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Medizin |

Psychotherapie-Apps auf dem Weg in die Regelversorgung?

Der Ersatzkassen-Verband vdek fordert ein Qualitätssiegel für therapieunterstützende Online-Programme. Doch könnten einige der Apps angesichts der guten Evidenz nicht auch schneller in die Versorgung kommen? E-HEALTH-COM hat bei den Ersatzkassen nachgefragt.

 

Der Markt für Apps und Online-Tools boomt – auch in der Psychotherapie. Um das Dickicht der Online-Leistungen für psychische Störungen zukünftig inhaltlich besser zu differenzieren, positioniert sich der Verband der Ersatzkassen (vdek) zur Qualitätssicherung von therapieunterstützenden Online-Therapieangeboten: Diese eHealth-Produkte sollen zertifiziert werden, um eine bessere Qualitätssicherung zu erreichen, so die vdek-Forderung.

 

Online-Angebote wie das DAK-Therapieprogramm deprexis24 und der TK-DepressionsCoach haben es im Prinzip bereits vorgemacht: Bei diesen beiden interaktiven Online-Anwendungen werden die Behandlungskosten angesichts der guten wissenschaftlichen Evidenz zum Nutzen der Patienten von den jeweiligen Krankenkassen seit einiger Zeit erstattet. Was es – wie bei anderen Telemedizinanwendungen – nicht gibt, ist eine Erstattung unabhängig von der Krankenkasse im Rahmen der Regelversorgung.

 

Ist die Verfahrensordnung des GBA mit eHealth-Produkten kompatibel?

Das kritisieren nicht nur die Hersteller dieser Programme, sondern auch viele Psychiater und Psychotherapeuten. Zahlreiche randomisierte wissenschaftliche Studien weisen inzwischen die Wirksamkeit einer Online-Psychotherapie bei leichten bis moderaten Depressionen nach. Warum also zögern die Kassenverbände weiterhin, psychotherapeutische Apps und Online-Leistungen kassenübergreifend zu empfehlen und ihre reguläre Finanzierung zu ermöglichen?

 

Eine schon länger diskutierte Option wäre die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis, einer andere ein Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Auf Nachfrage von E-HEALTH-COM stellte der vdek klar, dass es sich bei der vdek-Zertifizierungsinitiative nicht primär um die vollumfänglichen Online-Psychotherapien drehe, sondern um therapieunterstützende, „niedrigeschwellige“ Programme, für die eine umfangreiche Nutzenbewertung „nicht erforderlich“ sei.

 

Das vdek-Positionspapier zielt also indirekt auch auf ein differenziertes Vorgehen in Abhängigkeit von der Art des digitalen Tools, hier die therapieunterstützenden Tools, dort die vollumfängliche Internettherapie. „Für die Prüfung der Internettherapie sind dieselben Anforderungen an den Nutzen zu stellen wie bei der Prüfung der Richtlinienverfahren. In diesem Kontext sollten wir jedoch kritisch prüfen, ob die heutige Verfahrensordnung des G-BA mit den produktspezifischen Besonderheiten von eHealth-Produkten kompatibel ist“, so Michaela Gottfried, Pressebeauftragte beim Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek).

 

„Bisher kein Antrag auf Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis“

Mit Blick auf die „G-BA-Alternative“ für die Reise zu einer regulären Erstattung, die Aufnahme von Internettherapien in das Hilfsmittelverzeichnis, betonte Gottfried, dass die Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis ausschließlich durch den jeweiligen Hersteller beantragt werde. Erst dann entscheide der GKV-Spitzenverband: „Nach unseren Informationen hat bisher kein Anbieter für Onlinebasierte Interventionen eine solche Aufnahme beantragt.“

 

Zumindest bei den therapiebegleitenden Online-Tools für psychische Erkrankungen schlägt der vdek jetzt einen ganz anderen Weg vor, nämlich eine neue Qualitätssicherungsschleife für diese Programme mit nachgeschalteter Zertifizierung. Die vorgeschlagene Zertifizierung bringe zwei Vorteile, so Gottfried: „Versicherte erhalten in dem unübersichtlichen Markt der Gesundheits-Apps Gewissheit, dass das Produkt den beschriebenen Qualitätsstandards genügt. Gleichzeitig vereinfacht es für Krankenkassen die Entscheidung darüber, welche Angebote als Satzungsleistung angeboten und erstattet werden sollten.“ So kämen qualitätsgesicherte Apps, die keine vollumfänglichen Online-Therapien seien und daher nicht in den G-BA-Verantwortungsbereich fallen, schneller in die Versorgung.

 

Katalog für Qualitätskriterien zur Online-Psychotherapie veröffentlicht

Die Qualitätskriterien, die der vdek für Online-Interventionen bei psychischen Störungen fordert, orientieren sich nach Verbandsaussage eng an den Vorschlägen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN), die freilich ihre Kriterien auch mit Blick auf echte, therapeutengeleiteter Internettherapien formuliert hat. Zum einen müsse die Indikation klar umrissen und spezifisch auf die jeweilige Störung abgestimmt sein. Zum anderen gehöre auch der Einsatz validierter Instrumente zur Diagnosestellung dazu. „Die Programme variieren stark in Inhalt und Technik – einige sind angeleitet und beziehen Therapeuten ein, andere muss der Patient allein durchführen“, so Gottfried.

 

Nicht zuletzt deshalb verlangen die Ersatzkassen einen Effektivitätsnachweis durch mindestens zwei Studien: „Ein besonderes Anliegen ist uns die Patientensicherheit, zu der neben dem Nutzennachweis auch der Umgang mit möglichen Nebenwirkungen gehört sowie das Prozedere für Gefahrensituationen, zum Beispiel bei erhöhter Suizidgefahr.“ Daneben spielen auch Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit eine wichtige Rolle bei der vorgeschlagenen Zertifizierung solcher Apps als sogenannte „eGesundheitsmittel“.

 

Kommt die „Zentrale Prüfstelle für Online-Interventionen“?

Mit der Positionierung der Ersatzkassen geht es zumindest für die therapiebegleitenden Digital-Tools also langsam, aber sicher in Richtung Regelversorgung. Es stellt sich allerdings die Frage nach Art und Geschwindigkeit der Umsetzung. Eine reine Ersatzkassen-Zertifizierung dürfte zu kurz gesprungen sein: „Zunächst ist das Thema mit den anderen Krankenkassenverbänden zu diskutieren, da hier, ähnlich wie bei der Zentralen Prüfstelle Prävention, eine möglichst gemeinsame, kassenartenübergreifende Lösung gefunden werden sollte“, so die vdek-Sprecherin.

 

Die Zentrale Prüfstelle Prävention sieht der vdek dabei durchaus und ganz konkret als Vorbild. Sie biete „eine Zertifizierung auf Grundlage eines gemeinsamen Leitfadens mit festgelegten Prüfkriterien, die im Ergebnis die von uns anvisierte Qualitätssicherung solcher Angebote gewährleistet“, so der Verband. Vielleicht gibt es also bald eine solche Stelle, und vielleicht stellt das „E-Health-Gesetz 2“ im nächsten Jahr dafür die nötigen sozialrechtlichen Weichen.

 

Unabhängig davon bleibt die Frage der Erstattung der vollumfänglichen, therapeutengestützten Online-Therapien hoch aktuell. Denn viele dieser Programme sind heute schon evidenzbasiert, und sie können längst jene „zwei Studien“ vorweisen, die der vdek jetzt fordert. Ein Verweis auf die möglicherweise suboptimale Verfahrensordnung des G-BA ist da ein wenig dünn, insbesondere wenn er aus dem Sektor kommt, der den G-BA maßgeblich trägt. Und ein wenig unklar bleibt auch die genaue Abgrenzung zwischen jenen Tools, für die der G-BA verantwortlich sein soll und jenen, die nur über ein Qualitätssicherungszertifikat eingeführt werden sollen. Dennoch: Ein Anfang ist gemacht.

 

Anna Engberg, Philipp Grätzel