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Vernetzung |

Patientenakten: Das Ministerium wird konkret

© momius

Die Bundesregierung legt sich bei den elektronischen Akten klar auf ein Primat der Patientenakten nach §291a SGB V fest. Sind die elektronischen Gesundheitsakten nach §68 SGB V ein Auslaufmodell?

 

Sommerpause und eHealth, das passt weiterhin nicht so richtig zusammen. Waren es in der Vergangenheit regelmäßig die Kritiker der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die den späten Juli und den August nutzten, um mit Hilfe diverser Zeitungen Sand ins ohnehin stotternde deutsche Gesundheitstelematikgetriebe zu streuen, sind es diesmal Bundesregierung und Parlamentarier selbst, die den Gesprächsstoff liefern.

 

Zum einen hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seinen Referentenentwurf für das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vorgelegt, das – auch – ein kleines E-Health-Gesetz ist. Zum anderen hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Regierung mit einer Kleinen Anfrage zu Patienten- und Gesundheitsakten gepiesackt – und erstaunlich konkrete Antworten erhalten. Beide Dokumente zusammen zeigen erstmals seit Längerem wieder, wo die Bundespolitik in Sachen Telematik und speziell bei den Patientenakten hin will. Dass der AOK-IT-Experte Christian Klose von der AOK Nordost zumindest für die nächsten Jahre als Stellvertreter des für Digitalisierung zuständigen Abteilungsleiters Gottfried Ludewig ins Bundesgesundheitsministerium geschickt wird, ist quasi das E-Health-politische Sommerpausen-Sahnehäubchen. Die Personalie illustriert zumindest, dass ordentlich Dynamik in die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens kommt.

 

Klassische EGA: Nehmt Abschied, Brüder, ungewiss…?

Dem TSVG-Entwurf gemäß sollen die Krankenkassen ihren Versicherten spätestens ab dem 1. Januar 2021 eine von der Gesellschaft für Telematik (gematik) nach §291b zugelassene elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen. Bleibt das so, dann wäre damit zum ersten Mal klar festgelegt, dass die Krankenkassen im GKV-Umfeld für die elektronischen Patientenakten nach § 291b zumindest als eine Art Herausgeber und Finanzier zuständig sind.  Das war bisher durchaus nicht klar. In den letzten Monaten konnte man eher den Eindruck gewinnen, dass die Krankenkassen mit ihren Gesundheitsakten nach § 68 SGB V und den damit verbundenen technischen und inhaltlichen Freiheiten gar nicht so unglücklich waren. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Die Patientenakten nach Gematik-Spezifikation sind das Pferd, auf das die Bundesregierung setzen will.

 

Die Tage der klassischen elektronischen Gesundheitsakte (EGA) nach § 68 SGB V dürften damit gezählt sein. Der Gesetzentwurf hilft in diesem Punkt zwar nicht so richtig weiter. Der § 68 SGB V wird nicht gestrichen, wie das unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV gefordert hatte. Wer aber in die Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen hineinschaut, der kann kaum anders als den Eindruck gewinnen, dass die EGA für die Politik vielleicht kein Auslaufmodell, aber nicht viel mehr als eine Spielwiese ist: „Die […] laufenden Projekte einzelner Kassen können […] wichtige Impulse zur geplanten Nutzung elektronischer Patientenakten in der Telematikinfrastruktur liefern.“

 

Impulse. Mehr dann aber auch nicht. Die EGA wird mit dieser Formulierung zu einem F&E-Projekt im Vorfeld der Gematik-Akten. Und Spahn und Co belassen es nicht dabei: „Die Regelung von § 68 SGB V ist […] eine reine Finanzierungsregelung“, schreiben sie. Weiter: „Gleichzeitig wurde in § 291e […] geregelt, dass elektronische Anwendungen im Gesundheitswesen nur dann aus den Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden dürfen, wenn sie die Interoperabilitätsfestlegungen der Gematik beachten.“ Man mag ein wenig lächeln ob dieser Fusion dreier im Laufe von 15 Jahren als Stückwerk verfasster Paragraphen zu einem legislativen Patientenakten-Gesamtkunstwerk. Aber: Die Botschaft ist klar.

 

Mobiler Zugang, oder: Die Quadratur des Kreises

Nun konnte Spahn nach den Vorlagen, die er selbst in den letzten Monaten geliefert hatte, mit seinem Gesetz schlecht einfach der Gematik den Rücken decken und fertig. Hier kommt jener Punkt ins Spiel, den das Bundesgesundheitsministerium jetzt sehr betont: Es soll alternative Zugangsmöglichkeiten zur elektronischen Gematik-Akte nach 291b geben, Zugangsmöglichkeiten, die jenen ähneln, die Anbieter wie IBM und Vivy mit ihren zweifelsohne modernen Akten für die Techniker Krankenkasse und die DAK/BKK-Welt bereits umgesetzt haben. Man könnte es also auch so ausdrücken: Die guten, wenn auch im Umfang noch eingeschränkten Erfahrungen mit den intuitiv nutzbaren Smartphone-Akten von Krankenkassen und Unternehmen wie CompuGroup Medical oder Vitabook sollen Eingang in die Gematik-Akte finden.

 

Das war soweit klar und angekündigt, aber in der Umsetzung eine Herausforderung. Man muss schon etwas genauer in den Gesetzesentwurf hineinschauen, um zu sehen, wie hier die Quadratur des Kreises gelingen soll. Das Problem bisher war, kurz gesagt, dass sich niemand vorstellen konnte, dass ein arztunabhängiger Smartphone-Zugang durch den Patienten irgendeine Chance auf jene Sicherheitszertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) haben könnte, mit der nicht zuletzt die Politik immer gerne Werbung für ihr Projekt gemacht hat.

 

Was also steht im TSVG-Entwurf? Das eigentlich Naheliegende: Der Zugang zur elektronischen Patientenakte nach § 291b mittels Arzt- und Patientenkarte bleibt für jene, die maximale Sicherheit wollen und auf eine Sicherheitszertifizierung durch das BSI Wert legen, erhalten. Der Preis dafür wird sein, dass es keinen komfortablen, mobilen, arztunabhängigen Zugang gibt. Zusätzlich wird der mobile Zugang geschaffen, für den sich der Versicherte bewusst entscheiden muss und bei dem es Abstriche bei der Sicherheit oder, wie es in den TSVG-Kommentaren der Bundesregierung heißt, eine „Abstufung der Sicherheitsanforderungen“ geben wird.

 

Kurz gesagt: Das BSI soll einbezogen werden. Es soll auch eine Art BSI-Zulassung geben, die zwischen dem Amt und der Gematik noch ausgehandelt werden muss. Die BSI-Sicherheitszertifizierung im engeren Sinne wird für den eGK-unabhängigen, mobilen Zugang aber nicht gefordert. Die mobilen Zugriffswege erfüllen „nicht die strengeren Anforderungen an eine Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik“, so die Bundesregierung. Damit sind die Eckpfeiler gesetzt. Was dafür ersatzlos wegfällt, ist das Patientenfach, aber das war in seiner Komplexität ohnehin schwer zu vermitteln.

 

Philipp Grätzel

 

Referentenentwurf des TSVG: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/T/TSVG_RefE.pdf

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen : http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/035/1903528.pdf