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Vernetzung |

Plädoyer für ein EPA-Bundesinstitut

Pünktlich zur conhIT legt die Bertelsmann-Stiftung ihre Expertise zu übergreifenden elektronischen Patientenakten in Deutschland vor. Braucht Deutschland ein Bundesinstitut für die EPA?

 

Seit dem E-Health-Gesetz haben einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakten in Deutschland Gesetzesstatus. Viele haben sich zu dem Thema geäußert – Krankenkassen, einzelne Unternehmen, zuletzt der bvitg. Doch so richtig eine einheitliche Linie fehlt bei dem Thema bisher: Wer betreibt solche Akten? Brauchen wir eine einheitlich Akte à la Österreich, oder sollte es einen Markt geben, auf dem der Bürger „seine“ Akte frei wählen kann? Sind die Kostenträger nur Zahlmeister, oder sollten sie die Akten aktiv mitgestalten? Wird es gar einen eigenen, digitalmedizinischen Sektor geben, auf dem E-Akten, die eigentlich digitale Versorgungsplattformen sind, nicht nur als persönliches Archiv, sondern auch – Uber und AirBnB lassen grüßen – als „Dispatcher“ medizinischer Leistungen fungieren?

 

Behandlungsplattformen statt reine Archive

Antworten auf diese Fragen gibt es bisher allenfalls vorläufige. Die Bertelsmann-Stiftung versucht, etwas mehr Struktur in die Debatte zu bringen. Sie hat bei Professor Dr. Peter Haas von der Fachhochschule Dortmund eine Expertise zu einrichtungsübergreifenden EPA in Auftrag gegeben, die jetzt vorliegt. Darin wird eindeutig dafür plädiert, einrichtungsübergreifende Akten nicht als reine Datenarchive, sondern als umfassende Behandlungsmanagement-Plattformen zu konzipieren. Ziel müsse nicht die einheitliche nationale Patientenakte sein, sondern eine Landschaft unterschiedlicher Aktensysteme, die mit den Primärsystemen der Ärzte und Krankenhäuser über verbindliche Standards kommunizieren.

 

Dieses Modell impliziert, dass es unterschiedliche Aktenanbieter geben könnte, also beispielsweise Krankenkassen, große Krankenhäuser oder Krankenhausketten und Technologieunternehmen, die im Wettbewerb zueinander stehen. Eine übergeordnete Regulierung würde gewährleisten, dass bestimmte Leistungsmerkmale und technische Rahmenbedingungen, etwa bei der Datensicherheit, einheitlich sind, sodass der Bürger, der sich für eine Akte entscheidet, nicht die Aktenkatze im Sack kauft. Ob diese Akten bzw. Plattformen auf Dauer eng an die traditionellen Akteure des Gesundheitswesens angelehnt bleiben, oder ob sich digitale Versorgungsplattformen als „neutrale Dritte“ etablieren, die dann so etwas wie einen eigenen digitalmedizinischen Sektor bilden – mit allen Folgen für die existierenden Sektoren – darauf legt sich die Expertise noch nicht fest.

 

Ein „BfArM“ für Patientenakten?

Auf zweierlei legen die Autoren großen Wert: Zum einen sehen sie die Entstehung einer EPA-Landschaft als einen evolutionären Prozess. Sie schlagen einen Stufenplan vor, bei dem die Akten zunächst als Dokumentenakten, also persönliche Gesundheitsarchive, eingeführt werden. Auf dieser Stufe kommt es vor allem auf die Etablierung funktionierender Dokumentenschnittstellen in die Primärsysteme an. In einem zweiten Schritt würden dann Anwendungen wie Medikationsdaten, Notfalldaten und Labordaten angedockt. Das wäre der Ausbau in Richtung Patient als handelndem Akteur. Erst im dritten Schritt häuten sich die Akten zu kooperativen Behandlungsplattformen, die auf dieser Stufe auch komplexe Versorgungsprozesse digital abbilden.

 

Die Frage ist, ob so eine Aktenlandschaft automatisch, quasi bottom-up, entsteht. Ansätze dafür gibt es ja, doch die Autoren der Expertise bezweifeln, ob sich in der derzeitigen Landschaft Aktenchaos verhindern lässt. Sie bringen deswegen eine Governance-Struktur mit klaren Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen in die Diskussion. Die existierenden Organisationen, namentlich Gematik und Spitzenverbänden der versorgungspolitischen Akteure, werden als nicht ausreichend angesehen. Plädiert wird stattdessen für ein Modell, bei ein auf Dauer angelegtes eEPA-Bundesinstitut unter der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit geschaffen wird, quasi eine Art BfArM für Patientenakten. Es erfüllt auch die Funktion einer eEPA-Zertifizierungs- und Zulassungsstelle oder beauftragt eine solche Stelle.

 

Das Institut wäre dafür verantwortlich, Standards und Rahmenbedingungen sowie zulässige Betreibermodelle zu definieren. Es hätte also relativ viel Einfluss, würde aber keine Akten selbst betreiben, ähnlich wie das BfArM keine Medikamente selbst entwickelt. Außen herum würde eine relativ komplexe Struktur an beratenden Gremien stehen, über die einerseits die Politik, andererseits die Selbstverwaltung, außerdem Patienten- und Verbraucherverbände sowie Wissenschaftler und Standardisierungsorganisationen eingebunden werden. Die Gematik behielte die Aufgabe des Betriebs der Telematikinfrastruktur, wäre aber nicht für konzeptionelle Fragen zuständig.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM