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Vernetzung |

Telematik-Kuddelmuddel

© pixelrobot

Der Bundesgesundheitsminister bittet Ärzte, Konnektoren zu bestellen. Die Kostenträger führen eine neue Gesundheitsakte (EGA) ein. Und die Gematik sieht bei ihrer Akte nach §291a keine EGA-Schnittstelle vor. Willkommen im Land ohne E-Health-Strategie.

 

Das war doch mal ein schöner Hauptstadtkongress. Wie bestellt legte die Gematik wenige Tage vor dem Kongress den ersten Entwurf des Lastenhefts und der Spezifikation der elektronischen Patientenakte nach §291a SGB V dem Beirat zur Kommentierung vor und lieferte damit ordentlich Diskussionsstoff. Der Entwurf fasst das zusammen, was in den letzten Wochen und Monaten schon durchgesickert war: Die Gematik plant eine Serverakte aus kopierten Originaldokumenten innerhalb der Telematikinfrastruktur, also keine dezentrale Netzakte wie in Österreich oder der Schweiz.

 

Zwei Sichten mit unterschiedlicher Patienten-Power

Auf diese elektronische Patientenakte nach §291a soll es zwei „Sichten“ geben, die ärztliche ePA-Sicht und die Sicht „Patientenfach“. Patienten sollen selbst entscheiden, ob sie die eine oder die andere oder beide Sichten nutzen wollen. Die ePA-Sicht fokussiert stark auf die Kommunikation zwischen Leistungserbringern. Patienten können in dieser Sicht nicht löschen, wohl aber – mit einem Kartenlesegerät – Dokumente von zuhause einsehen und Zugriffsrechte erteilen.

 

Der Sicht „Patientenfach“ liegen dieselben Dokumente zugrunde wie der ePA-Sicht. Es gibt also keine zwei Datensammlungen. Ärzte können auf Wunsch des Patienten Dokumente im Patientenfach zur Verfügung stellen. Der Patient, der sowohl ePA als auch Patientenfach nutzt, soll aber auch die Option haben, dass jedes ePA-Dokument automatisch im Patientenfach sichtbar gemacht wird. Dokumente im Patientenfach kann der Patient herunterladen und nach Belieben löschen. Werden sowohl ePA als auch Patientenfach genutzt, dann verschwinden beim Löschen die Dokumente aus der Patientenfach-Sicht, nicht aber aus der ePA. Das Patientenfach bietet dem Patienten zudem die Möglichkeit, beliebige Dokumente selbst einzustellen und damit den Ärzten zugänglich zu machen.

 

Auch für die Nutzung des Patientenfachs soll anfangs ein Kartenlesegerät erforderlich sein. Die Option für einen echten mobilen Zugriff ist aber im Lastenheft zumindest angelegt. Technisch könnte die Verknüpfung zwischen einer mobilen Patientenfach-App und der eGK zum Beispiel über Near Field Communciation vonstattengehen, wozu die eGK prinzipiell in der Lage ist. Auch kryptographische Paarungen zwischen eGK und Smartphone wären denkbar.

 

DAK und Allianz setzen auf Vivy

Was die Gematik ausdrücklich nicht vorsieht, ist eine direkte Schnittstelle zu elektronischen Gesundheitsakten außerhalb der Telematikinfrastruktur. Geht es nach dem aktuellen Entwurf der Gematik, ist ein Datentransfer nur indirekt möglich: Der Patient lädt seine Daten aus dem Patientenfach herunter und deponiert sie dann in einer Online-Gesundheitsakte. Dass keine direkte Schnittstelle vorgesehen ist, ist insofern pikant, als am Dienstag vergangener Woche die DAK und andere mit Bitmarck-Systemen arbeitende Krankenkassen zusammen mit der Allianz und weiteren privaten Krankenversicherungen ein Gesundheitsaktenprojekt gelauncht haben, das dem der Techniker Krankenkasse mit IBM ähnelt und das auf potenziell über 20 Millionen gesetzlich und privat krankenversicherte Bürger in Deutschland zielt.

 

Das Angebot ist Resultat einer Ausschreibung von Ende 2017. Der Zuschlag ging Mitte Mai an den Mobilaktenanbieter Vivy, der nicht nur Daten speichern, sondern auch Gesundheitsassistenz-Funktionen über die App anbieten möchte. Dass beim Inaugurierungs-Event der Vivy-Akte in Berlin auch das Thema Kompatibilität mit den Gematik-Plänen zur Sprache kam, wundert nicht.

 

Als allererstes genannt wurde beim Thema Anbindung der Ärzte die Faxschnittstelle: Arzt faxt Dokument in die mobile Akte, das ist eine relativ alte Idee, die schon vor über zehn Jahren nicht funktioniert hat. Ebenfalls genannt wurde die (noch in Entwicklung befindliche) Patientenschnittstelle von KV-Connect als möglicher direkter Transfer-Weg von der Praxis-IT auf das Patienten-Smartphone via Telematikinfrastruktur. Auch dabei handelt es sich allerdings um eine gezielte Punkt-zu-Punkt-Kommunikation einzelner Dokumente, die vom Arzt aktiv initiiert werden muss. Das ist alles ein Stück weit entfernt von ideal.

 

Verzweifeltes Rudern in alle Richtungen

Natürlich ist eine weitergehende Interoperabilität zwischen 291a-Akte und Online-Akten technisch ohne Weiteres denkbar. Dem Vernehmen nach sollen bei der Vivy-Akte und auch bei der Techniker-Akte erste Tests unter Einsatz von IHE-Profilen gelaufen sein. Diesen Austausch allerdings sehen die Gematik-Pläne in der derzeitigen Fassung nicht vor, und er ist unter den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen auch gelinde gesagt mühsam.

 

Womit wir bei der neuen Bundesregierung wären, die sich bis Sommer äußern will, wie sie sich die Zukunft der Telematik und damit nicht zuletzt die Zukunft der elektronischen Akten im deutschen Gesundheitswesen vorstellt. Beim Hauptstadtkongress appellierte Jens Spahn jedenfalls schon mal eindringlich an die Ärzte, doch bitte weiterhin Konnektoren – von dem noch immer einzigen Anbieter, der eine Zulassung hat – zu bestellen, da die elektronische Gesundheitskarte an sich absolut nicht in Frage stehe. Spahn versuchte damit quasi sich selbst wieder einzufangen, aber das hat er natürlich nicht so formuliert.

 

Der GKV-Spitzenverband wiederum, der 50 Prozent der Gesellschafterversammlung der Gematik ausmacht, verbreitete am Montag einen Tweet, in dem auf einen Artikel im Hamburger Abendblatt hingewiesen wurde, wonach die Bundesregierung erstmals eingeräumt habe, dass die Gesundheitskarte auf der Kippe stehe. Eigentlich war diese Debatte gerade abgeschlossen worden, dachte man zumindest. Welche Krankenkassen hatten ihren Sitz nochmal in Hamburg?

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM