklusive der Vernetzung des ÖGD. Letzteres war bisher am RKI angesiedelt, kam dort aber – auch wegen mangelnder Unterstützung aus dem Ministerium – jahrelang kaum voran, was dem deutschen Gesundheitswesen bekanntlich krachend auf die Füße gefallen ist. Das RKI selbst soll als eine Forschungsinstitution weiterbestehen, die weisungsUNgebunden forschen darf. Hier, und weniger am neuen Public Health Institut, dürfte dann auch die Zukunft Lothar Wielers liegen.
Ebenfalls schlagzeilenträchtig ist auf Seiten der Telematikanwendungen die Umwandlung der elektronischen Patientenakte (ePA) von einer Opt-in- in eine Opt-out-Anwendung: Jeder GKV-Versicherte soll künftig eine ePA erhalten, wer sie nicht will, meldet sich nach dem Vorbild Österreichs aktiv ab. Das derzeit eher bremsende E-Rezept soll „beschleunigt“ werden, ohne dass das weiter konkretisiert wird. In Sachen gematik steht der Ausbau zu einer „digitalen Gesundheitsagentur“ an; auch hier bleibt es auf diesem eher hohen Abstraktionsniveau.
Who the Minister:in?
Spannend machen es die Koalitionäre beim Thema personelle Besetzung der Friedrichstraße. Das Gesundheitsministerium kommt in SPD-Hände, so viel steht fest. Wer es am Ende bezieht, ist noch offen und soll erst Anfang Dezember bekannt gegeben werden. Das Volk, es ruft nach Corona-Karl, doch gibt es sowohl im Gesundheitswesen als auch innerhalb der SPD Widerstände gegen einen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Dessen Rolle bei der DRG-Einführung hat ihm das deutsche Gesundheitswesen nie verziehen, und auch sonst machte der Professor vor Corona immer wieder mit zweifelhaften gesundheitspolitischen Ideenbötchen auf sich aufmerksam, die oft hart an den gerade aktuellen Strömungen des Populismus segelten.
Konkurrenzlos ist Lauterbach nicht, die SPD hat vorzeigbare und kompetente Alternative. Wer eine größere Summe verwetten möchte, sollte vielleicht eher auf Katja Pähle setzen, eine 44-jährige Soziologin/Psychologin aus Halle/Saale, die Verhandlungsführerin der SPD für Gesundheit und Pflege in den Koalitionsverhandlungen war.