Von einer „humanitären Katastrophe“ in der Pflege ist bereits die Rede – das Gesundheitswesen steuert auf einen Personalnotstand zu, der die Gesundheitsversorgung in Deutschland gefährdet: Im Jahr 2035 können knapp 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden, weil geeignete Kräfte fehlen. Das entspricht einem Engpass von 35 Prozent. Besonders betroffen vom Fachkräftemangel ist die Alten- und Krankenpflege. In diesen Bereichen droht 2035 ein Versorgungsengpass von 37 beziehungsweise 36 Prozent. Im ärztlichen Bereich liegt dieser Wert bei 29 Prozent. Hinzu kommt: Die Wechselbereitschaft im Gesundheitswesen ist hoch – ebenso wie die Unzufriedenheit mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen. Unter Ärzt:innen und Pflegekräften mit leitender Tätigkeit kann sich lediglich knapp jede:r Dritte vorstellen, den Beruf bis zur Rente auszuüben. Das sind zentrale Ergebnisse der Studie „Fachkräftemangel im Gesundheitswesen: Wenn die Pflege selbst zum Pflegefall wird“ von PwC Deutschland.
„Wir brauchen dringend eine neue Pflege- und Gesundheitspolitik, damit wir die Weichen im Gesundheitswesen im Sinne des Patientenwohls anders stellen und der drohenden Versorgungslücke – bedingt vor allem durch den demografischen Wandel – entgegenwirken können“, sagt Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. „Aus unserer Sicht ist es eher fünf nach als fünf vor zwölf. Bereits vor zehn Jahren haben wir auf den Fachkräftemangel hingewiesen. Seitdem ist wertvolle Zeit verstrichen, ohne dass sich an den Rahmenbedingungen etwas geändert hätte. Jetzt müssen wir an allen Stellschrauben drehen, und dazu gehört auch der Einsatz intelligenter Technologien.“
Fachkräfte leiden unter hoher körperlicher und psychischer Belastung
Digitale Technologien können zur Entlastung des Personals im Versorgungsalltag beitragen. Das ist dringend notwendig, denn gerade die körperliche Belastung ist in Gesundheitsberufen hoch, wie 72 Prozent der Ärzt:innen und Pflegekräfte mit leitender Tätigkeit bestätigen. Ebenso finden 59 Prozent der Befragten dieser Gruppe den Beruf auch psychisch fordernd. Die Menschen, die potenziell als Pflegekräfte in Frage kommen – 18- bis 29-Jährige mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren, Arbeitslose und Wechselwillige – fürchten hingegen in erster Linie die hohe psychische Belastung des Pflegeberufs, wie 63 Prozent angeben. Erst an zweiter Stelle nennen sie mit 57 Prozent die körperliche Anstrengung.
Ein wesentlicher Faktor sind dabei die Arbeitszeiten, die vielfach mit Schichtdiensten einhergehen. Unter den Health Professionals, Ärzt:innen und Pflegekräften mit Leitungsposition, leiden 61 Prozent darunter. Ebenso sehen 56 Prozent der Absolvent:innen, Wechselwilligen und Arbeitslosen die Arbeitszeiten in der Pflege als Minuspunkt.
Der berufliche Idealismus scheint im Alltag verloren zu gehen
Insgesamt ist das Bild von Arbeit im Gesundheitssektor besorgniserregend negativ geprägt – gerade unter den erfahrenen Kräften, die tiefen Einblick in die Praxis haben. So stimmen lediglich 28 Prozent der Ärzt:innen und leitenden Pflegekräfte der Aussage zu, dass man in Gesundheitsberufen Menschen helfen kann; nur 45 Prozent halten die Arbeit für gesellschaftlich relevant. In der Gruppe der potenziellen Kräfte, der Absolvent:innen, Arbeitslosen und Wechselwilligen, hingegen sehen 42 Prozent den Dienst am Menschen als wichtigen Aspekt. „Dieses Ergebnis sollte uns aufrütteln. Es zeigt, dass der anfängliche Idealismus mit zunehmender Praxis offenbar verloren geht – durch hohen Druck und schlechte Arbeitsbedingungen in der Pflege“, kommentiert Sevilay Huesman-Koecke, Head of Business Development bei PwC Deutschland.
Pflegekräften fehlt die gesellschaftliche Anerkennung
Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Pflege vergleichsweise wenig Anerkennung erfährt. Das bestätigen 50 Prozent der Ärzt:innen und leitenden Beschäftigen im Pflegebereich ebenso wie 56 Prozent der potenziellen Nachwuchskräfte. „Es ist dringend notwendig, dass die Pflege gesellschaftlich aufgewertet wird. Wenn Pflegende nicht mehr Wertschätzung erfahren, werden sie irgendwann demotiviert und frustriert sein“, so Sevilay Huesman-Koecke. Die Covid19-Pandemie hat zwar gezeigt, wie systemrelevant die Pflege ist, doch dieser Effekt wird nach Einschätzung von Health Professionals eher kurzfristiger Natur sein.
Ein gutes Gehalt als wichtigster Anreiz für den Pflegeberuf
Ein Zeichen von gesellschaftlicher Anerkennung ist ein angemessenes Gehalt – und genau das fehlt in der Pflege. Das fordert insbesondere die Gruppe der potenziellen Pflegekräfte, der 18- bis 29-Jährigen mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren, der Arbeitslosen und Wechselwilligen, mit 68 Prozent. Um diese Zielgruppe zu gewinnen und bis zur Rente zu halten, müssten Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens mit Gehaltsanreizen arbeiten. Aber auch in der Gruppe der erfahrenen Kräfte ist das Gehalt mit 41 Prozent der wichtigste Faktor.
Digitale Technologien von Nachwuchskräften geschätzt
Wie bewerten die (potenziellen) Health Professionals den Beitrag der digitalen Transformation zur Weiterentwicklung der Pflege? Insgesamt ist eine große Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien spürbar, insbesondere in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen, der Arbeitslosen und Wechselwilligen. Unter ihnen sehen die Befragten den größten Mehrwert in einer Entlastung des Alltags und in der besseren Beobachtung von Gesundheitsdaten (jeweils 62 Prozent). Auch unter den erfahrenen Kräften gibt es Zustimmung, die aber etwas verhaltener ausfällt. „In diesem Punkt zeigt sich, dass digitale Technologien noch nicht wirklich im Versorgungsalltag angekommen sind und die Erfahrung einer echten Entlastung fehlt. Umso wichtiger ist es, dass sie jetzt Einzug in die Praxis halten, denn sie können gerade unter jungen Kräften ein starkes Argument pro Pflege sein“, bilanziert Michael Burkhart.
Weitere Informationen erhalten Sie auf:
https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/fachkraeftemangel-im-deutschen-gesundheitswesen-2022.html
Quelle: PwC