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Medizin |

Kontakt-App zur Seuchenkontrolle kann den Unterschied machen

Eine auf realen Pandemiedaten basierende Modellierung des SarsCoV2-Ausbruchs stellt eine wichtige Frage: Ist es ethisch, bei Covid-19 eine Kontakt-App nicht zu nutzen?

Quelle: © petovarga – stock.adobe.com

Covid19 ist in vielerlei Hinsicht eine etwas eigenwillige Pandemie. Sie breitet sich einerseits rasend schnell über den Globus aus. Gleichzeitig ist sie aber nicht unkontrollierbar. Es gibt Länder wie China, Singapur und Südkorea, die es geschafft haben, die Ausbreitung relativ zügig weitgehend einzudämmen, zumindest auf ein Level, mit dem die jeweiligen Gesundheitssysteme gut klarkommen. Bei einer Virusgrippe wäre das kaum möglich.

 

Die asiatischen Staaten nutzen für ihr SarsCoV2-Management auch Kontakt-Apps, mit denen Infizierte getrackt und Kontaktpersonen gewarnt werden können. In Deutschland gibt es ebenfalls Diskussionen über derartige Apps. Am heutigen Mittwoch soll eine entsprechende Lösung des Heinrich-Hertz-Institut in Berlin und des Robert Koch Instituts vorgestellt werden. Passend dazu haben britische Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift Science eine auf realen, epidemiologischen Daten der SarsCoV2-Pandemie basierende Analyse veröffentlicht, in der versucht wird, abzuschätzen, was ein digitales Kontakt-Tracking bringen kann. Die Wissenschaftler vergleichen des „digitalen Weg“ mit klassischen Public Health-Maßnahmen, namentlich der Testung symptomatischer Personen inklusive manuellem Nachverfolgen von Kontaktpersonen.

 

Klassisches Testen und nachverfolgen ist nicht schnell genug

Für ihre Modellierung nutzen die Experten epidemiologische Kennziffern der SarsCoV2-Pandemie, die sie aus Datensätzen abgeleitet haben, die überwiegend aus China und Südkorea kommen. Diese Kennziffern sind noch keine festen Größen, aber durch ihre Fundierung auf realen Datensätzen ernstzunehmende „best guesses“. So wird auf Basis chinesischer und südkoreanischer Daten davon ausgegangen, dass die präsymptomatische Übertragung kurz vor Ausbruch von Symptomen bei SarsCoV2 deutlich relevanter ist als die komplett asymptomatische Übertragung durch Individuen, die nie Symptome entwickeln. Es wird davon ausgegangen, dass die Inkubationszeit im Mittel bei 5,5 Tagen liegt und die Generationszeit in einer ähnlichen Größenordnung, außerdem dass die (unkontrollierte) Verdopplungszeit der Infektionen fünf Tage beträgt.

 

Basierend auf diesen Annahmen können die Wissenschaftler zeigen, dass sich eine SarsCoV2-Epidemie durch klassisches Testen mit manuellem Nachverfolgen von Kontakten nicht wirksam eindämmen lässt. Der Grund: Die Erkrankung breitet sich zu schnell aus. Die klassischen Public Health Maßnahmen kommen schlicht nicht hinterher.

 

Anders sieht es bei Einsatz einer Kontakt-Tacking-App aus. Eine solche App erfährt von einem eventuellen positiven Corona-Virus-Test des Inhabers. Sie erlaubt es, retrospektiv Kontaktpersonen zu identifizieren und informiert diese in Echtzeit über das stattgehabte Infektionsrisiko. Die betreffenden Personen können sich dann entweder selbst quarantänieren oder sich testen lassen. In jedem sind sie gewarnt, dass sie infiziert und damit infektiös sein könnten, und zwar praktisch im selben Moment, in dem der positiv getestete App-Inhaber von seinem Testergebnis erfährt.

 

Infektionskontrolle ohne massives Social Distancing möglich?

Im Wesentlichen werde durch eine solche App die Zeit überbrückt, die es dauere, Kontakte manuell nachzuverfolgen, so Luca Ferretti und Kollegen vom Big Data Institute der Universität Oxford. Bei einer Pandemie mit den (geschätzten) Dynamiken und Ausbreitungsparametern, die oben skizziert wurden, könnte dieser Zeitgewinn den Unterschied machen. Anders formuliert: Bei einigermaßen flächendeckender Nutzung einer solchen App könnten im Falle von SarsCoV2 Ausbrüche lokale Ausbrüche zeitnah erkannt und unterbunden werden, ohne dass der Alltag mit massiven Social Distancing Maßnahmen weitgehend lahmgelegt werden müsste.

 

Vor diesem Hintergrund stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es überhaupt ethisch ist, eine solche App nicht zu nutzen. Dies gilt umso mehr, als in den letzten Tagen deutlich wurde, dass ein Lockdown wie der derzeit in Deutschland praktizierte auch Kehrseiten hat. So gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit Herzinfarkten und Schlaganfällen aus Angst vor dem Corona-Virus seltener in die Notaufnahmen kommen bzw. den Rettungsdienst rufen.

 

Die britischen Wissenschaftler diskutieren in ihrer Publikation auch die Frage, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Kontakt-App für SarsCoV2 ethischen und datenschutzrechtlichen Mindestanforderungen genügt. Sie nennen unter anderem ein unabhängiges Gremium, das den Einsatz der App kontrolliert und überwacht, klare Transparenz hinsichtlich der Prinzipien und Funktionsweise sowie der Algorithmen der App, eine suffiziente Begleitforschung sowie minimalen Zwang hinsichtlich der Nutzung.

 

Weitere Informationen:

Quantifying SarsCoV2 transmission suggests epidemic control with digital contact tracing. https://science.sciencemag.org/content/early/2020/03/30/science.abb6936