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Medizin |

Mit Elan und Expertise zur Hochdruck-App

Eine DiGA für Bluthochdruck? Naheliegend, aber gar nicht so einfach. Ein „Elder Statesman“ der deutschen Hypertensiologie nimmt die Herausforderung an.

Bild: © www.hypertonie.app

Mit Apps für häufige chronische Krankheiten ist das so eine Sache. Einerseits gibt es in der Versorgung bei vielen chronischen „Volkskrankheiten“ klare Versorgungsdefizite und damit einen klaren Bedarf für unterstützende, auch digitale Werkzeuge. Andererseits tummeln sich, weil die Zahl der Patienten hoch und der Markt entsprechend groß ist, relativ viele Anbieter in diesen Nischen, sodass es für die einzelne App schwierig wird, sich abzuheben.

 

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Entwicklung einer Anwendung „aus der persönlichen Erfahrung heraus“. Das kann die Patientenerfahrung sein, wie bei der Blutzucker-App MySugr. Es kann aber auch die langjährige ärztliche Erfahrung sein. Wenn es klappt, ist diese persönliche Erfahrungsdimension der Anwendung am Ende anzumerken, sei es, weil die jeweiligen Funktionen sehr nah an den Bedürfnissen Patienten sind, sei es, weil die Anwendung medizinische Fachexpertise in einer Art und Weise abbildet, die nicht einfach aus Lehrbüchern übernommen werden kann.

 

Tatsächlich haben mittlerweile viele App-Entwickler irgendwelche medizinischen Hintergründe. Aber dass wirklich langjährige Praktiker in ihrem Spezialfeld Anwendungen vorantreiben, das ist nach wie vor eher selten. Mit der in den App Stores von Google und Apple erhältlichen Hypertonie.App gibt es seit Kurzem bei der arteriellen Hypertonie so eine Anwendung. Sie wurde entwickelt von der in Ingolstadt ansässigen Hypertension Care UG, die von Prof. Dr. Martin Middeke mitgegründet wurde.

 

Sowohl Tagebuch als auch Telemonitoring-Plattform

Middeke ist Hypertonieexperte mit jahrzehntelanger Erfahrung und tiefer Verwurzelung in der deutschen Hypertensiologie-Szene. Er hat eine Hypertonie-Fachpraxis in München, war viele Jahre lang im Vorstand der Deutschen Hochdruckliga und engagiert sich seit Langem für das Hypertonie-Telemonitoring. Hier hat er unter anderem das Bayerische Telemedizin Projekt Schwangerschaft (BaTeleS) geleitet, dessen Ergebnisse demnächst publiziert werden sollen. Die Fall-Kontroll-Studie konnte zeigen, dass ein Telemonitoring von Blutdruck und Körpergewicht bei Frauen mit Risikoschwangerschaften sowohl die kindlichen als auch die mütterlichen Risiken und Komplikationen reduzieren kann.

 

Das Telemonitoring im hypertensiologischen Alltag wird von Middeke in der eigenen Praxis erfolgreich praktiziert. Auch die Deutsche Hochdruckliga sieht darin ein Zukunftsmodell, zumindest in bestimmten therapeutischen Konstellationen. „Neben Frauen mit Risikoschwangerschaft profitieren zum Beispiel auch Patienten mit schwer einstellbarer Hypertonie und Patienten mit hypertensiven Krisen von einer engmaschigeren Überwachung“, so Middeke. Dass sich das bisher nicht wirklich durchgesetzt hat, liegt zum einen daran, dass Telemonitoring-Szenarien lange Zeit etwas umständlich waren. Zum anderen fehlte es an einer Abrechnungsmöglichkeit für den ärztlichen Zusatzaufwand.

 

Das ändert sich aber gerade. Mit den im Digitale Versorgung Gesetz angelegten, digitalen Gesundheitsanwendungen oder „DiGA“ gibt es seit Mitte Oktober einen neuen Weg in die digital unterstützte Versorgung nicht nur aber auch bei chronischen Erkrankungen. Gelingt die Listung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dann eröffnet sich nicht nur eine Erstattungsmöglichkeit für die Patientenanwendung, sondern ebenso für einen entstehenden ärztlichen Mehraufwand. Damit werden auch „komplexe“ digitale Versorgungsmodelle denkbar. Bei der Hypertonieversorgung könnte das eine kostengünstige DiGA-Basisversion als Blutdrucktagebuch sein, die in bestimmten therapeutischen Konstellationen um ein zusätzlich vergütetes Telemonitoring erweitert werden kann.

 

Jahrzehntelanges Knowhow ist eingeflossen

Einen solchen Weg will Middeke mit seiner Hypertonie.App gehen – und damit sowohl für die Patientinnen und Patienten mit Bluthochdruck als auch für die betreuenden Ärzte eine attraktive Lösung anbieten, die sowohl die Dokumentation als auch die Arzt-Patienten-Interaktion und damit letztlich die Versorgungsqualität verbessert. „Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, so eine mobile App zu entwickeln. Dann habe ich irgendwann die richtigen Leute getroffen, um es umzusetzen, und so ist unsere Hypertonie.App entstanden.“

 

Seit Sommer steht die Anwendung in den App-Stores von Apple und Google zum Download bereit und erhält hervorragende Bewertungen, bisher ohne größeres Marketing. Die Stärke der App sieht Middeke darin, dass sie weit mehr ist als ein digitales Blutdrucktagebuch. „Meiner Meinung nach ist das die erste echt interaktive App in dieser Indikation“, so Middeke. Die Patienten erhalten bei jedem eingegebenen Blutdruck eine Rückmeldung. Es gibt Hinweise zur medikamentösen Therapie, eine Anleitung zur Selbstmessung, Erinnerungsfunktionen und viele Tipps zum Selbstmanagement und zum Umgang mit hypertensiven Krisen. Auch die Mittelwertberechnung und die für die juvenile Hypertonie wichtige Pulswellenanalyse werden mitgeliefert.

 

Letztlich, so Middeke, habe er die zahlreichen Patientenratgeber, deren Autor er über die Jahre war, einem Update unterzogen und sie gemeinsam mit einem pfiffigen Projektmanager und einem versierten Programmierer digitalisiert. Dass ihm dieser Prozess Spaß gemacht hat, bei dem der „alte Arzt“ in die „junge Gegenwart“ der kreativen Softwareentwicklung mit all ihren Concept-Boards, Post-It-Zettelwänden und agilen Arbeitsprozessen eintauchen musste, das merkt man Middeke im Gespräch an. Seine beiden Partner, weit herumgekommen in der Welt und halb so alt wie er, sind für ihn die Verkörperung der Globalisierung in ihrem besten Sinne.

 

Hypertonie.App soll eine DiGA werden

Die App, die jetzt im App-Store steht, ist bisher „nur“ eine Gesundheits-App. Sie soll weiterentwickelt werden, unter anderem in Richtung Anbindung von Blutdruckmessgeräten, damit die Patienten die Blutdruckwerte nicht mehr manuell eingeben müssen. Es soll eine eigene App-Version für schwangere Frauen mit Hypertonierisiko geben. Und vor allem soll aus der App eine „echte“, BfArM-gelistete DiGA werden. Das erfordert zusätzliche Investitionen, die das Kleinst-Startup aus Ingolstadt nicht alleine stemmen kann. Investoren sind gesucht.